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Begeisterte Tänzer, vom Zigarrenqualm verrauchte Kneipen, alte Männer am Klavier, es bearbeitend, wie vor vierzig Jahren Erroll Garner Klavier gespielt hätte, wäre er Kubaner gewesen, das ist die Illusion der Entdeckung einer großen Begabung kubanischer Jazzmusiker, die der „Buena Vista Social Club“ zu vermitteln versucht. Damit wird allerdings nicht die Gegenwart oder jüngere Vergangenheit kubanischer Musik im Umgang mit dem Klavier getroffen, sondern die etwa 40 Jahre zurückreichende Vergangenheit. Und dennoch gibt es in der Tradition der kubanischen Musik bis zur Gegenwart einen besonderen Umgang gerade mit dem Instrument mit den weißen und schwarzen Tasten.
Musiker wie Chucho Valdez, vor allem berühmt durch seine Band Irakere, repräsentieren über drei Jahrzehnte die Seele des kubanischen Jazz in dieser Tradition. Aber in den letzten 20 Jahren hat sich eine jüngere Generation zu Wort gemeldet, die über die eigene Vergangenheit hinaus zu Mitwirkenden in der oberen Etage der Jazzwelt geworden ist und mit dem Klavier auf eine sehr individuelle Art umgeht. Das ist an erster Stelle Gonzalo Rubalcaba, Jahrgang 1963, in Havanna geboren als Sohn eines Pianisten. In seiner Heimat hat er alles gelernt, was man als Jazz-Pianist lernen kann. Begonnen hat er als Jugendlicher als Perkussionist, was man seinem Spiel in seiner großen Differenziertheit immer wieder anmerkt. Schon in frühen Jahren kam er in Kontakt zu den Großen des Jazz, soweit diese Kuba einen Besuch abstatteten, weckte die Aufmerksamkeit von Dizzy Gillespie und traf schließlich unter anderem Charlie Haden, der ihm den Weg nach Nordamerika öffnete. In den USA, unter deren Bann gegen alles, was aus Kuba kam, aufzutreten, war erst nach Jahren möglich, nachdem Rubalcaba bereits 1989 auf dem Festival in Montreal, Kanada, brilliert hatte (The Montreal Tapes, Verwe). Er ließ sich in Florida nieder, wo er heute mit seiner Familie lebt, ohne allerdings den Kontakt zu seiner Heimat zu vernachlässigen. Dass ihn seine neue Wahlheimat geprägt hat, ist unüberhörbar, seine Entwicklung ist geprägt von zahllosen Versuchen, möglichst viel von der neuen Umgebung aufzunehmen, aber seine Herkunft prägt im eigentlichen Sinn nach wie vor sein Werk. Gerade mit den beiden letzten CD-Produktionen, „Supernova“ und „Nocturne“ hat er diese Verbindung unterstrichen, bei aller Meisterschaft auch im Sinn einer amerikanisch beeinflussten Stilistik. Danach befragt, ob es ihm musikalisch nicht schade, die Heimat verlassen zu haben, von seinen Quellen entfernt zu sein, verweist er darauf, dass ihm die räumliche Entfernung ermögliche, auch die Fehler und Schwächen dieser Musik zu erkennen und entsprechend daran zu arbeiten. Nicht genug hervorheben kann man seinen vielseitigen Anschlag von einer ungeheuren Klarheit, mit dem er zupackend rhythmisch orientiert wie lyrisch zurückgenommen in Erscheinung tritt. Überhaupt ist er oft der Meister der unaufdringlichen, leisen Töne, der andererseits über eine seltene Abstraktionsfähigkeit verfügt, die ihn in die Lage versetzt, zum Beispiel mit dem Titelstück von „Supernova“ seine komplexe Sicht der kubanischen Musik in wenigen Minuten zusammenzufassen. Diese Aufnahme, bei Blue Note im Jahr 2001 herausgekommen, wurde 2002 als beste Latin-Jazz Produktion mit dem Grammy ausgezeichnet. All die erwähnten Qualitäten waren in vertiefter und verfeinerter Form bei seinem Auftritt im Rahmen des diesjährigen Traumzeitfestivals in Duisburg Anfang Juli zu erleben, dem einzigen Deutschlandtermin seiner aktuellen Welttournee. Mitreißende Tempowechsel, der lyrische Blick nach Innen und bewegende Bilder aus der kubanischen Kultur zeichneten auch dieses Mal sein Spiel aus. Fast gleichaltrig, auf der Havanna gegenüberliegenden Küste Kubas 1964 geboren und aufgewachsen, aber gleichzeitig an demselben Konservatorium studiert wie Rubalcaba hat Ramòn Valle. Und dennoch spielt er eine andere Musik, die auf ihre Art ebenfalls die einzigartige Musikkultur Kubas repräsentiert. Der Einfluss der klassischen Ausbildung ist bei ihm deutlich spürbar. Das bedeutet, dass er in seiner Entwicklung der europäischen Musikkultur viel näher steht als der amerikanischen, auch wenn sich wohl kein Jazzmusiker der Welt dem Einfluss der amerikanischen Jazzgeschichte verschließen kann. Dass er seit 1998 in Amsterdam lebt, überrascht insoweit nicht. Auch er zeigt große Virtuosität, lässt Rhythmik und Melodik der kubanischen Musik nicht aus, hat aber eindeutig seine Stärken in impressionistischen Bildern, wie sie etwa dem Klavierstil eines Enrico Pieranunzi eigen ist. Wie er es versteht, mit allen Mittel des aktuellen Jazz das Werk des großen klassischen kubanischen Komponisten Ernesto Lecuona aufzuarbeiten, zeigt er mit seiner neuesten, bei Act in 2002 erschienenen Quintett-Aufnahme „Danza Negra“. Eine neue Trio-Aufnahme ist Ende Oktober erschienen („No Escape“, ACT 9424-2). Hans-Jürgen von Osterhausen
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