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Als er am 17. Juni 89-jährig in Melville, New York verstarb, nahm die Jazzwelt davon kaum Notiz. Zu Unrecht wurde und wird Billy Bauer oft vergessen, wenn von den großen Gitarristen des Jazz die Rede ist. Doch der Vater der Cool-Jazz-Gitarre gehörte nicht nur zu den stilvollendeten Gitarristen, sondern auch zu den stilbildenden Innovatoren der Jazzgeschichte.
Seine wenigen Alben unter eigenem Namen entdeckt man in Plattenläden so selten wie vierblättrige Kleeblätter auf Wiesen. Das bekannteste davon heißt „Plectrist“. Die Wortneuschöpfung heißt soviel „Meister des Plektrums“, mit dem auf der Jazzgitarre die Saiten angerissen werden. Und mit diesem Plektrum spielte er auch makellose „single lines“. Doch das ist nur der halbe Billy Bauer. Er beherrschte nicht nur die übliche Kunst mit dem Plektrum zu spielen, sondern auch das Fingerpicking. Billy Bauer gehörte zu den großen Originalen der Gitarre. In der frühen Bebop-Ära, in der die meisten Kollegen erst einmal versuchten, im Gefolge Charlie Christians das Einzel-Noten-Spiel im Sinne des Bebop zu meistern, wies sein Spiel schon weit über den Bebop hinaus. Bauer verfeinerte die Kunst der Begleitung und des kontrapunktischen Zusammenspiels. Er verwendete überraschende, harmonisch kühne Akkorde und begleitete wie ein Pianist mit der linken Hand an Stelle des zu seiner Zeit noch üblichen Durchschlagens aller Akkorde, ja ließ das Begleiten zugunsten phantasievoller Gegenstimmen sein. Die Jazz-Gitarre gewann unter seinen Händen größere Autonomie. Ursprünglich war der am 14. November 1915 in der Bronx geborene William Henry Bauer ein Banjo- und Ukulele-Spieler, der in seiner Jugend populäres Repertoire im Radio vorführte. Im Verlauf der 30er-Jahre, als das Banjo immer weniger in Rhythmusgruppen anzutreffen war, wechselte er mit Hilfe von Benny Goodmans Gitarristen Allan Reuss zur Gitarre. Schon in den späten 30er-Jahren spielte er in Tanzkapellen elektrische Gitarre. Inspiriert wurde er ursprünglich von Alvino Rey, Floyd Smith und Charlie Christian, der die elektrische Gitarre im Jazz als Soloinstrument nicht eingeführt, aber durchgesetzt hat. Über seine frühen Jahre sagte Bauer: „Ich hörte Django, Christian, Lang, aber ich konnte keinen kopieren. Django in „Nagasaki“, Charlie Christian in „I Found A New Baby“ – aber was mich am meisten geprägt hat, das war Billie Holiday.“ In der Tat erstaunt am meisten an Billy Bauer, wie unabhängig er sich gegenüber den einflussreichsten Gitarristen erwies. Seine Jazz-Karriere begann beim Klarinettisten Jerry Wald. 1941 machte er seine ersten Aufnahmen bei Carl Hoff. Außerdem wirkte er in den Bands von Dick Stabile und Abe Lyman. 1944 kam es zum großen Karrieresprung, als er mit Flip Phillips spielte und dieser zu Woody Herman wechselte. Phillips empfahl Herman auch den Gitarristen zu engagieren. Er trat in Woody Herman’s First Herd ein. Dem Orchester gehörten viele junge Musiker an, die sich dem Bebop verschrieben und zur ersten Generation der Cool Jazzer gehörten. Die Rhythmusgruppe mit dem Bassisten Chubby Jackson und dem Drummer Don Lamond – beide starben 2003 – war eine der besten der Zeit. In der Regel spielte Bauer bei Woody Herman nur Rhythmus, kaum je Soli. Aus Liebe zu seiner Familie kündigte Bauer bei Herman, dessen damaliges Orchester aus heutiger Sicht zu den ganz großen Formationen der Jazzgeschichte gehört. „Es war mir nicht klar, was aus der Band werden sollte. Alles schien unsicher, und bei der Ernährung meiner Familie konnte ich mir keine Unsicherheiten leisten.