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Jazzzeitung

2005/11  ::: seite 13

portrait

 

Inhalt 2005/11

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Produzententräume
all that jazz:
Körpermusik, Freiheitssounds
jazzfrauen-abc: Abbey Lincoln
Farewell: Billy Bauer


TITEL


Aus teutschen Landen
Ulrich Gumpert erhält Deutschen Jazz Preis auf dem Jazzfest Berlin


DOSSIER:
NEW ORLEANS
Die Altstadt Amerikas
New Orleans vor und nach Katrina
Die Resonanz war überwältigend
Katrina-Hilfsaktion der Maryland Jazz Band of Cologne
Sinnvoll abgesteckte Ziele
Hilfsprojekt des Bayerischen Jazzinstituts zieht Kreise


BERICHTE
/ PREVIEW

„Jazz am Agosto“: in Lissabon // jazz.cologne – ein neues Kölner Sommer-Festival // Trio 11 lehren beim siebten „Jazz is the Teacher” // Jimi Tenor präsentiert in Potsdam „Beyond The Stars“ Solo // Unterfahrt und Königreich feiern gemeinsam 100 Jahre Norwegen // 19. Internationales Jazzfestival Viersen


 JAZZ HEUTE

Solist und Begleiter
August-Wilhelm Scheer über „Jazz und Chaos“
Fruchtbarer Boden
Jazz by Bechstein in Köln


 PORTRAIT / INTERVIEW

Erika Stucky // Micatone // Lyn Leon // Valentin Gregor – Jazzpionier mit der Geige // NRW Jazz & Vertrieb, Wismar – Ein Portrait


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2005/11
Bücher. Eine Aufsatzsammlung und eine lateinamerikanische Stilkunde
Bücher. Nils Landgren – red & cool
Noten. Neues Notenmaterial für Drummer, Stimmen, Gitarristen
Instrumente. Neues für Homerecorder von Korg und Phonic
DVD. Till Brönner bei einer Aufnahmesession in Berlin
DVD. The Kansas City Jazz Story
Kalender. Arne Reimer – Jazz Calendiary 2006


 EDUCATION

Fortbildung // Ausbildungsstätten in Deutschland (pdf)
Abgehört 36. Die Jazzzeitung startet eine fünfteilige Serie mit Soli von Herbie Hancock
Abenteuer Improvisation
Das „Institut für Jazz und improvisierte Musik“ in Linz
Nachwuchsjazzer im Zentrum
Studenten im Programmzentrum des Jazzclubs Neue Tonne Dresden


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2005/11 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (264 kb))

Die Welt der Prinzessinnen

Erika Stucky über ihre neueste CD

Seit Jahren ist sie auf allen europäischen Bühnen präsent, bei Jazzfestivals, bei Frauenfestivals wie in diesem Frühjahr in Dortmund, im Bonner Beethovenhaus oder bei der letzten Kölner Popkomm. 2003 im Stadtgarten, die Vokalistin und Performance-Künstlerin Erika Stucky aus der Schweiz.

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Immer wieder steht ihre Jugend, das Erleben der Hippiezeit in Kalifornien, damals Wohnort der Familie Stucky vor dem Kulturschock des Umzugs in das Oberwallis, im Vordergrund. Sie interpretiert die immer noch jungen Songs der Nancy Sinatra, des Jimi Hendrix oder Kurt Kobain und Elvis auf ihre ganz persönliche Art, oft zum Schrecken der Journalisten-Welt: Sie lässt sich einfach nicht einordnen in die Kategorie Pop/Jazz/Folklore. Sie streift alle Genres, lässt sich nirgendwo richtig nieder, stimmt herzzerreißende Melodien an, die sie abrupt verändert, bevor sie einfach zu schön werden. Bei allen Inszenierungskünsten ist ihre Performance von einer höchst inspirierten Improvisationskunst geprägt, auf eine Art, wie sie eben nur von Erika Stucky geschaffen werden kann. Natürlich ist auch die Schweizer Musikkultur bei ihr zuhause mit unterhaltsamen wie satirisch anmutenden Ausflügen in die Welt des Jodelns und der Alphörner. Ein Kritiker hat ihre Kunst kürzlich einmal in die Nähe des Dadaismus, des künstlerischen „Schwarzen Humors“ gebracht, Vorstellungen, die sie zwar interessant findet, die aber bewusst ihr Werk nicht geprägt haben:

