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Jazzzeitung
2005/02 ::: seite 13
portrait
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Doktor Faustroll ist Norbert Stein nie begegnet. Dennoch schätzt
der Kölner Reedbläser und Komponist dessen Prinzip der Pataphysik
außerordentlich. So sehr, dass Stein seine künstlerischen und
merkantilen Unternehmungen seit 16 Jahren danach benennt: Vom Pata Trio
bis zum Pata Orchester, vom Pata-Label bis zur www.Patamusic.de.
1898 hat der französische Provokateur Alfred Jarry dem ersten Pataphysiker
dichterisches Leben eingehaucht. Seither geistert die Pataphysik durch
Dadaismus, Surrealismus, umherschweifende Situationisten haben ihre Macht
anerkannt. Kürzlich ist Pata Nr. 16, „Pata Java“ mit
den Pata Masters und dem indonesischen Ensemble Kua Etnika erschienen.
Wie „die große Kehre, die Überwindung der Metaphysik“,
nach Gilles Deleuze der Gegenstand der Pataphysik, einst das beschauliche
Leben des Rheinländers infiziert hat und welche Rolle sie heute spielt,
verrät Stein im Interview.
Jazzzeitung: Welche Rolle spielt die Pataphysik in deinem Leben,
im Alltag, in der Musik?
Norbert Stein: Das ist ungeheuer umfangreich. (Pause) Als junger
Mensch las ich „Roi Ubu“ (Alfred Jarry) und war fasziniert
von der geistigen Welt, die sich auftat. Es folgten Beckett, Ionescu,
Artaud, absurdes Theater … Heideggers Dahingeworfensein, Existentialismus.
Das klang nach dem Kern der Dinge und hat mich sehr gefangen genommen.
Und dann Ubu, das war burlesk. Dieser feige Machtmensch, die Gewalt, es
war die Ironie über das menschliche Theater. Mit dieser Soße
komme ich ins Leben, versuche etwas zu begreifen, und höre im Radio
Jazz. Diese Musik war existentiell, hat mich begeistert, ein ,Feuer‘
in mir entfacht. Seither ermöglicht mir die Kunst ein tätiges
Resultat abstrakter Philosophie.
Jazzzeitung: Die meisten Gleichaltrigen haben zu der Zeit vor
allem Beatmusik und Rock gehört.
Stein: Natürlich habe ich die Hitparade gekannt, aber es hat
mich nicht berührt. Mein Vater hat schon Saxophon gespielt, Tanzmusik
und im Verein. Das waren auch meine Anfänge – Karneval, Weihnachtskonzerte
… Ich kannte alle Schlager zu der Zeit. Jazz war da etwas völlig
Neues, verwies auf etwas hinter der bekannten Welt. Ich hörte „Escalator
over the hill“, Gato Barbieri, mit dieser kulturellen Konvergenz
zu Europa. Bebop war mir zu schnell. Mit der Pataphysik war ich offen
zu fassen, was ich tue, sie ermöglichte eine Sammlung der verschiedensten
Perspektiven.
Jazzzeitung: Hat sich daran etwas verändert, seit deine Musik
unter dem Label Pata firmiert?
Stein: Die Grundkonstanten sind gleich geblieben. Das Leben hat
natürlich einen Verlauf und durch die dabei gemachten Erfahrungen
gewinnt man einen anderen Überblick, wird eigenständiger, durchlebt
einen Individualisierungsprozess. Ohne Frage gab und gibt es Veränderungen.
„Die wilden Pferde …“ (1990, Pata Orchester), das war
so eine Periode der romantischen Abteilung, eine Bestandsaufnahme der
hiesigen kulturellen Bilder und Sehnsüchte. Eine junge Position,
würde ich mal sagen. Heute gibt es eine ängstliche Suche nach
Grenzen, von der Gesellschaft kommt keine Aufforderung mehr. Kunst aber
muss immer weiter gucken.
Jazzzeitung: Verglichen mit den Aufnahmen Anfang der 90er-Jahre
hat sich der Fokus deiner Musik bis zum aktuellen Projekt mit den indonesischen
Musikern deutlich von der Melodie in Richtung Rhythmus verschoben.
Stein: Die Kraft und Komplexität, die drei bis vier Rhythmusmusiker
schaffen können, ist ungeheuer spannend. Ich möchte auch einmal
Musik für ein großes Ensemble schreiben, wo ich nur mit grafischen
Symbolen arbeite, der Aleatorik Raum schaffe. Braxton hat einmal gesagt,
dass er Optionen schaffen wolle, egal wer die Stimme spielt. Sozusagen
eine ,Toleranz der 1000 Möglichkeiten‘.
Bei Xennakis hat es auch etwas Ubuhaftes, wie er in seiner Musik mit Gewalten
umgeht: Einerseits die Schönheit, die entsteht, wenn man bestimmten
Regeln folgt. Andererseits die Wahrheit der Regellosigkeit, die einem
höheren Prinzip folgt.
Jazzzeitung: Über Jahre hinweg tauchen bei Projekten und
CD-Aufnahmen immer wieder die gleichen Musiker auf. Welche Rolle spielt
Kontinuität für dich?
Stein: Es ist schön mit Leuten zu arbeiten, mit denen man
schon Arbeitserfahrungen hat und deren Möglichkeiten man kennt. Andererseits
bin ich auch unabhängig davon, neue Musiker bringen neue Farben und
Ideen. Persönlich schätze ich es, mit Kollegen in einer gemeinsamen
Entwicklung zu stehen und zu arbeiten. Kollektive Aufbrüche zu etwas
Ungewissem, etwas Neuem, sind etwas sehr Spannendes.
Text und Foto: Michael Scheiner
Diskografie (Auswahl)
• Pata Java, Pata Masters meets Kua Etnika, CD 2004, Pata Musik/Eigenvertrieb
• Pata Music meets ARFI „Die Schöne und das Biest“
– La Belle et la Bete“, CD 2000, Pata Musik/Eigenvertrieb
• Pata Blue Chip, electronic music with videotraces by Reinhold
Knieps, CD 2000, Pata Musik/Eigenvertrieb
• Pata Horns, New Archaic Musik, CD 1990, Pata Musik/Eigenvertrieb
• Pata Orchester, Ritual Life, CD 1991, Pata Musik/Eigenvertrieb
• Aufnahmen mit u.a.: Kölner Saxophon Mafia, Nonett, Adam
Noidlt Missiles, Karlheinz Stockhausen, AMF, Klaus Lenz Jazz & Rock
Machine, Boury
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