“ Er spielte dann mit Hermans Bassist Chubby Jackson, aber auch mit so traditionellen Musikern wie Tommy Dorsey, Jack Teagarden und insbesondere Benny Goodman, mit dem er auch in den 50er- Jahren immer wieder mal zusammenarbeitete. Bauer wirkte auch mit Charlie Venturas kurzlebiger Big Band. Entscheidend ist aber, dass Billy Bauer sich 1946 Lennie Tristano anschloss. Der blinde Pianist, der damals eine Menge junger Musiker um sich scharte, die er in seiner „New School Of Music“ unterrichtete, ist der eigentliche Schöpfer des Cool Jazz. Mit ihm zu spielen, haben alle Beteiligten immer als große Herausforderung erlebt. Schon bei der ersten gemeinsamen Plattenaufnahme sagte Tristano zu Bauer: „Spiele nicht die Melodie, spiele nicht den Rhythmus.“ Was konnte er da noch tun? „Du konntest Akkorde spielen, aber sie konnten nicht gerade im Rhythmus sein. So kam ich zu jener Art Spiel, für die ich ein wenig bekannt wurde“, erinnerte sich Bauer. Bei Tristano entwickelte Bauer eine Spielweise, die manchmal so klingt, als spiele Bauer nicht mit dem, sondern gegen das Klavier; manchmal gibt es da richtige harmonische Zusammenstöße. Billy Bauer passte bestens zu Tristanos linearem, dynamisch ebenmäßigem, aber vor unerwarteten Wendungen strotzendem Stil. Beide bevorzugten auch einen eher trockenen Sound. Die auf ihren gemeinsamen Aufnahmen – im Trio sowie im Zusammenspiel mit Lee Konitz und Warne Marsh – dokumentierte Kontrapunktik ihrer ineinander verflochtenen Linien gehört zu den Höhepunkten des an Sternstuenden so reichen Jazz der Nachkriegsjahre. Trotzdem studierte Billy Bauer im Gegensatz zu Lee Konitz und Warne Marsh nicht regelrecht bei Tristano. „Ich denke, ich hatte nur eine Stunde bei ihm. Er war immer darauf aus, dass ich bei ihm studierte. Er sagte: ,Ich kann dir helfen. Ich kann dir helfen!’“, erinnerte sich Bauer. Daher ist der Einfluss Tristanos auf seine Spielweise geringer als man annehmen könnte. Trotzdem war er von 1946 bis 1949 an Tristanos berühmtesten Aufnahmen beteiligt. Die Bedeutung Billy Bauers wurde seinerzeit durchaus erkannt. So gewann er 1949 und 1950 die Meinungsumfragen der maßgeblichen Magazine Downbeat und Metronome. Bei Metronome führte er sogar von 1949 bis 1953. 1949 stand Tristanos Sonne im Zenith. Er genoss Anerkennung, widerstand aber als Vorkämpfer seiner reinen Lehre so tapfer allen Verlockungen der Kommerzialisierung, dass er bald eher als Außenseiter galt. Fast ins Aus katapultierte er sich mit scheinbar unverständlicher Musik. Wegweisend wurden die am 16. Mai 1949 eingespielten Stücke „Intuition” und „Disgression”, die frei improvisiert wurden, ohne erkennbare äußere Form und um mehr als 10 Jahre Free Jazz vorwegnahmen. „Viele Jungs spielen heute „free“ Musik, aber innerhalb eines Rahmens. Ich habe das auch mit Lennie gemacht, nur dass es bei ihm kein Tempo, keine Tonart, kein gar nichts gab. Wir packten sechs Leute zusammen, und er sagte dann: ‚So, hier geht’s los, und dann spielten wir und spielten. Er nannte das eine Art ‚Kollisionsspielen’“, erinnerte sich Billy Bauer. „Lennie war ein starker Musiker. Obwohl auch ich nicht immer wusste, was er tat, musste ich ihm folgen. Bei so einer starken Persönlichkeit hattest du keine andere Chance.“ Dem von Lennie Tristano eingeschlagen Pfad blieb Billy Bauer in den folgenden Jahren treu und nahm mit Tristano-Jüngern wie Lee Konitz und Warne Marsh Platten auf. 1958 gründete er sogar einen eigenen Verlag, um Werke von Tristano, Konitz, Marsh und aus eigener Feder zu veröffentlichen: Wiliam H. Bauer Inc. Was die Musiker des Tristano-Kreises spielten, nannte man in den 40er-Jahren nicht gleich Cool Jazz; es erschien als besonders fortschrittliche, intellektuelle, wenn auch weniger rhythmisch akzentuierte Form des Bebop. Und später, als der moderne Jazz sich deutlicher in zwei Lager spaltete, musizierte man immer noch zusammen. „Einmal spielte ich bei einer All-Star-Session mit einer Menge großer Musiker. Ich fuhr nach Hause zurück mit Serge Chaloff und er sagte zu mir: ,Ist dir bewusst, Billy, dass wir mit den besten Musikern des Landes gespielt haben?’ Ich sagte ‚Gut.’