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Jazzzeitung

2002/12-2003/01  ::: seite 1

titelstory

 

Inhalt 2002/12-2003/01

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Milt Jackson
all that jazz:
Schnittstellen
no chaser:
Midlife Crisis
Farewell.
Zum Tode des Pianisten Dodo Marmarosa
Farewell.
Die Jazzzeitung verabschiedet sich von …
Leserbriefe. Club-Öffnungszeiten und Format der Jazzzeitung


TITEL


Magische Momente. Das Jubiläums-Jazzfest in Chemnitz


BERICHTE


Berlin.
JazzFest Berlin und Total Music Meeting finden reißenden Absatz
Halle. Bill Frisell: Jazz in der Oper
Ingolstadt. Freddie Hubbard & the New Composers Octet
München. 10 Jahre Jazz & mehr im Bayerischen Hof: die Konzerte
München. Jazzfest der Jazzmusiker-Initiative
Murnau. Das Festival „Grenzenlos“
Thüringen. Jazzmeile mausert sich


 JAZZ HEUTE


Idealismus und Liebe. 25 Jahre Jazzkeller im Mautnerschloss Burghausen
Kompetenz aus Neuburg. Ingolstadt und Berlin: Birdland Jazzclub sorgt für Verbindungen
5 Fragen an Thomas Eckardt (Jazzmeile Thüringen)


 PORTRAIT / INTERVIEW


Love Letters.
Michel Petrucciani wäre 40 geworden
Improvisation und Globalisierungskritik. Sandy Evans reist nach Bali, New York und Berlin
Spannung im kreativen Raum. Johannes Enders und seine Sehnsucht nach dem eigenen Sound
Seele, Spass und Saxophon. Bill Evans und sein neues Album „Big Fun“


 PLAY BACK / MEDIEN


Mutig und gelungen.
Sprengt alle Dimensionen: Miles-Davis-Box
CD. CD-Rezensionen 2002/12
DVD. Keith Jarrett – Standards & Standards II
Bücher. Bücher zu Eldrige, Baker und Free Jazz
Noten. Neue Notenausgaben für Gitarristen und Instrumentalensembles
Internet. Link-Tipps


 EDUCATION


Abgehört 11. Saxophonist Chris Potter über „Willow Weep For Me“
Deutscher Musikrat in Gefahr.
Statements
BuJazzO vor ungewisser Zukunft. Für junge Jazzer ist das Bundesjazzorchester nicht nur „Kult“, sondern unverzichtbar


DOSSIER


Alle Jahre wieder.
Die Jazzzeitung gibt Geschenktipps für Xmas
Grosser Sprung für die Menschheit. CD/DVD-Projekt entführt in fremde und doch vertraute Welten
Frankie geht nach Hollywood. 6-CD-Box des Jahres: Frank Sinatra in der Traumfabrik
Fremder in der Nacht. Die Bert-Kaempfert-Story: als Buch und auf CD
Opas Jazz ist doch nicht tot. Aus dem Leben des Nestors des deutschen Jazz: Opa Hirchleitner
Für Bauch und Beine. Alte Groove-Jazz-Alben in neuem Glanz
Was ist Jazz? Martin Kunzlers „Jazz-Lexikon“ in Neuauflage
CDs für Weihnachten. 5 CDs – Von Gillespie bis Muthspiel


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2002/12 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (284 kb))

 

Magische Momente

Das Jubiläums-Jazzfest in Chemnitz

Jazz – das ist Musik des Augenblicks – manchmal für die Ewigkeit. Momente, nur im Konzert zu erleben: Wenn der 78-jährige Coco Schumann seinem um fast 20 Jahre jüngeren Gitarristen-Kollegen Larry Coryell gebannt zuhört, bescheiden am Rand des Saals sitzt, sich zwei Stunden lang nicht von der Stelle rührt, nach jedem Titel klatscht wie alle anderen, ein wenig verlegen das Lob des „großen Larry Coryell“, wie Coco ihn angekündigt hatte, entgegen nimmt – all that jazz, Musik ohne Generationskonflikt. Ein magischer Augenblick beim zehnten Chemnitzer Jazzfest im Oktober.
 
