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Friedrich Nietzsche als Jazz-Kritiker? Jawohl; aber seine wichtigsten Bemerkungen finden sich nicht im Fall Wagner, auch nicht in der Geburt der Tragödie –obwohl die letztere die Ideen Nietzsches enhält, wie man die Jazz-Improvisation verstehen sollte, in Betracht ziehend die Spannung zwischen der Apollonischen –Struktur – „Architektur in Tönen“ – und dem Dionysischen-Rausch, „die erschütternde Gewalt des Tones, der einheitliche Strom des Melos und die durchaus unvergleichliche Welt der Harmonie“. Um einige Einsicht zu erhalten, in die Spannung innerhalb des Jazz zwischen der Tradition und der Neuerung, müssen wir seine unzeitgemäße Betrachtung, „Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“, heranziehen. Überdenken wir einfach das erste Kapitel, worin Nietzsche über die drei Ansätze, oder Einstellungen, in Bezug auf die Vergangenheit spricht. Erstens gibt es die „monumentalische“, die Art der Historie worin die Leistungen von ein paar Übermenschen (Ellington, Parker, Davis...) alles beherrschen und bereits überschatten. In solcher Historie kann der Gegenwärtige Kraft und Ermutigung finden: „Er entnimmt daraus, dass die Größe einmal da war, jedenfalls einmal möglich war und deshalb auch wohl wieder möglich sein wird; er geht mutiger seinen Gang, denn jetzt ist der Zweifel, der ihn in schwächerer Stunde anfällt, in der er nicht vielleicht das Unmögliche wolle, aus dem Felde geschlagen“. Aber die monumentalische Historie wird zu leicht schon Mythos, und die vergangene Größe kann heutige Größe zu erreichen hindern, „wenn man ein halb begriffenes Monument irgend einer großen Vergangenheit götzendienerisch und mit rechter Beflissenheit umtanzt, als ob man sagen wollte: „Seht, das ist die wahre und wirkliche Kunst: was gehen euch die Werdenden und Wollenden an!“ Wenn wir glauben, dass die echte Jazz-Neuerung gleichzeitig mit Parker oder Coltrane gestorben ist, dann können wir jetzt nur hoffen, blasse Imitationen der vergangenen Leistungen zu machen. (Hören Sie es, Wynton Marsalis?) Zweitens gibt es die „antiquarische“ Art, die die Vergangenheit bis in die kleinste Einzelheit bewahren will. „Das Kleine, das Beschränkte, das Morsche und Veraltete erhält seine eigene Würde und Unantastbarkeit dadurch, dass die bewahrende und verehrende Seele des antiquarischen Menschen in diese Dinge übersiedelt und sich darin ein heimisches Nest bereitet“. Diese Geschichte kann manchmal der Gegenwart dienen, aber zu leicht schon die Verhangenheit nur sich selbst für Wert und nicht für eine gegenwärtige Inspiration. Dann gibt es für die Dinge der Vergangenheit keine Wertverschiedenheiten und Proportionen, die den Dingen unter einander wahrhaft gerecht würden... endlich wird einmal alles Alte und Vergangene, das überhaupt noch in den Gesichtskreis tritt, einfach als gleich ehrwürdig hingenommen, alles was aber diesem Alten nicht mit Ehrfurcht entgegen kommt, also das Neue und Werdende, abgelehnt und angefeindet“. Ein komkretes Beispiel: ich besitze jede Schallplatte von Jim McGuffen, dem Triangel-Spieler der mit Howard McGhee in Kansas City am 23. Januar 1947 gespielt hat – und keine Schallplatte nach 1952 gemacht hat. Drittens gibt es die „kritische“ Art der Historie. Manchmal muss man die Vergangenheit prüfen, verurteilen und ablehnen, um der Gegenwart und der Zukunft zu dienen; man muss die Kraft haben und von Zeit zu Zeit anwenden, eine Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können. Immer muss man suchen, das Gleichgewicht zwischen Tradition und Neuerung zu finden. Der Mensch hingegen stemmt sich gegen die große und immer größere Last des Vergangenen; wir müssen vor allem die Grenze bestimmen, an der Vergangenes vergessen werden muss, wenn es nicht zum Totengäber des Gegenwärtigen werden soll. Das ist doch wohl das Problem für jeden Jazzspieler. Neville Morley, University of Bristol |
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