. Er sagte ,Gut, was? Was würdest du denn für großartig halten?’ Ich sagte: ‚Wenn Charlie Parker anrufen würde und sagen würde: ,Billy, ich möchte dich für Plattenaufnahmen verpflichten.’’ Und einige Jahre später nahm ich das Telefon, und Charlie Parker war dran. Er sagte ,Hallo, B.’ – er nannte mich B.B. – ,hier ist Bird. Hast du Freitag etwas zu tun?’ So kam ich auf Charlie Parkers letzte Platte. Als ich dort hinkam, war das Studio dunkel. So nahm ich meine Gitarre und spielte einige Dinge durch, darunter ‚Blue Mist’. Ich spiele ,Blue Mist’, und plötzlich fühle ich hinter mir jemanden und es ist Charlie.“ Parker frug Bauer, was er da spiele, und Bauer fragte Bird, wie er es finde. Parker antwortete: „Für mich klingt es wie Musik.“ Für Bauer war das ein großes Lob. „Blue Mist” spielte Bauer dann für sein Album „Plectrist“ ein. Es ist ein Stück, das auch klar macht, warum ihn Alexander Schmitz in seinem Standardwerk „Jazzgitarristen“ als „akkordischen Lyriker“ bezeichnet hat. Norman Granz, der auch die Aufnahmen mit Parker produziert hatte, gab Billy Bauer einen Freibrief dafür, jederzeit ohne Produzenten mit wem auch immer ins Studio zu gehen und aufzunehmen, was auch immer er wollte. So viel Vertrauen bei einem Produzenten muss man erst einmal finden. Und so viel Bescheidenheit bei einem Musiker! Bauer ließ nämlich ein Jahr ungenutzt verstreichen, bis ihn Granz mit Nachdruck überreden musste, „Plectrist“ aufzunehmen. „Plectrist” aus dem Jahr 1956 war Bauers zweites Album, nicht sein einziges wie überall zu lesen ist. Erst 1987 erschien ein drittes namens „Anthology“, das aus Aufnahmen der Jahre 1959 bis 1969 zusammengestellt wurde, die Bauer ursprünglich zum Privatgebrauch mitgeschnitten hatte. Billy Bauer war ein scheuer Mensch, der dem Scheinwerfer aus dem Weg ging. Vor allem dann ab den 60er-Jahren wurde es – zumindest was Jazz-Aufnahmen anbelangt – noch stiller um Billy Bauer. 1961/62 leitete er einen Jazzclub. In erster Linie war er Studio-Musiker. Schon ab 1950 hatte Billy Bauer für dreieinhalb Jahre am New York Conservatory of Modern Music unterrichtet. 1970 rief er auf Long Island die Billy Bauer Guitar School ins Leben, ein Ein-Mann-Unternehmen. Mitte der 70er-Jahre gab er nach einer schweren Erkrankung, die auch das Innenohr angriff, das Auftreten überhaupt ganz auf, um sich ganz seiner pädagogischen Tätigkeit zu widmen. Bis kurz vor seinem Tod war er als bedeutender Gitarren-Pädagoge geschätzt, der ohne viel Publicity sehr viele Musiker geprägt hat, nicht nur Jazzer unterrichtet hat. Wer ihn kannte, beschreibt ihn als weisen, freundlichen Herren. Marcus A. Woelfle Die Jazzzeitung verabschiedet sich …Jimmy Oliver (1924 oder 1925 Columbia, S.C. – 4.2.2005), Jazz- und R&B-Tenorist, der Coltrane beeinflusste und mit Gillespie und Jo Jones aufnahm. Bill Potts (3.4.1928 Arlington, Virginia – 16.2.2005 Pantation, Florida), Arrangeur, Komponist und Pianist aus Washington („The Orchestra“). Marvin Jenkins (8.12.1932 Aultman, Ohio – 4.3.2005 Pasadena, Kalifornien), Pianist, Flötist und Komponist (hörenswerte Aufnahmen mit Barney Kessel). Larry Bunker (4.11.1928 Long Beach – 8.3.2005 Hollywood) Drummer, Vibraphonist (Mulligan, Pepper, Evans) und klassischer Schlagwerker. Bobby Short (15.9.1924 Danville, Illinois – 21.3.2005 New York City), klavierspielender „saloon singer“, populärer New Yorker Cabaret-Entertainer. Roberto Mandruzzato (3. 6.1958 – 6.4.2005), Posaunist der Münchner Szene (Benefizkonzert 31.10. Unterfahrt!) Stan Levey (5.4.1926 Philadelphia – 20.4.2005 Van Nuys, Kalifornien), überragender Drummer des Bebop (Gillespie) und West Coast Jazz (Rumsey). Arnie Lawrence (7.10.1938 New York – 22.4.2005 Jerusalem), Saxophonist (Hamilton, Coryell), Pädagoge (International Center for Creative Music). maw |
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