Er ist einer der wichtigsten und einflussreichsten Wirtschaftsinformatiker
Deutschlands, hat ein weltweit agierendes Software- und Beratungsunternehmen
ins Leben gerufen (IDS Scheer), das mittlerweile Umsätze im dreistelligen
Millionenbereich einfährt, hat eine Professur an der Universität
Saarbrücken inne und ist außerdem noch leidenschaftlicher Saxophonist;
August-Wilhelm Scheer zieht außerdem immer wieder Parallelen zwischen
Jazz und dem professionellen Arbeiten in der HighTech-Industrie. Diesem
Thema widmet sich auch eine Konferenz „Wege zum Jazz“ innerhalb
der für März 2006 geplanten Jazzmesse „jazzahead!“
Bremen (die Jazzzeitung berichtete). Die Jazzzeitung sprach mit dem erfolgreichen
Unternehmer und Tausendsassa, der Anfang des neuen Jahrtausends auch zum
Medienliebling avancierte.
Jazzzeitung: Professor Scheer, Sie haben den Jazz bereits
als Zehnjähriger entdeckt und sich Ihr erstes Saxophon von selbstverdientem
Geld gekauft. Warum gerade dieses Instrument, und wer oder was hat Sie
an das Thema Jazz herangeführt?
August-Wilhelm Scheer: Ich bin schon als Zehnjähriger
vom Jazzbazillus befallen worden, als ich im amerikanischen Sender AFN
Aufnahmen von Count Basie und Benny Goodman hörte. Das Saxophon liebe
ich wegen seines variablen Sounds, seinem Aussehen (Form und glitzernde
Mechanik) und der Musik seiner vielen Stars (von Coleman Hawkins bis Joshua
Redman). Seit ich zum ersten Mal Gerry Mulligan gehört habe, ist
mein bevorzugtes Instrument das Baritonsax.
Jazzzeitung: Wollten Sie nie Profi werden?
Scheer: Nein, um ein Spitzenmusiker zu werden, langte
mein Talent nicht; so ist Musik aber meine wichtigste Ausgleichsaktivität.
Jazzzeitung: Sie haben im vergangenen Jahr ein Traktat
zum Thema „Was Innovatoren von Jazz-Musikern lernen können“
verfasst und veröffentlicht (siehe Lesetipps). Könnten Sie den
Inhalt ganz grob und knapp für unsere Leserinnen und Leser zusammenfassen?
Scheer: Für mich ist das Beeindruckendste an einer
Jazzband ihr Organisationsmodell: Jeder Musiker ist Solist und gleichzeitig
Begleiter; die Koordination der Mitglieder erfolgt durch wenige Regeln
(Stückauswahl, Harmoniefolgen, Tempo) und ermöglicht wegen der
flachen Hierarchie innerhalb der Gruppe hohe individuelle Entfaltungsmöglichkeit.
Diese Organisationsform „am Rande des Chaos“ wird auch von
modernen Unternehmen in der High-Tech-Industrie angestrebt. Man braucht
die Kreativität des Einzelnen, der aber die „Schnittstellen“
zu seinen Teammitgliedern beachten muss. Ich glaube, dass das Organisationsmodell
des Jazz, das im Gegensatz zu der streng hierarchischen Struktur eines
klassischen Orchesters steht, der wichtigste Beitrag zur Musik der Gegenwart
ist.
Jazzzeitung: Sie sind sowohl hart arbeitender Manager
eines der erfolgreichsten Software- und Beratungsunternehmen Deutschlands,
Professor an der Universität Saarbrücken als auch aktiver Saxophonist.
Wie bringen Sie das alles unter einen Hut, haben Sie auch noch Freizeit
oder ist das Musizieren der Ausgleich?
Scheer: Ich sehe zwischen allen drei Welten Synergieeffekte.
Den Aufbau eines Vortrags kann man wie einen Jazz-Chorus gestalten und
umgekehrt. Die Verbindung von Emotionalität und Intellekt braucht
man in allen drei Bereichen. Ebenso sind Spontaneität (gekonntes
Improvisieren), Witz und Fantasie überall gefragt.
Für mich ist Jazz mehr als ein Ausgleich; an dem Jazzmusiker Miles
Davis bewundere ich, dass er es in seinem Leben mehrfach geschafft hat,
in einer sich schnell weiterentwickelnden Umgebung an der Spitze zu bleiben.
Dies wünsche ich mir sowohl als Forscher wie auch als High-Tech-Unternehmer.
Jazzzeitung: Veranstalten Sie noch regelmäßig
Ihre Jazzkonzerte in Ihrer Firma?
Scheer: In der Cafeteria der IDS Scheer AG werden monatlich
zweimal Jazzkonzerte mit bekannten Profi-Jazzmusikern veranstaltet, bei
denen ich mitspiele. Die Konzerte erfreuen sich einer hohen und steigenden
Besucherzahl.
Jazzzeitung: In Ihrem Unternehmen soll ein Witz kursieren:
„Wie wird man als Jazzmusiker Millionär? Indem man als Milliardär
anfängt.“ – Trotzdem haben Sie in Saarbrücken einen
Lehrstuhl für Jazz finanziert. Haben Jazzmusiker demnach trotzdem
eine Zukunft?
Scheer: Dazu zwei Antworten: Erste Antwort: Jazzmusiker
haben es wirtschaftlich schwerer, weil ihre Musik (noch) nicht zu der
öffentlich geförderten Musikszene zählt. Trotzdem kann
man bei genügendem Einsatz und Vermarktungsanstrengungen sein (mageres)
Brot verdienen.
Im Vergleich zu den USA sind manchmal deutsche Musiker zu anspruchsvoll
und zu wenig aktiv. In New York spielen selbst sehr gute Musiker drei
verschiedene Gigs an einem Abend zu je 100 Dollar und schlagen sich so
durch. Häufig fordern deutsche Musiker zu viel und beklagen sich,
dass sie nicht genug spielen können. Grundlage des Erfolgs ist aber
spielen, spielen, spielen!
Zweite Antwort: Das Glück, sich in seiner Kunst frei ausdrücken
zu können und gleichzeitig engen Sozialkontakt zu den Bandmitgliedern
zu haben, ermöglicht ein außergewöhnlich tiefes Lebensgefühl.
Finanzielle Engpässe sind dann zweitrangig.
In jedem Fall lohnt sich die musikalische Jazzausbildung, da auch klassische
Musiker heute bei Musicals oder Cross-Over-Musik Jazzphrasierung beherrschen
sollten.
Jazzzeitung: Die Macher der für März 2006
anvisierten Messe „jazzahead!“ nennen Sie als eine Art Spiritus
Rector. Was halten Sie von dieser Idee? Finden Sie eine solche Jazzmesse
für sinnvoll und zukunftsträchtig?
Scheer: Jazz ist in seinem Kreativitätspotenzial
noch unterschätzt. Dieses einer breiteren Diskussion zu öffnen,
lohnt sich meines Erachtens. Der (hoffentliche) Erfolg der Jazzmesse in
Bremen kann dafür einen wichtigen Anstoß geben.
Lesetipps
• August-Wilhelm Scheer: Was Innovatoren von Jazz-Musikern lernen
können, in: Innovationen. Versprechen an die Zukunft, hrsg. von
Thomas Gaswindt, Hoffmann und Campe 2004, ISBN 3-455-09451-1
• Ders.: Unternehmen gründen ist nicht schwer, Springer 2000,
ISBN 3-540-41063-5
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