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Murnau, eine kleine Stadt im bayerischen Oberland, liegt 700 Meter über dem Meer vor den Bergen des Karwendel und Wetterstein. 12.000 Einwohner leben in dem Ort mit einer Hauptstraße, in der eine Mariensäule gen Süden schaut wie die in Innsbruck gen Norden.
Anno 2000 feierte man 850 Jahre Murnau, und im „Blauen Land“, wie man die Gegend gerne nennt, wollten die Kulturbeflissenen mehr als nur Musik zu Festen und Feiern beisteuern. Ohne das Festival „Grenzenlos“, vom Gitarristen und Musikschulleiter Thomas Köthe ins Leben gerufen, wäre das nicht möglich gewesen. Mit „Sinti und Roma“ veranstaltete man eine Musikreihe, die genau jene Menschen und ihre Kultur präsentierte, die nicht nur in Murnau zur Vernichtung freigegeben waren. „Kálmán Blogh & The Gypsy Cimbalon Band“, Titi Winterstein sowie Joe Bawelinos – Gypsy Strings und Paco Penas „Flamenco-Nacht“ waren umjubelte Ereignisse. „Grenzenlos“ – das Festival betreibt die Auseinandersetzung mit „den anderen“ auf andere Weise: Es lässt deren Musik klingen und ist damit politisch wirksam, weil es Bewusstsein verändert. Günter Grass nannte das in seinem Grußwort „eine Initiative, die zur Nachahmung anstiften sollte“. 2002 waren es neben den traditionell beteiligten lokalen Gruppen, die zum Thema „transatlantisch“ Musik von Bayern bis Brasilien aufführten, ein unglaublich intensiver Abend mit Aniello und Gennaro Desiderio, die Piazolla, Ginastera und Leo Brouwer im Programm hatten. Emozione, emozione, der Gitarrist rehabilitierte sein Instrument mit orchestraler Virtuosität von dem Vorurteil, Spielzeug für Introvertierte zu sein, und Gennaros Geigenspiel erinnerte eher an Lautmalerei und Lustgesang denn ans virtuose Tangosynkopieren. Damit hatten die beiden den Boden für einen umjubelten Auftritt von Maria João und Mário Laghina vorbereitet. Die João, spätestens seit dem Leverkusen Jazz Festival 1987, wo sie mit Aki Takase Triumphe gefeiert hatte, der Tipp für exorbitantes Fado, Scatten, für Stimmakrobatik und Ausdruckstanz auf der Grundlage von portugiesischer und Weltmusik, riss in Murnau einige hundert Gäste von den Stühlen – knapp zwei Stunden Nonstop-Exhibition. Mit der Breite des Repertoires überschritt sie jede Grenze, ihr Stil ist Musik von allem für alle über alles und in jeder möglichen Form. Eher ruhig ging es zwischen diesen beiden Abenden zu, als Richard Galliano mit seinem Streichorchester ganz traditionell das südamerikanische Timbre mit dem Musette-Akkordeonklang kombinierte – nicht gerade eine Weiterentwicklung in den letzten Jahren, doch immerhin angenehme zwei Stunden. Galliano, das war weniger Ekstase als die João oder die Spannweite der Lust wie die Desiderios, es war mehr Every-Day-Musik, immerhin auf feinstem Niveau. Thomas M. Wellens |
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