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Dreimal Nietzsche: Zuerst seine Einsicht, die, seinen eigenen Denk-Pattern und Ideen-Clustern zufolge, auch eine Artistenperspektive, eine Musikerwertschätzung genannt werden könnte, nämlich dass das Herzinnerste der Welt reiner Klang sei, ein abgründiger dionysischer Sound. Dann seine Unterscheidung zwischen daseinsbejahender, existenzsteigernder Musik, für die Bizets „Carmen“ zum Modell wurde und der pessimistisch-suizidären, auflösenden „unendlichen Melodie“ Wagners. Schließlich seine Wut auf das Ungenügen aller Versuche, Musik in Sprache zu übersetzen. Genau das aber versuchte er selbst ständig, wobei er seine Prosa zum verführerischen, melodienreichen und polyrhythmischen Allzweck-Medium verfeinerte. Und am Ende seine ultimate Attacke auf Wagner, den Komödianten des Schmerzes und der Erlösungssehnsucht, der die Musik an die Bühne, an Schauspielerei und Maskenspiel verraten habe. Man ahnt, dass Nietzsche nicht nur dem Gesamtkunstwerk, sondern schon dem Musiktheater misstraut, dass er seine opiatischen und hypnotischen Reize, die Effektmacherei, deren Meister Wagner war, verabscheute. Und was wollte er –angeblich, muss man hinzufügen, weil er sich selbst ständig dementierte? Den hellsten Mittag, die klarste Melodie, Rhythmen, die den Körper in Bewegung setzen, einen Gott, der zu tanzen versteht. Und wie promotet Erika Stucky ihr neues Album „Lovebites“ (Traumton Records)? „Musik ist ein ewiges Mysterium, das mit den Assoziationen der Menschen wie mit intelligiblen Schachfiguren spielt.“ Sie selbst ist eine Virtuosin in der Erzeugung und Vernichtung von Schein. Jede Stucky-Jazz-Tournee verwandelt sich in ein Pathos Transport Theater. Sie verzaubert, aber wie eine böse Fee. Alles, was sie singt und sagt und tut ist sexuelles Dynamit, d.h. sie jagt überlieferte Rollen, Szenarien, Erwartungen in die Luft. Aber ein bisschen was von allem will sie zurückbehalten, damit das große Spiel weitergehen kann. Und zwar, weil Erika Stucky immer das Unmögliche will, auf die paradoxeste Weise: unschuldig und bewusst zugleich. Wenn Erika Stucky noch einmal „A Whiter Shade of Pale“ singt, nein inszeniert, dann ist das treuester Elevendienst und zugleich Implosion einer großen Sehnsucht. Und ihre Cover-Version von Nazareths „Love Hurts“ weiß natürlich von dem Gebrauch, den ganze Teenie-Generationen von diesem Song gemacht haben. Erika Stucky ist skeptisch, aber sie denunziert nicht. Manchmal hat man den Eindruck, ihre Art von dekonstruktivem Jazz unternehme den waghalsigen Versuch, das reine Gefühl oder das wilde Begehren von all den bösen Bildern zu befreien, mit denen jede Gesellschaft jeden Einzelnen so lange traktiert bis nichts von ihm übrig bleibt. Am Ende schmerzt die Liebe, weil von der großen Emotion nur die Struktur blieb, das Verhaltens- und Erwartungsmodell, das jeden in die Falle lockt und das Leben fatal werden lässt. Erika Stucky wehrt sich dagegen mit einer Art Jazz, die das Pop- und Folk-Universum entschieden kannibalisiert, das alles, was es bisher schon gab (und was Klang wurde) noch einmal auf die Bühne bringt und verwandelt. Während Nietzsche am Beispiel Wagner zu demonstrieren versuchte wie jeder Musiker, der sich eine Maske aufsetzt und zu schauspielern beginnt, notwendig zum Lügner wird, verstellt und kostümiert Erika Stucky sich nur, um eine Wahrheit zum Vorschein zu bringen. Und die Pippi-Langstrumpf-Attitüde verhindert, dass sich ihr Publikum rechtzeitig in Sicherheit bringt. Erika Stucky hat nicht nur eine Identität, sondern viele; in der Musik, aber auch mimisch/mimetisch. Das Anders- oder eine Andere-Werden ist bei ihr Subversion. Auch Johnny Cash, der noch erleben durfte, wie er zum Mythos wurde, war ein Schauspieler. Einer, der sich ein Kleid anzieht und eine Maske aufsetzt, damit anderen bewusst wird, wer sie sind und was mit ihnen geschieht. Er hatte den Blues und in ihm rumorte „all that jazz“, stellvertretend für sein Publikum. Er sang für Präsident Nixon und für die Mörder in St. Quentin, fast zur gleichen Zeit; und offenbar wurde seine Botschaft verstanden. Verletzte er Nietzsches Reinheitsgebot für Musiker, weil er sang: St. Quentin, ich hasse jeden Inch von dir, obwohl er persönlich doch gar nichts von der Gefängnishölle, von der „death row“-Verlorenheit wusste? Aber was heisst Authentizität in Song-Zusammenhängen? Die Mörder und sonstigen „outlaws“ verstanden ihn; sie quittierten seine Sätze und Sounds mit einem fast schon ekstatischen Jubel. Was an Johny Cashs Musik befreite? Waren es die Worte, die Haltung, die er verkörperte oder gibt es in seinen Liedern einen Gestus, der vor- und außersprachlich ist, einen Trost- und Transzendenz-„Lärm“. All That Jazz. Es gab von Johnny Cash die Bekenntnisse, die gern gehört wurden (und vielleicht von jedem anders),etwa das „because of you I found it very, very easy to be true“, die Geradlinigkeits-Hymne, die auf merkwürdige Weise mit den „murder ballads“ kontrastierte, all den privaten Weltkriegen, den Ehehöllen und Verlassenheiten, die jedes Verständnis übersteigen. Was trotzdem klar blieb, war die Haltung, das Symbol. Am deutlichsten vielleicht, wenn er coram publico erklärt, warum er der „man in black“ ist und bleiben muss. Die schwarze Kleidung verbindet sich dann mit dem unauslöschlichen Elend, dem Bösen, das Menschen Menschen antun. Ein Schauspieler? Einer, der auf Effekte setzt, die nicht nur für Nietzsche per definitionem „billig“ sind? Oder der Virtuose eines dionysischen Protests, der an den Existenz-Grund rührt? Helmut Hein
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