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Jazzzeitung
2005/11 ::: seite 16
rezensionen
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Gary Giddins: Weather Bird – Jazz at the dawn of its second
century, Oxford University Press, New York, 632 Seiten
Die vierte Sammlung leicht modifizierter Aufsätze, die hauptsächlich
für Gary Giddins Kolumne „Weather Bird“ in der New
Yorker „Village Voice“ entstanden – diesmal aus den
Jahren 1990–2004. Sie umfassen alle Perioden und Richtungen des
Jazz und viele Nachbargebiete in hochkomprimierter Form. Giddins, einer
der besten lebenden Kenner des Jazz, ist genau, aber nicht pedantisch,
er differenziert, ohne sich zu verzetteln, er ist witzig, ohne zu meinen,
dies in jedem Satz beweisen zu müssen (der Popular-Slang vieler
Journalisten ist ihm völlig fremd) und er kritisiert ohne jede
Polemik. Sein Buch sollte zur Pflichtlektüre für jeden jungen
Journalisten werden, der über Jazz schreiben will. Die meisten
der 146 Arbeiten sind Musikerportraits (leider nur sehr wenige über
Nichtamerikaner), wobei der Autor Liveauftritte in New York ebenso bespricht
wie CDs. Dabei zeigt sich, wie reichhaltig die Jazzszene in New York,
der Haupstadt des Jazz seit den 30er-Jahren, nach wie vor ist. Nur einer
wie er, der ständig Veranstaltungen besucht (man hat den Eindruck,
jeden Tag im Jahr mindestens eine), kann das alles wissen, was er weiß.
Dazu macht er ständig auf bei uns wenig bekannte oder unbekannte
CDs aufmerksam.
Immer wieder stößt man auf bemerkenswerte Sätze. Nur
ein paar Beispiele: „Few educated Americans can name even five
jazz musicians under the age of 40“ (S. 23). „He is so secure
in himself that his originality is more accepted than marvelled at…“
(über Doc Cheatham, S. 26). „He thought of himself as witty
and had a hearty, exuberant laugh, but he was usually too dramatic to
be genuinely funny“ (über den Jazzkritiker Martin Williams,
S. 43). „Taken whole, the album is as baleful as an overdose of
Satie“ (über „1+1“ von Wayne Shorter und Herbie
Hancock, S. 173). „He lacks Django’s patience, dark moods,
expressive feeling, and constructivist logic“ (über Bireli
Lagrene, S. 423).
Gary Giddins bietet viel Stoff zum Nachdenken. Ich weiß, das ist
in vielen Jazzkreisen nicht „in“. Warum, konnte mir bisher
niemand plausibel machen. Wahrscheinlich, weil man dazu nachdenken müsste…
Arne Birkenstock/Eduardo Blumenstock: Salsa, Samba, Santeria
– Lateinamerikanische Musik, Deutscher Taschenbuch Verlag,
München, 339 Seiten, mit einer CD (19 Titel)
In angenehm sachlicher Weise beschreiben die beiden Autoren Entstehung
und Entwicklung der lateinamerikanischen Musik. Musikalische Analysen
dürfen wir allerdings nicht erwarten; sie hätten den Rahmen
dieser Arbeit gesprengt. Leider fehlt die Musik der nicht-spanisch bzw.
Portugiesisch sprechenden Länder, so etwa Reggae und Calypso. Für
eine neue Auflage dieses empfehlenswerten Buches wäre eine Landkarte
sehr wünschenswert sowie eine „Kleine Stilkunde“ mit
Seitenzahlen zur vorhandenen „Kleinen Instrumentenkunde“.
Und zu den gut ausgewählten Beispielen auf der Begleit-CD gehören
Erläuterungen und diskografische Angaben. Bei der Auswahldiskografie
fehlen die Bestell-Nummern. Das alles würde den Gebrauchswert dieser
Veröffentlichung noch um einiges erhöhen.
Joe Viera |