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Ungewöhnlich feierlich, beinahe schon staatsfraulich geriet die Eröffnung der vierten Ausgabe der Reihe „European Jazz made in:…“ in der Unterfahrt. Wenige Wochen nach dem 25-jährigen Jubiläum des veranstaltenden „Förderkreis Jazz und Malerei München e.V.“ hatte Christiane Böhnke-Geisse eine Reihe von Honoratioren im Jazzclub zu begrüßen: unter anderem den königlich norwegischen Botschafter, die Konsuln von Norwegen, Dänemark, Schweden und Ungarn und einen Staatssekretär aus Bayern. Nach der Schwerpunkt-Präsentation mit Jazz aus den Niederlanden, der Schweiz und Spanien in den vergangenen Jahren war diesmal an vier Tagen der Jazz aus Norwegen in der Unterfahrt zu Gast, gerade rechtzeitig zur Feier des 100-jährigen Jubiläums des Königreichs Norwegen, unterstützt durch dessen Botschaft und Konsulat. Schon lange rätselt die Musikwelt darüber, warum vier Millionen Norweger musikalisch so überaus fruchtbar sind, und fast haben sich die Jazzfreunde daran gewöhnt, immer neue Talente aus dem hohen Norden entdecken zu können. Die Unterfahrt darf es sich als Verdienst anrechnen lassen, diesmal fünf weniger bekannte Bands bzw. Künstler vorgestellt zu haben, die zugleich eine große stilistische Bandbreite vertraten. Solveig Slettahjell mit ihrem Slow Motion Quintet ist in unseren Breiten eine Newcomerin, zu Hause allerdings schon recht erfolgreich. Sie sorgte mit einer klaren und sanften Stimme für einen gefühlvollen, durch Balladen und Liebeslieder geprägten Auftakt. Nur einmal steigerte sie sich höchst dramatisch vom Gospel in eine hymnische Explosion. Ansonsten blieb sie mit ihrem traditionellen Gesang mit eigener Note in ruhigem Fahrwasser und schmeichelte sich als rechtes Herzchen mit überzeugender Aussage beim Publikum ein, zuletzt mit einem „Moon River“ zum Mitschmachten. Ihr Kompliment „You are so sweet“ ließ sich am besten an sie zurückgeben. Ihre Begleiter sorgten eigenständig durchaus für einen spannenden Kontrast. Höchste Spannung erzeugte Sidsel Endresen mit einem experimentellen Vocalissimo: Ihr Programm „Merriwinkle“ ist ein Gegenentwurf zur Stimmakrobatik: Die Sängerin rezitierte Texte, die norwegisch klangen, es aber nicht waren, dann wieder englische Wortfetzen enthielten, zerlegte Sprache teils minimalistisch, zersang, setzte neu zusammen in reine Klänge. Pianist Christian Wallumrød und Gitarrist Helge Sten sorgten mit Samples und geräuschhafter Instrumentierung für geheimnisvolle Schwingungen und für Kontrast. Kaum zu glauben, dass diese Klangmalerin auch Solveig Slettahjell unterrichtet hat. Mit Karl Seglem „New North“ (CD OZ 006, „Reik“ CD 011 Ozella/in-akustik) konnte man sich dann zugleich einem zupackenden modernen Jazz wie der norwegischen Volksmusik-Tradition überlassen und wurde dabei melodisch und rhythmisch immer wieder überrascht. Wie das ganze Norwegen-Paket voller vielschichtiger Facetten war, kamen hier in einem Konzert immer wieder neue musikalische Aspekte zum Tragen. Leichte Wehmut zog mit dem klagenden Klang archaischer Ziegenhörner durch das Kellergewölbe, diesen wehmütigen Sound erzeugte Seglem auch in den hohen Lagen seines Tenorsaxophons. Eine weitere Besonderheit seines Konzepts ist der Einsatz der klassischen Hardanger-Fiddle, die Håkon Høgemo in versunkener Abgeklärtheit spielte. Helge Norbakken fügte eigenständigen Klang und treibende Perkussion hinzu, phantasievoll wie die Zusammenstellung seines Schlagzeugs mit afrikanischen Trommeln und Autofelgen. Gjermund Silset am Bass feuerte an und hielt zusammen. Auch Eldbjørg Raknes gehört zum musikalischen Umkreis von Endresen, mit der sie im A-Capella-Trio ESE singt. In ihrem Soloauftritt sampelte sie sich Grundtöne, rhythmische Fundamente, perkussive Basslinien und kurze Chorusse, über denen sie mit sich selbst im Chor sang, Töne anschwellen und verebben ließ, Gedichte rezitierte, ein schwedisches Volkslied in eine ergreifende Totenklage über die Tsunami-Opfer verwandelte. Irgendetwas muss in Norwegen besonders inspirieren, vielleicht die einsame Weite der Landschaft, die hellen Mittsommernächte oder die langen dunklen Wintertage. Godehard Lutz |
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