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Rui Neves, ein sehr entspannter, wacher Greis hat für das portugiesische Jazzfestival ein beachtliches Programm zusammengestellt. So spielt am Eröffnungsabend im Amphitheater das legendäre Globe Unity Orchestra, welches man am besten neben Uschi Brüning sitzend erlebt. Das GUO gibt dem verstorbenen Albert Mangelsdorff zu Ehren seine Kakophonie für fast zwei Stunden. Kern des 11-köpfigen GUO ist das Schlippenbach-Trio, welches am nächsten Tag kompromisslos-solide seine abstrakte Vitalität unter Beweis stellt. Schlippenbach gibt traditionell den ersten Akkord. Dann ist es ungeheuer interessant einige der wichtigsten Stimmen der Freejazz-Welt vereint zu sehen: Von Anfang an ist es Mahall – laut Fredric Ljungkvist der beste Bassklarinettist der Welt –, der äußerst agil die Musik durchzieht. Er legt sich schon mal selbst eine Basslinie vor, um dann darüber zu improvisieren. Die beiden Neuzugänge – neben Mahall der kräftige Cappozzo – erweisen sich als sehr ergiebig. Cappozzo spielt eine kleinteilige Trompete, beeinflusst bei seinem Solo den Sound der Band merklich, weckt andere Klänge. Auch Paul Rutherford, erklärter Kommunist und DDR-Liebhaber – vor allem aus beruflichen Gründen – gelingt es, bei seinem Solo mit tiefer Stimme das Tempo der Band, die ansonsten immer unbändig losprustet, rauszunehmen. Während Gerd Dudek, Evan Parker und Manfred Schoof nicht weiter auffallen, musiziert Hannes Bauer durchgehend stark; was er von sich gibt, ist hieb- und stichfest. Bei Ernst-Ludwig Petrowsky brausen die Töne in seinem Alt quengelig hoch, dahin wo die Luft dünn wird. Er setzt sich einfach von oben wild und schneller auf die Band, zieht und dehnt die Töne, pfeift ganz weit vorne. Und Schlippenbach – versteht sich – klingt immer gut, wenn er nicht gerade zu leise ist. Eine wunderbar filigrane Kammermusik wird produziert: Bassist Bruno Chevillon handhabt Präparationsmaterialien wie Stricknadeln, hölzerne Wäscheklammern und einen runden Plastikmassageschwamm. Er reibt und kreist, akzentuiert bewegt-hampelnd, pustet. Chevillon ist jemand, der mit dem ganzen Körper musiziert, so dass die Töne nicht anders können als zu tanzen. Mit dem Klarinettisten Jean-Marc Foltz arbeitet er konzentriert an Strukturen. Die schönste Musik gelingt, als Foltz mit dem Rücken auf dem Boden liegend ein Zirkular-Britzeln erzeugt und Chevillon mit zwei Bögen am Steg so streicht, wie Hall im All verklingt. Die Bläserfraktion von Gebhard Ullmanns Fun Horns arbeitet anders als die vom GUO. Es herrscht einiges studentisches Flair, sogar der Frauenanteil ist verhältnismäßig hoch. Sie versuchen die Musik etwas zu systematisieren, das ist gut. Sie bleiben aber albern und humorlos. Ein Trompetentrio ist selten der Fall. Da ist wieder Cappozzo (2 Dämpfer), der erfreulich infantil wirkt. Als Autodidakt sagt er: „Ich weiß nichts über Musik, aber ich finde sie interessant.“ Da ist Axel Dörner (5 Dämpfer): stringent, mit allen Wassern gewaschen, rational, sein Ton hat das komplexeste Bouquet und immer eine perfekte Kontur, er verfügt über eine beeindruckende Technik ohne je sportlich zu sein. Schließlich Herb Robertson (9 Dämpfer): ausgelassen, erfahren, einfallsreich, spielerisch, laut, dreckig-plautzig. Wo Dörner längst auf höchstem Niveau multistilistisch ausgebildet ist, scheint Robertson einer Generation anzugehören, die mit dem Material experimentiert. Irène Schweizers Duo mit Pierre Favre ist wirklich gut. Favre gibt der Pianistin offensichtlich das richtige Maß an Geborgenheit und Raum zum freien Phantasieren, wobei diese sich harmonisch und rhythmisch immer voll im Klaren ist. Ihr Zusammenspiel produziert im großen Saal sicher und akkurat eine beinahe gespenstische Stimmung. Für einen großartigen Abschluss des Wochenendes sorgt das skandinavische Atomic (u.a. mit Paal Nilssen-Love), cool und fit. Energetisch-druckvoller kann ein klassisch besetztes Quintett nicht spielen. Zackig-clevere Arrangements und peppige Solisten sorgen für gute Unterhaltung. Mit ihrer Definition von zeitgenössischem Bop sind sie eine ernste Konkurrenz zu Monks Casino. Darüber freut sich auch Axel Dörner. Oliver Schwerdt |
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