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Etwas Raunendes ist um Bill Frisell. Was soll man vom 51-Jährigen aus Seattle halten, der seit Anfang der 80er Jahre Platte auf Platte türmt auf dem Weg zu seinem immer unverwechselbareren Stil? Was halten von einem, der Bands und Formen wechselt im Jahrestakt? Der einer der gefragtesten Gastmusiker dieser Tage ist? Der immer wieder die Erwartungen unterläuft und doch einer der am höchsten geschätzten Gitarristen der Gegenwart ist? Bill Frisell, der schweigsame Sonderling, der Alleskönner, der Ironiker aus dem amerikanischen Idyll? Das publikumsscheue Chamäleon? Der stille Jongleur von Klangflächen und Sounds? Der Intellektuelle? Der Poet? Der gehemmte Nostalgiker? Das dritte Jahr von Halles „Jazz in der Oper“ hätte am Sonntagabend nicht besser eingeläutet werden können als mit dem Bill Frisell Sextett, das wegen einer Erkrankung von Trompeter Ron Miles zum Quintett geschrumpft war. Saal und Ränge waren ordentlich gefüllt, als eine gut gelaunte Band sich vom Stimmen der Instrumente her nahtlos in den Impressionismus des ersten Stückes tastete. Viel Drehen und Drücken am Gitarrenequipment, viel Zeit, dann erste Motivandeutungen, ihr Drehen und Wenden, und irgendwann steht es: ein wohliges Haus aus Musik auf einem weiten Feld. Nach drei, vier ineinander übergehenden Stücken gönnt sich Frisell den ersten Applaus. Wenn er lächelt, zeigt er die Zähne. Und weiter ins Weite. Komm ins Offne, Freund… Längst geht es nicht mehr ums Ausstellen virtuoser Fingerfertigkeit, ums Höher, Schneller, Weiter. Es geht um ein ruhiges, erwachsenes Musikkonzept, um einen uramerikanischen Soundtrack. Fast könnte es egal sein, wer mit Frisell durch sein Land schreitet. Fast könnte man übersehen, dass mit Kenny Wollesen einer der momentan spannendsten Drummer der New Yorker Downtown-Szene das Fundament gießt, wobei der wie so oft mit Bassist/Gitarrist Tony Scherr ein Dreamteam bildet. Fast werden Sidiki Camaras Perkussionsakzente und Trance-Gesänge sekundär, fast möchte man sich die gewöhnungsbedürftige Geigerin Jenny Scheinman wegdenken. Aber eben nur fast, weil im bedächtigen Fortgang der Ereignisse das Projekt so entwaffnend stimmig wird wie noch jedes von Bill Frisell. Mit Bono Vox hat er gespielt und mit John Zorn, mit Elvis Costello und Jan Garbarek, mit Marianne Faithful und Paul Bley, mit Elvin Jones und Dave Holland. Jüngst hat er das enorm erfolgreiche Debüt der Norah Jones veredelt. Hergekommen gleichermaßen von der Zapping-Ästhetik der US-Avantgarde wie von der ECM-Ruhe, hat er sich zum Verschmelzer aller Amerikana hingespielt. Jazz kommt bei ihm nur noch unter anderem vor. Madonna steht neben den Neutönern Aaron Copeland und Charles Ives. Nashville und Blue Grass treffen auf Country und Steel Guitar. Folk und Dixie diffundieren in die Blaskapellen des John Philip Sousa oder in Buster Keatons Tapsigkeit. Es geht um die Fährten vom Wilden Westen in die großen Städte. Eine Identitätsfindung, die nicht erst seit dem 11. September bedroht ist. Bill Frisell führt das vor. Wohl auch deswegen gab es in Halle als großartigen Höhepunkt eine hoch energetische Fassung des Dylan-Klassikers „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“. Schneidend, elektrisch und nachhaltig: gebrochener Patriotismus aus der gefährdeten Idylle. Ulrich Steinmetzger |
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