„Gut, das ist der intellektuelle Versuch, so etwas einzuordnen. Das kann ich nicht so. Es gibt vielleicht Künstler, die das können. Ich überleg mir das nicht so zurück. Bei mir ist das schon eher mal die Lust, etwas auszuleben. Ich stürze mich dann hinein, und trotzdem ist es doppel- und dreifachbödig. Ich merke, wie sich die Fäden wieder finden. Ich bin eben nicht die, die sich das Konzept aufschreibt und dann loslegt. Aber wer weiß, vielleicht werde ich mit 60 so richtig intellektuell. Ich stehe mir da vielleicht auch selbst im Weg. Ich könnte so schön mogeln, wenn ich die schönen Words dazu hätte.“

Ausgestattet mit ihren jugendlichen Einflüssen aus Flower Power und Schweizer Folklore begab sie sich in den 80er-Jahren nach Paris, um Gesang zu studieren und gleichzeitig die Schauspielkunst. In San Francisco vervollständigte sie diese Künste, um dann mit dem Bass begleiteten Gesangsquartett „The Sophisticrats“ in das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Viele Auftritte, Auszeichnungen und zwei LPs/CDs waren die Folge.

Anfang der 90er-Jahre tourte sie mit der George Gruntz Concert Big Band, war zum Beispiel auf dem Berliner Jazzfest zu erleben oder mit der WDR Big Band, natürlich unter der Leitung von Gruntz.

1997 schlug sie eine besondere Richtung ein, die bis heute anhält und mehrere außergewöhnliche Projekte hervorgebracht hat, die Aufarbeitung ihres riesigen persönlichen Repertoires in kleinen Formationen. Es begann zusammen mit dem amerikanischen Posaunisten Ray Anderson, ebenfalls ein begabter Showman neben seinen besonderen solistischen Fähigkeiten. „Mrs. Bubbles & Bones“ ist durch ihre erste gleichnamige CD unsterblich geworden, lebt bis heute in Details wie „Roxanne“ in ihrem aktuellen Performance-Programm. Große Auszeichnungen waren die Folge, zum Beispiel durch die Stadt Zürich, ihrem heutigen Wohnort. Und das Wichtigste, seither hat sie in der Musikwelt ein unverwechselbares Profil hinterlassen, in dem sich jeder Musikfreund wiederfinden kann, das ihm ermöglicht, viele seiner eigenen Lieblingssongs ganz anders neu zu erleben.

2001 erweiterte sie „Mrs. Bubble & Bones“ durch das „International Alphorn Orchestra“ etwa mit Hans Kennel, mit dem sie auch auf dem Europhonics Festival in Dortmund zu hören war.

Ganz überraschend präsentierte sie dann im Frühjahr die neue CD „Lovebites“, mit der sie den eingeschlagenen Weg zu großer Meisterschaft führt, zum Beispiel mit einer hinreißenden Jimi-Hendrix-Parodie („If 6 was 9“), einem fast zu schönen „Whiter Shade of Pale“, dem unvergessenen Song von Procul Harum, oder ihrem eigenen, von ihrer Tochter mitgesungenen „Tipsy Tipsy“. Solche Titel wird man sein Leben lang nicht vergessen, wie natürlich auch die interpretierten Originale selbst. Ihre vielen eigenen Kompositionen haben sich im Übrigen auf die Ebene der großen Vorbilder begeben, atmen die hohe Schule der Klassiker der Songkunst der letzten drei Jahrzehnte.

Eigentlich wollte man gar nicht daran denken, was danach noch kommen würde, und schon präsentiert sie im Frühjahr 2005 eine neue Herausforderung, die CD „Princess“ mit ihrem aktuellen Trio mit Bertl Müller, Posaune und Euphonium, und Jon Sass, Tuba. Wie schon bei den vorherigen Produktionen sind erlauchte Gäste dabei, Mnozil Brass oder Lucas Niggli, wie sie ein Schweizer Ausnahmekünstler.

