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„New Orleans steht unter Wasser – Die Stadt braucht unsere Hilfe!“ Mit diesem Alarmruf auf ihrer Homepage startete die Maryland Jazz Band of Cologne gleich nach den ersten Berichten und erschütternden Fernsehbildern des Katrina-Desasters eine Hilfsaktion für in Not geratene Musiker der in Wasser und Schlamm versinkenden „Wiege des Jazz“. Gerhard „Doggy“ Hund, Bandleader und Posaunist, appellierte an die Freunde und Anhänger seiner nicht nur im Rheinland, sondern auch in Belgien, den Niederlanden und in der Schweiz viel gefragten Band: „Wer diese Stadt als Musikmetropole und Geburtsstadt des Jazz liebt, muss jetzt helfen!“ Nach und nach trafen auf „Doggy“ Hunds PC in Kerpen/Rheinland die E-Mails vieler ihm und seiner Band verbundener und befreundeter Kollegen aus New Orleans ein: Alle hatten sich und ihre Familien retten können, zumeist nur mit dem, was sie auf dem Leib trugen, und zum Glück mit ihren Instrumenten. Doch viele hatten ihre Häuser und ihren Besitz verloren, zerstört durch Sturm, Wasser und Schlamm. Der Entschluss stand bald fest – die „Marylands“ musste direkt und unbürokratisch helfen, denn kaum eine deutsche Traditional Band unterhält derart intensive Beziehungen zur Jazz-Stadt am Mississippi. Seit 1979 wird jeweils ein namhafter Musiker aus New Orleans als Gastsolist für die jährliche Herbsttournee der Band eingeladen. Bereits viermal reiste die Maryland zu Gastspielen nach „Big Easy“. Sie spielte etwa in der legendären Preservation Hall und im Palm Court Cafe. 2001 trat sie beim Jazz & Heritage Festival als offizieller kultureller Beitrag Deutschlands auf. 1998 wurde Gerhard Hund persönlich sowie der gesamten Band die Ehrenbürgerschaft verliehen. Diese enge Verbindung der Maryland Jazz Band zu New Orleans und ihren Musikern ist das persönliche Verdienst von „Doggy“ Hund (62), dem umtriebigen und engagierten Musiker, Chef und Manager, im Zivilberuf Leiter einer Grundschule in Kerpen. Im Gespräch mit der „Jazzzeitung“ erinnert er sich an die Anfänge der Maryland, als er 1959 mit anderen Schülern „eine der unzähligen Dixieland-Bands“ gründete, „die Chris Barber kopiert und seine Stücke getreu nachzuspielen versucht haben“. Damals war New Orleans für ihn, der inzwischen 27-mal die Stadt besucht hat, nur ein vager geographischer Begriff. „Erst als ich mich ernsthaft mit den Wurzeln des Jazz auseinandergesetzt habe, mit der Musik von Bunk Johnson, George Lewis und solchen Leuten, wuchs der Wunsch, in die Geburtsstadt des Jazz zu fahren. Das war 1979. Von Anfang an bin ich auf die Menschen zugegangen, habe jede formelle Vorstellung und Einladung ausgenutzt und auf diese Weise ganz schnell Kontakte geknüpft und Freunde gefunden, mit vielen Musikern, die man heute als ‚legends’ bezeichnet.“ Galten in der Folgezeit diese Musikerlegenden als Vorbilder für den Stil der Maryland Jazz Band, so haben sich Repertoire und Spielweise mittlerweile erweitert. Gemäß ihrem heutigen Slogan „New Orleans Jazz live from Today“ werden auch Einflüsse der heute in New Orleans gespielten Musik aufgenommen, zum Beispiel karibische Rhythmen und auch Straßenmusik. Das musikalische Konzept der Maryland Jazz Band kommt auch jüngeren Gastsolisten aus New Orleans entgegen, so wie dem Star der diesjährigen Herbsttournee, dem Posaunisten Lucien Barbarin (49), der sich nicht nur erwartungsgemäß als ausgezeichneter Solist darstellte, sondern überraschenderweise auch als begnadeter Entertainer, von der Band mit Freuden akzeptiert und vom Publikum begeistert aufgenommen. Barbarin, Neffe von Paul Barbarin, Armstrongs Drummer in den Zwanzigern, und Vetter von Danny Barker, dem großen Banjospieler und Gitarristen, gehört heute zu den wichtigsten Musikern New Orleans’. Er hat mit so