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„Improvisation ist ihre Vorbereitung“ – diese Worte des Wiener Gitarristen Burkhard Stangl könnten als Motto über dem 8. Darmstädter Jazzforum gestanden haben, das unter dem fast aphoristisch und angenehm unprätentiösen Titel „improvisieren...“ lief. Hinter der sorgsamen Namensgebung des Forums verbarg sich ein Kaleidoskop unterschiedlicher Auffassungen, Anwendungen und Einsatzweisen von Improvisation in Musik, Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft. Wer Antworten auf generelle Fragen nach dem grundlegenden Wesen von Improvisation erhofft hatte oder Anleitungen zu eigener Improvisation, sah sich wohl enttäuscht – zu unterschiedlich waren die Auslegungen des Begriffs. Wer allerdings aufmerksam zugehört hatte, entdeckte in eben jener Vielfalt die gesuchten Antworten. So öffneten sich mit den Vorträgen bislang eher unvermutete Perspektiven, wurden Beispiele jüngerer Musikproduktion vorgestellt und ältere in neuem Licht betrachtet. Neben Versuchen, die (jazz)musikalische Handlungsform „Improvisation“ theoretisch in verschiedene Konstituenten zu zerlegen, waren Einblicke in die Praxis in den abendlichen Konzerten möglich. Ein ausgeglichenes Verständnis musikalischer Produktionsweisen zog sich als zentrales Motiv durch fast alle Beiträge und vermittelte so ein Bild der Forschungsdebatte. Es geht nicht länger um eine vorgebliche Dichotomie von Komposition und Improvisation, es haben ideologische Kämpfe darum ihre Brisanz verloren oder sind schlicht obsolet geworden durch die Entwicklungen der Musiken. Vielmehr rückte ein anderer Aspekt in den Vordergrund, an dem sich die beiden Extreme und die vermittelnde Tätigkeit ausführender Interpreten diskutieren lassen – es geht um Freiheitsgrade. Sei es nun die Abweichung und Umspielung von Themen und time in älterem Jazz, das Füllen von Lücken mit licks, das Eindringen in Alltagsstrukturen und ökonomische Welten wie Produktionsprozesse und Sponsoringkonzepte – die Fähigkeit zur Improvisation und die damit verbundenen Möglichkeiten und Erträge sind in den unterschiedlichsten Bereichen erkannt worden. Dem Jazz kommt dabei das zweifelhafte Verdienst eines altbekannten Referenzgröße zu, als „Jazz-Metapher“ in den Stein des Organisationsmanagements gemeißelt, wie Michael Rüsenberg darstellte. Doch ist die Musik keineswegs stehengeblieben. Musikalische Freiheit war seit jeher Anliegen und Interpretationssache der Musiker, ihre vielfältige Auslegung zeigten Lawrence Gushee und Ekkehard Jost in ihren Beispielen. Dass sich Musiker auch in einem Label frei bewegen können, das als Werbeträger für ein Finanzdienstleistungsunternehmen fungiert, erläuterte Paul Steinhardt. Improvisation als Haltung näherten sich der SR-Jazzredaktuer Peter Kleiß und der Posaunist Christoph Thewes – wobei der Musiker fester in der Welt stand. Der Vibraphonist Christopher Dell versteht Improvisation als „Produktionsästhetik“, er drängt auf die Öffnung des Alltags für Unvorhergesehenes und provoziert damit unvorhersehbare Reaktionen. George Lewis erläuterte, dass auch Computer improvisieren können. Sein Programm „Voyager“ ist ein echter Mitspieler, es reagiert auf die Musiker, treibt sie an, ignoriert sie bisweilen und ist in seinen Aktionen und Reaktionen nicht wirklich berechenbar – doch ist es nicht in der Lage, eigenständig seine ästhetischen Prinzipien zu verändern. Improvisation ist doch nicht so einfach, wie auch der Musikwissenschaftler Martin Pfleiderer zeigte. Musikpsychologischen Versuchen, das Unvorhersehbare klar zu fassen, stellte er Erlebnisberichte von Musikern entgegen, die gerade das Moment des Nicht-Rationalen betonen. Wolfram Knauer, Leiter des Jazzinstituts, drang in das Verständnis improvisierender Jazzmusiker ein. Die Trias „Noodlin’, Doodlin’ and Playin’ Around...“ war Ausgangspunkt, Improvisationsästhetiken der Jazzgeschichte auf die notwendigen handwerklichen Grundlagen abzuklopfen. Deren Wandel in den letzten Jahren markierte Peter Niklas Wilson als „Paradigmenwechsel“. Doch hat das durchaus provokante Wort nicht gezündet, es schien sich hierin eher eine Tradition zu äußern. Und damit relativiert sich letztlich auch ein Paradigma zu einer weiteren Positionierung, einer neben anderen. So wurde Improvisation jenes nebulös bewundernden Staunens entkleidet, mit dem es von Seiten des Publikums und der Kritik oft behangen ist, letzten Endes aber konnte das Faszinosum Improvisation doch nicht umfassend aufgeklärt werden, wie das Konzert des Italian Instabile Orchestra bewies: es blieb noch ein Rest Unerklärliches – zum Wohle der Musik. Kai Lothwesen
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