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Eigenwillig, der Gumpert. Einzelgänger, dabei einer, der durchaus in der Lage ist, Kollektivgeist zu entfalten. Nicht jene Einheitsstimmung auf kleinem gemeinsamen Nenner, wie sie von so vielen Bands praktiziert wird. Eher das wirkungsvoll koordinierte, mitunter auch spontan inszenierte Mit- und Gegeneinander der Charaktere. Reichlich Reibung also und zum Schluss vielleicht eine Hymne oder die Persiflage auf eine Hymne. Ulrich Gumpert, Klavierspieler und Komponist mit Genealogien merkwürdigster Wahlverwandtschaften. Geboren und aufgewachsen im Thüringischen, begann er seine Studien in Weimar und ging dann nach Berlin, spielte mit Tanzbands und fand Zugang zur Band von Klaus Lenz. Das, sagte er rückblickend, war die eigentliche Schule, wichtiger als die gleichfalls besuchte Musikhochschule „Hanns Eisler“ und die Musikschule in Berlin Friedrichshain. Ende der Sechzigerjahre formierte Ulrich Gumpert ein eigenes Quartett – elektrisch, rockorientiert, jazzinspiriert. Piano, E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug, die Rhythmusgruppe von Klaus Lenz, wenn man so will: die Lenz-Dissidenten. Durch vier Bläser – Trompete, Posaune und zwei Saxophone – erweitert, firmierte das Unternehmen ab Anfang der Siebzigerjahre als „SOK“, in der Nähe zu Vorbildern wie „Chicago“ und „BS&T“, auch „Blut-Schweiß-und-Tränen-Kapelle“ genannt. Heute kaum mehr vorstellbar, wie so etwas damals ablief: „SOK“ spielte zum so genannten Jugendtanz in Klub- und Kulturhäusern. 1972/73 erwies sich als eine Zeit musikalischen Umbruchs. Jazzrock mutierte zunehmend in Free Jazz. Das Gumpert Quartett nannte sich „Synopsis“ und nahm, gemeinsam mit Ernst-Ludwig Petrowsky in der „Großen Melodie“, der Nachtbar im alten Friedrichstadtpalast, eine Kassette auf, die Gumpert den Organisatoren des Warschauer „Jazz Jamboree“ zukommen ließ. Augrund dieser Kassette wurde die Band 1973 zu diesem internationalen Festival eingeladen. Doch das Quartett hatte sich inzwischen aufgelöst und in neuer Besetzung kam eine Viererbande mit akustischem Instrumentarium und einer freien musikalischen Phantasie, die schließlich auch die Polen beeindruckte und in der Folgezeit für den Free Jazz à la DDR wie eine Initialzündung wirkte: Ulrich Gumpert, Klavier, mit Günter Sommer am Schlagzeug, Ernst-Ludwig Petrowsky, Saxophon und Konrad Bauer, Posaune. 1984, anlässlich eines Gastspiels in Paris, formierte sich „Synopsis“ neu, nun unter dem Titel „Zentralquartett“. Wie ironisch dieser Bandname mit Anspielungen an Zentralkomitee und Zentralagentur der DDR auch immer gemeint sein mag – in dieser Band hatten sich die vier profilbestimmenden Musiker für den neuen, den freien, den zeitgenössischen Jazz seit den Siebzigerjahren vereint, und sie hatten zu einem kollektiven Ausdruck gefunden. Sätze, geschrieben in der unmittelbaren Wendezeit, Ende der Achtziger-, Ende der Neunzigerjahre behalten ihre Gültigkeit: Anfang der Achtzigerjahre begann sich Ulrich Gumpert dem Solospiel zuzuwenden. Er entdeckte, was in den Klangexzessen des Free Jazz allzu oft verschüttet wurde: die Konzentration auf den einzelnen Ton, den freistehenden Klang. Konzentration erscheint als eines der Schlüsselworte für diese Gumpert’sche Klaviermusik. Während er zur gleichen Zeit, etwa im Trio „GMU“ mit dem Posaunisten Radu Malfatti und dem Schlagzeuger Tony Oxley der energiegeladenen Hingabe an den kollektiven Spielprozess huldigte, glich die Besinnung auf das Instrument im Solospiel bis an die Angst heran, die Tasten zu berühren. Der Solist Ulrich Gumpert lehrte den Cluster-Jüngern das Fürchten. Nicht von ungefähr entdeckte er in jener Zeit die frühen, vor der vorletzten Jahrhundertwende entstandenen Klavierwerke von Erik Satie. Musik ohne Sauce und Sauerkraut. Nach 1990 schrieb Ulrich Gumpert Filmmusiken zu Tatortkrimis mit Günter Lamprecht als Kommissar Markowitz. Das Milieu, „Berlin – beste Lage“, und die Stimmung – der Blues – kommen dem Komponisten entgegen. Er entwirft Vexierbilder aus (Jazz-)Geschichte und Gegenwart. Film noire für die 90er. In den letzten Jahren entdeckt Gumpert die gute alte Hammond B3 für sich. Wieder ein neuer, also ein alter, aber wiederentdeckter und individuell angeeigneter Sound. „B3 Special“ nennt er das Projekt mit Jan Roder am Bass und Kai Lübke am Schlagzeug, fallweise mit Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky, Helmut Forsthoff oder Silke Eberhard. Was denn, schließlich doch wieder Ami-Jazz? Ja, ja, nein, nein. Erstens klingt das bei diesem Tastenkünstler immer nach Gumpert. Und zweitens liegen zwischen ersten Gehversuchen mit Dixieland und dem „B3 Special“ locker vier Jahrzehnte. Und die Gumpert Band gibt’s (gelegentlich) immer noch, und zur Preisverleihung am 5. November in Berlin spielt ein kühn improvisierendes Quartett mit dem Saxophonisten Ben Abarbanel-Wolff, Jan Roder am Bass, Michael Griener am Schlagzeug und dem Bandleader am Piano: Ulrich Gumpert. Bert Noglik
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