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In seinen besten Zeiten war Jazz tanzbare Popmusik und sollte Spaß machen. Heute hat man oft den Eindruck, einer kunstgewerblichen Leistungsschau beizuwohnen. Die Musiker der Berliner Band Micatone kennen das Dilemma: sie kommen alle von der improvisierten Musik, haben aber zu viel Spaß an Pop und Elektronica, um im klassischen Jazz stecken zu bleiben. Da sind sie im Umfeld von Jazzanova und dem rührigen Sonar Kollektiv bestens aufgehoben. Zwei erfolgreiche Alben haben sie bereits produziert; nun ist seit Mai das dritte auf dem Markt: Nomad Songs (Sonar Kollektiv, SK061CD). Hier passiert indes mehr als in den handelsüblichen Electronica- und Lounge-Produktionen. Zwar wird munter an Knöpfen gedreht und mit digitaler Unterstützung produziert, doch der Rechner hilft, greift aber nie stilbildend ein. Denn dazu versammelt Micatone mehr instrumentaltechnische Kompetenz, als jede Festplatte hergeben kann. Schließlich haben sie alle solides Handwerk gelernt, das soll man gefälligst hören. So klingt Nomad Songs konsequent „handmade“. Die Eigenkompositionen sind mehr als nur akustische Innenarchitektur für Szene-Clubs, manche erinnern – der Titel ist Programm – an den Soundtrack eines entspannten Roadmovies. Das war nicht immer so. Früher spielte Micatone NuJazz, als noch keiner wusste, was das überhaupt ist. Heute macht das jeder; die Software dafür kann man kaufen. „Da hat uns die Zeit eingeholt“, meint Gitarrist Boris Meinhold. Auf der Bühne hieß das damals: Die Live-Band übernimmt DJ-Funktion. Doch dazu haben die fünf zu viel Jazz und Spielfreude im Leib. So dünnte Micatone nach und nach den Elektronikanteil aus: Reduktionismus mit einem kleinen Schuss Kontemplation. Es geht, so Sängerin Lisa Bassenge, schließlich auch um die Befindlichkeit der Generation von 1975. Oder, wie der Pressetext sagt, Portishead ohne Depressionen. Kein schlechter Ansatz für eine nicht nur nationale Karriere. Nach Auftritten in halb Europa ist nun Japan im Gespräch. Ob bei den heute 30-Jährigen erhöhter Kontemplationsbedarf besteht, sei dahingestellt. Aber Micatone trifft den Ton der jungen Erwachsenen – offenbar weltweit. Bernd Ratmeyer |
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