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Es war einmal ein umtriebiger Jazzjournalist in den 50er-Jahren, der hatte genug vom tierisch ernsten Umgang mit einer Musik, die seiner Meinung nach auch mit Spaß und Humor behandelt werden sollte. Er hieß H. Werner Wunderlich, war Sekretär der Deutschen Jazzföderation und Vorsitzender des „hot-circle-darmstadt“, einem Club im Kellerraum der Technischen Hochschule, der regelmäßig Konzerte veranstaltete. Diesem Herrn fiel eines schönen Tages „ein Bild in Postkartengröße in die Hand, das einen alten Herrn mit weißem Kinnbart zeigte. Woher ich das Bild hatte, weiß ich nicht mehr, und niemals hatte ich eine Ahnung, wen es darstellte. [...] Woher mir die Eingebung kam, weiß ich auch beim besten Willen nicht mehr, aber ich nahm einen Stift, schrieb auf den weißen Streifen am unteren Rand des Bildes „Georg ‚Opa‘ Hirchleitner, der Nestor des deutschen Jazz“. Der erfundene Nestor begann bald, auch andere Jazzexperten zu interessieren, darunter die Redakteure des Magazins „schlagzeug“ aus Berlin, und Herr Wunderlich begann, unter dem Pseudonym „Heinz Werner“ eine abenteuerliche und vergnügliche Geschichte in zwölf Fortsetzungen zu fabulieren. Dabei bediente er sich der dichterischen Freiheit und verschiedener Bilddokumente, unter anderem aus seinem eigenen Familienalbum. Zirka 40 Jahre später grübelte ein anderer Nestor des Jazz namens Richard Wiedamann, der aus purer Leidenschaft sogar ein Institut für diese Art von Musik gegründet hatte und ganz in der Nähe des angenommenen Geburtsortes von Opa Hirchleitner ansässig war, im Bayerischen Jazzinstitut in Regensburg nämlich, darüber nach, warum der deutschen Jazzszene wieder der Humor abhanden gekommen ist. Er befand, die Opa-Biografie könnte auch heute noch so manchen Fan erfreuen. Er fand einen Partner im Geiste (Richard Weize von Bear Family), die passende Musik dazu und eine Illustratorin, die ebenfalls Feuer fing (s.o.). Heraus kam vorliegendes so genanntes Digi-Pack (für Laien - wie mich: besonders schön gestaltete aufklappbare CD-Box mit buchartigem dicken Booklet). Allerlei Abenteuer hat Ludwig Max Georg Hirchleitner, geboren am 16. Juli 1873 zu Bollhausen an der Donau, zu bestehen, bevor er wieder angekommen in der alten Heimat, „zufrieden in sein Weinglas schmunzelnd“ den jungen Leuten beim Musikmachen zuhört und schließlich zufrieden vor seinem unentbehrlichen Phonographen der verdienten ewigen Ruhe entgegen schlummert: Von Kindheit an ein Meister der Posaunen wird er von einem Onkel nach Amerika eingeladen, ausgerechnet in die Nähe von New Orleans verschlägt es ihn, wo „dunkelhäutige Menschen bei eigentümlichen Gesängen wirkten“. Er findet sofort Zugang zur örtlichen Musikerszene und ist an der Erfindung des Begriffs „Jazz“ maßgeblich beteiligt. Doch mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Das Ganze sollte man sich selber bei einem Glas Wein zu Gemüte führen. Der Soundtrack dazu wird auch mitgeliefert. Kein geringerer als Albert Mangelsdorff nämlich vertonte 1958 vier Episoden aus dem Leben des Opa, produziert wurden die Nummern mit dem Jazz-Ensemble des Hessischen Rundfunks. Und einige weitere Kleinodien, Aufnahmen aus den frühen Mangelsdorff LPs und Eps „Rhein-Main-Jump“ und „A Ball With Al“, der frühen Jazzjahre in Frankfurt komplettieren das Hörvergnügen (schon damals mit dabei: Dusko Goykovich, Hans Koller, Joki Freund und Pepsi Auer). Es besteht allerdings die Gefahr, dass es einen bei diesen schwungvollen bluesigen Fetzern dann doch noch aus dem bequemen Lesesessel hebt. Ursula Gaisa
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