Was man mit diesen 15 neuen Titeln erlebt, ist den bisherigen Produktionen gleichsam ähnlich wie auch völlig verschieden, nach dem manchmal krassen „Lovebites“ eine scheinbar leichtere Muse, die man auch als Geburtstagsgeschenk mitbringen kann, wie sie feststellt, die Geschichte der Prinzessinnen, die vom Vater verwöhnt werden, alles dürfen, die Inkarnationen des Guten wie des Bösen sind, ein höchst unwirkliches Bild einer Gegenwart, die die Wahrheiten gerne verstellt durch märchenhafte Geschichten, wie Stucky am Beispiel des Märchens vom Froschkönig, der Prinzessin und dem Frosch erklärt: „Aber weißt du, was das Schöne ist mit der Froschgeschichte. Sie küsst den Frosch nie. Er will mit ihr vom Tellerchen essen, mit im Bettchen schlafen. Sie nimmt ihn an beiden Händen und sagt, wie es wohl bei Grimm heißt: Jetzt mach ich dir den Garaus du garstiger Frosch. Schmeißt ihn an die Wand, tötet ihn, und als Dank dafür kriegt sie einen treuen, sie bewundernden Ehemann. Was für eine Moral!“

Auf die Frage, wie sie zu dieser Produktion gekommen ist: „Ich glaube, ich hab mir einen richtigen Traum verwirklicht. Ich bin jetzt über 40 und hab mal so was richtig Tolles machen wollen. All diese Animositäten, diese Zickigkeiten mal so richtig ausleben, gestützt von Material aus dem Musikbusiness. Ich dachte, ich bin in guter Gesellschaft mit dem Princess Thing. Es ist auch gar nicht so schwer, obwohl ich schwanger war mit der Idee, neun Monate lang. Und hab überall nur noch Prinzessinnen gesehen, zum Beispiel im Supermarkt an der Kasse, Daddys Darling, von ihrem Papa verwöhnt. Du merkst ja heute noch, wer mit Lackschühchen durch die Küche tanzen durfte und bewundert wurde.“

Viele überraschende Geschichten erzählt sie, wobei der „Jailhouse Rock“ sich zu ihrem Lieblingsstück entwickelt hat. Ihr eigener Titel „It’s the Princess that is Wrong“, in der Mitte platziert, ist so etwas wie die Schlüsselfrage und -antwort, der Hinweis auf die vielen Irrtümer über die wahren und falschen Prinzessinnen. Schon als Kind war sie fasziniert von den Fernsehauftritten des Muhammed Ali, für sie die Inkarnation des Lebens, auch der bösen Seiten, eine Eigenschaft, die Michael Jackson höchstens künstlich, aber nie lebendig verkörpert. So packte sie die beiden Gegensätze in Jacksons „Bad“ zusammen und macht auch nicht halt vor der „Domina“, mit Lucas Niggli zusammen aufgeführt: „Und ich hab Lust, bis zur Domina zu gehen, ein Genre, das viele Prinzessinnen hat. Das musste auch dazu. Ich hab mir überlegt, was machen Prinzessinnen. Die warten und Waitress ist ein wunderschönes englisches Wort dafür, wie auch Untouchable oder Fearless, das passt alles“ (zugleich drei Titel der CD).

Auf die Frage, ob denn das Publikum diese Geschichten auch versteht: „Du kennst mich ja. Ich bin es doch gewohnt, dass die Leute mich mit offenen Mündern anschauen. Ich versuche aber, das Programm aufzubauen und mit meiner Moderation zu erklären. Ich geh ja nicht raus, um die Leute zu schocken. Das will ich überhaupt nicht. Wenn die Leute allerdings nur die CD hören, haben sie es natürlich viel schwerer.

Sicher werde ich auch mal missverstanden und die Leute meinen, die macht ja nur Spaß. Ich bin eigentlich gar nicht auf der ironischen Schiene, sondern es ist mir sehr ernst.“

Bei ihren Konzerten macht sich oft gerade am Anfang eine geradezu atemlose Faszination breit, ein Zeichen, wie ihre intuitive Musik mitten in das Empfinden des Publikums trifft: „Gestern haben wir in einem großen Saal gespielt, wo 2.300 Leute gestanden haben, da haben wir die ersten 4 Stücke langsam, sehr langsam gebracht. Und die Leute waren mucksmäuschenstill, man hätte eine Stecknadel fallen hören können, bis einer gehustet hat.“ Ein Wechselbad der Gefühle mit dem Erleben der märchenhaften Prinzessinnen der Welt, das ist Erika Stucky im Jahr 2005. Die Nachfrage nach der neuen CD jedenfalls ist groß (www.traumton.de)

Hans-Jürgen von Osterhausen

CD-Tipps

Bubbles & Bones, Traumton CD 4454
Lovebites, Traumton CD 4470
Princess, Traumton CD 4481er Sound ist deine Identität


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