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Jazz – das ist Musik des Augenblicks – manchmal für
die Ewigkeit. Momente, nur im Konzert zu erleben: Wenn der 78-jährige
Coco Schumann seinem um fast 20 Jahre jüngeren Gitarristen-Kollegen
Larry Coryell gebannt zuhört, bescheiden am Rand des Saals sitzt,
sich zwei Stunden lang nicht von der Stelle rührt, nach jedem Titel
klatscht wie alle anderen, ein wenig verlegen das Lob des „großen
Larry Coryell“, wie Coco ihn angekündigt hatte, entgegen nimmt
– all that jazz, Musik ohne Generationskonflikt. Ein magischer Augenblick
beim zehnten Chemnitzer Jazzfest im Oktober. Das zehnte Jazzfest ist Geschichte – und es hatte wirklich manchmal festliche Züge. Etwa bei den großen Gigs mit Coco Schumann und Larry Coryell (unser Titelbild, Pressefoto Schmidt) und beim Abschlusskonzert mit der Piano-Diva Tania Maria, aber auch bei den kleinen Konzerten im Bier- und Brausebad, dem neuen Domizil des Jazzclubs. 120 Zuhörer drängten sich bei Joe Sachses Beatles-Projekt, rund 60 Gäste feierten Christoph Modersohns C major Jazz Innovation. Harald Krause setzt auf das Verbindende der Musik, auf Brücken zwischen den Stilen und den Generationen der Musiker und des Publikums. Und zuweilen gelingt das, strahlt die Musik aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Coco Schumann und Larry Coryell: „Ich bin Musiker. Ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der die Musik macht… Die Richtung ist klar: Back to the roots, in jene Welt, in der meine Seele zu Hause ist, in den Swing.“, sagt Coco Schumann von sich. Das konnte er auch in der Zeit des deutschen Faschismus nicht, als ihn die Nazis in die KZs Theresienstadt, Auschwitz und Dachau steckten. Aber es ist nicht nur das bewegte Schicksal des 1924 Geborenen, der die reichlich 300 Zuhörerinnen und Zuhörer gebannt und respektvoll lauschen lässt. Das Coco-Schumann-Quartett überzeugt – nach kurzer Einspielphase – auch musikalisch. Ein alter Mann spielt liebevoll seine Lieblingsmusik: „Take The A Train“, „Day By Day“, „Autumn Leaves“ („eine der schönsten Balladen, die je geschrieben wurden“, sagt er), „Georgia On My Mind“. Die Spielfreude ist den Musikern ins Gesicht geschrieben und es ist, als spiegeln sich darin auch all die Situationen, in denen sie diese Titel schon gespielt haben: als Mitglied der Ghettoswinger in Theresienstadt, in Striplokalen, auf Ozeandampfern, wo diese Musik mal Freude gestiftet hat, mal ein geheimes Zeichen war für Freundschaft, Zusammenhalt, Widerstand gegen den Gleichschritt. Coryell, einer der Väter des Jazzrock in den 70ern, hat mit dem Bassisten Mark Egan und dem Schlagzeuger Paul Wertico zwei kongeniale Begleiter gefunden. Das Trio spielt engagiert und berührt von Beginn an, beherrscht warme, lyrische Passagen, etwa in Duke Ellingtons „In A Sentimental Mood“ oder Henry Mancinis „Moon River“, genauso wie expressive, jazzrockige Kracher – das diesmal Coco Schumann gewidmete „Spaces Revisited“ – oder dramatische Episoden wie den Coryell-Klassiker „Dragon Gate“, und jeder steuerte beeindruckende Soli bei. Jazz ohne Generationskonflikt, nicht im Gleichschritt, aber aus dem selben Geist. Einem Geist, dem auch Christoph Modersohns C major Jazz Innovation entstammt. Gemeinsam mit dem erfindungsreichen Pianisten Holger Mersch, dem gefühlflippigen Tino Scholz am Bass und dem Drummer Ralf Grötzschel, der seine sensible, auch mal explodierende Perfektion hinter einem Abteilungsleiter-Image verbirgt, überzeugt er bei Klassikern von Brubeck, Shorter, Powell und Haden ebenso wie bei eigenen Kompositionen des Quartetts, das seine Stärken sowohl in wunderbar lyrischen Passagen wie auch in lebhaft-aufgeweckten Stücken hat. Kultur lebt von den Nischen, lebt von und mit den dunklen Ecken abseits der Hauptstraße, lebt von dem etwas Anderen, das nicht unbedingt das Bessere sein muss, aber eben das Andere. Erst dies schafft Bewegung, Reibung, Auseinandersetzungen, eben Leben. Und deshalb ist es ein Glück für Chemnitz, dass das Jazzfest überlebt hat. Matthias Zwarg |
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