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Die Midlife-Crisis beginnt bei Männern neuerdings im Alter von 26. Da stellen sie zum ersten Mal fest, dass sie die neueste Popmusik blöd finden und dass die 16-Jährigen in der S-Bahn Wörter gebrauchen, die noch nicht im Wörterbuch stehen. Nun wächst die Gefahr, in der existenziellen Verwirrung des Selbstwerts etwas akut Dummes zu tun: aus dem Fenster zu springen oder mit einer Pumpgun um sich zu schießen oder sich still und leise ins Ausland abzusetzen. Dagegen hilft nur die Männergesprächsrunde, echt wahr. Seit einem halben Jahr treffen wir uns jetzt jeden Dienstag im örtlichen Therapiezentrum zu einem Kasten Franken-Brunnen und reden uns die Probleme des Mittelalters von der Seele. Und da kommt eine ganze Menge zusammen: Der eine hat Wirbelverkrümmungen vom Workout, der andere Kniebänderknoten vom Snowboarden, ein dritter Zwerchfellrisse vom Discotanzen. Lauter echte Midlife-Invaliden. Ich war in unserer Runde bisher eher schweigsam, denn schließlich rede ich nur über Jazz und treibe keinen Sport, Sie kennen mich ja. Aber seitdem wir mit den eigenen Wehwehchen weitgehend durch sind und sich unser Blick geweitet hat auf die Krankengeschichten von Freunden, Kollegen und Promis, habe ich eine ganze Menge zu sagen. Habe ja nicht umsonst die Biographien meiner Lieblingsmusiker studiert und kenne mich genauestens in ihren Gebrechen aus. Pat Martinos Aneurysma zum Beispiel kommt immer gut, das kann man mehrmals bringen. Zusammenbruch, Operation, Gedächtnisverlust: ein echter Renner. Oder Eric Dolphys nicht erkannter Diabetes und sein plötzlicher Tod in Berlin. Michel Petruccianis Glasknochenkrankheit. Und so weiter, Blindheit, Krebs, Drogen. Manche Geschichten wollen sie immer und immer wieder hören. Und das Schönste daran ist: Meine Zuhörer fühlen sich gleich wieder viel jünger und rundum gesund. Rainer Wein |
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