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Wissen Sie, wie man ein richtig großes Fass in einer kleinen Dose aufmacht? Jimi Tenor gelingt das Kunststück, indem er bei seinem Soloprogramm einen musikalischen Zirkus mit nur einem Hauptdarsteller eröffnet. In seinem Direktorenkostüm, psychedelisch gemustert und mit so vielen Löchern, dass es wirklich aus dem Nachlass von John Lennon stammen muss, bändigt Jimi Tenor das elektrifizierte Schrumpforchester, nein, er macht Liebe mit allen Dingen in Reichweite seiner Hände vom Fender Rhodes bis zum Sampler. Wenn er dann noch Querflöte spielt und gleichzeitig singt, was er alles gerne mit seiner Freundin hinter den Sternen anschauen würde, dann geht keiner vor dem letzten Stück. Es sei denn, die Vorband spielt eine halbe Ewigkeit und der Babysitter schreibt eine SMS, dass er nach Hause möchte. Aber warum nicht zurückschreiben, dass man mit einem finnischen Druiden in Sternennebeln unterwegs ist und der Rückweg länger dauert als geplant? In aller Gemütsruhe beugt sich Jimi Tenor über die Beatbox, grinst und überlegt was er als nächstes verbricht. Das Lächeln zwischen seinen Lippen gilt nicht uns, sondern der Basslinie, die jetzt zu blubbern anfängt. Dann vereint sich Tenor mit dem Mikro, säuselt seinen verliebt zuckrigen Soul Sound als stünde er in Bademantel und Bermudashorts im Scheinwerferlicht. In echt: Der Mann trägt weiße Mokassins mit Goldschnalle. Auch die Brille soll erwähnt werden. Das Gestell ist so fett, dass er keine Sonnenbrille braucht. Fett, wie die heftigen Rhythmen, die Tenor für die Tour zum Abtanzen gebastelt hat. Ich stelle mir das so vor. Ein gut behüteter Blondschopf füllt in einem finnischen Import-Schallplattenladen für Black Music sein Taschengeld auf, bis seine Eltern ihm eine Schweineorgel in die Schwitzhütte stellen. Man hört so vielfältiges Bekanntes, es fällt schwer davon zu schweigen! Andererseits hört sich alles hundert Prozent nach TENORISM an. Welcher Eindruck bleibt hängen? Das Zünglein an der Waage ist die Begeisterung mit der sich Jimi Tenor in jeder Sekunde bewegt. Wenn er sich langweilt, dann stellt er sich einen lustigen Sound ein und lacht beim Spielen über das Ergebnis. Man hört richtiggehend, wie sich dann in ihm etwas in Bewegung setzt, um der Musik zu folgen. Wenn er sich auf das Publikum eingroovt, funkeln auf der Lippe unsichtbare Blitze. Jimi Tenor ist so verdammt musikalisch, dass er vom Potsdamer Jazzfest begeistert aufgenommen wird. Er strahlt Energie und Spaß aus, die Technik ist ihm untertan und nicht umgekehrt. Bei einem Soloprogramm macht das eine Menge aus, schließlich tritt der Gute sonst mit Big Band auf. Statt lange zu fummeln, schnippst er die Geräte an und zeigt Gefühle zu dem, was aus den Maschinen hervorballert. Manchmal sieht man richtiggehend, dass Tenor lieber echten Musikern zuhören würde, auch das gehört zu dieser offenen Persönlichkeit dazu. Er guckt dann sein transportables Mischpult an und scheint zu denken: „Ich, zwanzig Millionen Mikroben und dein Netzgerät sind das einzig Warme hier oben auf der Bühne.“ Die langen Improvisationen und seine selbstsichere Stimme führen das Potsdamer Jazzfest jedoch erstaunlich weit weg vom Sparzwang hin zum offenen Raum der Möglichkeiten. Auch das noch: Es gibt eine super Nachricht für die Vinyl-Käufer. Die LP „Higher Planes“ ist mit einer 7-inch Single als Dreingabe ausgestattet, die erstklassiges Material für die nächste Haus-Party abgibt. Wo habe ich sie bloß in meine Plattensammlung gestellt? Unter Jazz oder Funk? Nein, sie steht immer noch unter „Heavy Rotation“! Die aktuelle CD hingegen ist vorsorglich verlagsseitig mit einem Vermerk ausgestattet: „File under > Jazz“. Das Berliner Label Kitty Yo hat dem Künstler ein mit Referenzen gespicktes Cover von Viluki 3.000 spendiert. „Mundus imaginabilis“ verkündet ein Stück Papierrolle dort, wo man das Gehirn des Künstlers vermutet. Jimi Tenor hat sich „Beyond The Stars“ allerhand Freiheit erlaubt. Mehr von so etwas auf Jazzfestivals! Mit Band natürlich. Al Weckert |
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