unterschiedlichen Kollegen gespielt wie Doc Cheatham, Nicolas Payton, Wynton Marsalis und Harry Connick jr., in dessen Big Band er ständiges Mitglied ist. Entsprechend vielfältig sind die bisher fünfzehn CDs, auf denen er mitwirkt. Um ein Lebenszeichen seines fest eingeplanten Gastsolisten musste „Doggy“ Hund am längsten bangen, bis er sich schließlich aus Shreveport/Louisiana meldete, wo er mit seiner Familie beim ältesten Sohn untergekommen war. Der „Jazzzeitung“ schildert Barbarin, wie er einen Tag vor Katrina mit seiner Frau, seinen anderen vier Kindern, fünf Hunden und dem Nötigsten in zwei Autos aus der bedrohten Stadt geflohen war. Eine Woche nach dem Hurricane wagte er sich zurück zu seinem Haus, fand es in erbärmlichem Zustand vor, Bäume hatten das Dach zerschmettert, Möbel, Kühlschrank, Waschmaschine – alles war durcheinander gewirbelt worden. Das zurückgeflossene Wasser hatte sechs Fuß (1,80 m) hoch gestanden und eine Schlammschicht von 40 cm hinterlassen. Nichts war mehr brauchbar, alles verschmutzt, durchnässt, vergiftet. Mit Mühe konnte er zwei Kartons mit 60 CDs ausbuddeln. Sie gingen bereits beim ersten Konzert trotz – oder wegen – der deutlichen Wasserspuren weg „fast schon wie Stücke von der Berliner Mauer“ („Doggy“ Hund). Das Haus mit allem, was die Familie zurücklassen musste, ist nicht mehr zu retten. Barbarin muss alles neu anschaffen, sich nach einer neuen Bleibe umsehen, möglichst nahe zur Stadt und zugleich zum Flughafen. Denn er muss arbeiten, möchte aber unbedingt in seinem New Orleans bleiben, hat kein Verständnis für Kollegen, die jetzt nach Florida oder sonst wohin weg ziehen wollen. „Die Stadt braucht unsere Musik, also müssen wir da sein und diese Musik machen.“ Und er zeigt sich so überzeugt wie sein deutscher Gastgeber, dass „Big Easy“ wieder auferstehen wird, „because New Orleans is history, is unique, is different, is not like any place in the whole wide world“. Von allem Elend, das er hinterlassen hat, von den Sorgen um seine Familie, die ungewisse Zukunft, seinen nächtelangen Telefonaten mit seiner Frau, Kollegen und Behörden (Pianist Georg Derks hatte ihm eine Calling Card mit 1000 Minuten überlassen) – von alldem war während der Konzerte nichts zu spüren: „To play my music with the Maryland Jazz Band makes me feel so comfortable and relaxed, so I forget all about the storm and all that. I was very happy during the concerts giving back to my friends and the audience what they had given to me and my people.“ Die Maryland-Herbsttournee führte zwischen dem 22. September und dem 2. Oktober von Duisburg über Köln, Kerpen, Eindhoven, Dortmund, Erftstadt, Burg Namedy bei Andernach, Ansbach, Usingen zurück ins rheinische Langenfeld. Die Besucherzahl der elf Konzerte reichte an die 3.000. Und das Wichtigste: Die Resonanz auf die Spendenaufrufe war „überwältigend“: rund 18.000 Euro (einschließlich der Spenden aufgrund des Aufrufs auf der Homepage). Diese Summe wird sechsfach aufgeteilt. Vier Teile bekommen Lucien Barbarin, der durch seine Auftritte wesentlich zum Erfolg der Spendenaktion beigetragen hat, und drei andere Musiker, die – so Hund – „wirklich alles verloren haben“. Der Rest wird aufgeteilt auf einen Hilfsfonds der Preservation Hall und den Non-Profit-Radiosender WWOZ, der ganztägig Jazz sendet, auch Live-Aufnahmen, aus einem winzigen Studio am Armstrong-Park, das auch ein Opfer von Katrina geworden ist. „Doggy“ Hund, dem es manchmal die Kehle zuschnürte, wenn er auf der Tour den alten Song „You know what it means to miss New Orleans“ ansagte, arbeitet voller Zuversicht weiter an der Organisation des seit langem für April 2006 geplanten Besuchs seiner Band in New Orleans, seinem „zweiten Zuhause“. Dietrich Schlegel
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