Harald Krause, Vorsitzender des Chemnitzer Jazzclubs, hat einen Traum: Er möchte, dass Chemnitz, die selbsternannte Innovationshauptstadt im Süden Sachsens, auch eine Stadt des Jazz wird, dass Jazz den kulturellen Rhythmus der Stadt mitbestimmt. Dafür kämpfen er und der reichlich 20 Mitglieder zählende Jazzclub seit Jahren. Einfallsreich, aufopferungsvoll, engagiert.

Das zehnte Jazzfest ist Geschichte – und es hatte wirklich manchmal festliche Züge. Etwa bei den großen Gigs mit Coco Schumann und Larry Coryell (unser Titelbild, Pressefoto Schmidt) und beim Abschlusskonzert mit der Piano-Diva Tania Maria, aber auch bei den kleinen Konzerten im Bier- und Brausebad, dem neuen Domizil des Jazzclubs. 120 Zuhörer drängten sich bei Joe Sachses Beatles-Projekt, rund 60 Gäste feierten Christoph Modersohns C major Jazz Innovation.

Harald Krause setzt auf das Verbindende der Musik, auf Brücken zwischen den Stilen und den Generationen der Musiker und des Publikums. Und zuweilen gelingt das, strahlt die Musik aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Coco Schumann und Larry Coryell: „Ich bin Musiker. Ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der die Musik macht… Die Richtung ist klar: Back to the roots, in jene Welt, in der meine Seele zu Hause ist, in den Swing.“, sagt Coco Schumann von sich. Das konnte er auch in der Zeit des deutschen Faschismus nicht, als ihn die Nazis in die KZs Theresienstadt, Auschwitz und Dachau steckten. Aber es ist nicht nur das bewegte Schicksal des 1924 Geborenen, der die reichlich 300 Zuhörerinnen und Zuhörer gebannt und respektvoll lauschen lässt. Das Coco-Schumann-Quartett überzeugt – nach kurzer Einspielphase – auch musikalisch. Ein alter Mann spielt liebevoll seine Lieblingsmusik: „Take The A Train“, „Day By Day“, „Autumn Leaves“ („eine der schönsten Balladen, die je geschrieben wurden“, sagt er), „Georgia On My Mind“. Die Spielfreude ist den Musikern ins Gesicht geschrieben und es ist, als spiegeln sich darin auch all die Situationen, in denen sie diese Titel schon gespielt haben: als Mitglied der Ghettoswinger in Theresienstadt, in Striplokalen, auf Ozeandampfern, wo diese Musik mal Freude gestiftet hat, mal ein geheimes Zeichen war für Freundschaft, Zusammenhalt, Widerstand gegen den Gleichschritt.

Coryell, einer der Väter des Jazzrock in den 70ern, hat mit dem Bassisten Mark Egan und dem Schlagzeuger Paul Wertico zwei kongeniale Begleiter gefunden. Das Trio spielt engagiert und berührt von Beginn an, beherrscht warme, lyrische Passagen, etwa in Duke Ellingtons „In A Sentimental Mood“ oder Henry Mancinis „Moon River“, genauso wie expressive, jazzrockige Kracher – das diesmal Coco Schumann gewidmete „Spaces Revisited“ – oder dramatische Episoden wie den Coryell-Klassiker „Dragon Gate“, und jeder steuerte beeindruckende Soli bei. Jazz ohne Generationskonflikt, nicht im Gleichschritt, aber aus dem selben Geist. Einem Geist, dem auch Christoph Modersohns C major Jazz Innovation entstammt.

Gemeinsam mit dem erfindungsreichen Pianisten Holger Mersch, dem gefühlflippigen Tino Scholz am Bass und dem Drummer Ralf Grötzschel, der seine sensible, auch mal explodierende Perfektion hinter einem Abteilungsleiter-Image verbirgt, überzeugt er bei Klassikern von Brubeck, Shorter, Powell und Haden ebenso wie bei eigenen Kompositionen des Quartetts, das seine Stärken sowohl in wunderbar lyrischen Passagen wie auch in lebhaft-aufgeweckten Stücken hat.

Kultur lebt von den Nischen, lebt von und mit den dunklen Ecken abseits der Hauptstraße, lebt von dem etwas Anderen, das nicht unbedingt das Bessere sein muss, aber eben das Andere. Erst dies schafft Bewegung, Reibung, Auseinandersetzungen, eben Leben. Und deshalb ist es ein Glück für Chemnitz, dass das Jazzfest überlebt hat.

Matthias Zwarg

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