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Das muss ich Ihnen jetzt erzählen. Gestern erhielt ich einen Anruf von einem gewissen Stefano. Es stellte sich heraus: Das war mein verschollener Jugendfreund Stephan. Wir waren einst zusammen durch dick und dünn gegangen, vom Sandkasten bis zum dritten Liebeskummer. Dann haben wir uns zerstritten. Über Musik natürlich. Wir konnten uns noch einigen über den Wert von „Bitches Brew“ (wenn auch mit sehr kontroversen Argumenten), aber bei Weather Report war Schluss. Zwei, drei Jahre mieden wir einander, dann verloren wir uns ganz aus den Augen. Gestern also: ein Anruf aus heiterem Himmel. Er sei jetzt Jazz-Produzent mit eigenem Label in Milano, sagte Stefano mit singendem Akzent. Allerdings mache er nur eine CD pro Jahr, denn seine höchste Aufgabe sehe er darin, Musikern überflüssige Platten auszureden. Ob ich zum Beispiel den Saxophonisten Ivo Perelman kenne? Der verdiene als Kunstmaler so viel, dass er in den letzten vier Jahren acht Platten machen konnte. „Hätte er das Geld lieber zur Erhaltung des Regenwalds gespendet!“, stöhnte Stefano. „Oder John Wolf Brennan: Auch ein wunderbarer Musiker, aber er veröffentlicht ständig auf drei Labels gleichzeitig! Und Fred Hersch! Rief mich kürzlich an und meinte: ,Ich könnte vier Platten im Jahr machen, nur der Markt verträgt es nicht.‘ Ich sagte: ‚Ich könnte 200 Platten im Jahr machen, aber ich mute das niemandem zu.‘ Der Markt, das sind schließlich die Menschen. Die wollen nicht jeden Tag Spaghetti Bolognese essen, wenn die Speisekarte acht Seiten hat. Vielleicht ist ein Künstler einfach einer, der seine Leidenschaften nicht unter Kontrolle bringt. Fred sagte, er werde darüber nachdenken.“ Ich versprach Stephan, ihn für seine CD-Verhinderungsarbeit baldmöglichst als SWR- oder JazzPar-Preisträger vorzuschlagen. Dann stritten wir noch ein bisschen über Weather Report, aber es war nicht mehr wie früher. Rainer Wein |
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