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Ausverkauftes Haus im Audi-Forum in Ingolstadt: Freddie Hubbard & the New Composers Octet wollten hören lassen, wie moderner Jazz im Large Ensemble klingt. Es wurde ein reichlich verwirrender Abend, der Verfall, Kämpferqualitäten und Genie der Trompetenikone gleichermaßen dokumentierte. 1958 galt er als der neue Überflieger der New Yorker Jazzszene, in den 60ern war er an Ornette Colemans epochemachendem Album „Free Jazz“ und an John Coltranes „Ascension“ beteiligt und arbeitete mit Friedrich Gulda. Den Grammy gewann er 1972 noch vor dem großen Miles Davis. Darauf ist er bis heute stolz. Doch seitdem ist viel Wasser den Hudson und viel Jack Daniels die Kehle herunter geflossen. Lange Jahre blieb Freddie Hubbard von der Bildfläche verschwunden. Eine langwierige Lippenverletzung hatte ihn 1994 vollends aus der Bahn geworfen. Im vorigen Jahr hieß es dann „Hub is back“ und in der Tat zeugte eine beachtliche CD von der musikalischen Wiedergeburt des Trompeters. So ganz jedoch scheint ihn trotz der helfenden Verbindung zu den Jungs vom New Composers Orchestra die Freundschaft zu Jack Daniels nicht losgelassen zu haben. In Ingolstadt ließ der Meister reichlich lange auf sich warten, betrat den Saal mit Trenchcoat und Hut erst, als die Band das erste Set längst begonnen hatte, und setzte sich erst mal gemütlich grinsend in den Zuschauerraum um seinen acht Mitstreitern beim zweiten Vorspiel zuzuhören. Die kamen sehr gut zurecht, zeigten, was sie können – in sehr schönen Soli und geschlossenem Ensemblespiel, das die Kompositionen des wartenden Stars in komplexen farbenreichen Arrangements darbot: Myron Walden am Alto mit eloquentem Biss, Jimmy Green am Tenor mit scharfkantiger Prägnanz, Steve Davis an der Posaune mit gestochenem Ansatz, Chris Karlic am Baritonsaxophon mit schneidigem Akzent, Xavier Davis am Piano mit harmonischer Finesse, Dwayne Burno am Bass mit pulsierendem Drive, E.J. Strickland am Schlagzeug mit Blakey-liker Energie und David Weiss, der mit glasklarem Sound an der Trompete his masters voice ersetzt, wo immer es nötig ist, auch als der nach „kurzer“ Pause endlich auf der Bühne erscheint. Freddie Hubbard stößt um 21.23 Uhr erstmals ins Flügelhorn – „We’re gonna see what happens!“ –, und die Zuhörer erleben nicht nur die Schwäche, sondern vor allem auch das Kämpferherz des 64jährigen. Seine Unpässlichkeit ist nicht zu übersehen, sein brüchiger Ton, die völlig außer Rand und Band geratene Dynamik und seine Ansatzprobleme sind nicht zu überhören. Dennoch: Innerhalb kurzer Zeit beherrscht er den Ort des Geschehens. „One of Another Kind“, „Blue Spirits“, „True Colors“ oder „Red Clay“ – „This is what kept me alive!“ – zeugen in filigran ausgetüftelten Arrangements von der beseelten Kreativität eines großen Genius des Jazz, der eine ungeheure Musikalität wenn nicht mehr in den Lippen, so doch in jeder Faser seiner Persönlichkeit hat. Obwohl er kaum selbst spielt – insgesamt vier kurze Soli – und die eigentliche Aktivität dem New Composers Octet überlässt, setzt allein seine Anwesenheit jede Menge Energie frei. Hubbard ist in stetem Kontakt mit der Band, gibt ein kurzes Riff, den Ansatz einer Linie, den Impuls einer Idee vor, versprüht Inspiration und hat gut anderthalb Stunden lang gemeinsam mit dem längst versöhnten Publikum sichtliche Freude daran, wie seine Werke für einen erfüllten Augenblick Gestalt annehmen. Tobias Böcker |
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