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Im Alter von 96 Jahren verstarb am 25. April Claude „Fiddler“ Williams, der vielleicht älteste noch aktive Jazzmusiker und neben Jay McShann die letzte lebende Ikone der Glanzzeiten des Kansas City Jazz der 30er-Jahre. Befruchtet hat er ihn in mehrfacher Hinsicht. Als Violinist, Gitarrist und gelegentlicher Vokalist. Er hätte eine große Karriere machen können. Als er sich Count Basie anschloss, galt er nach der Meinungsumfrage des Down Beat 1936 als bester Gitarrist. Doch Williams war es leid, beim Count immer nur Rhythmusgitarre, und nie ein Solo spielen zu können. Auch seine geliebte Geige kam zu kurz. Er machte den Weg frei für seinen Nachfolger Freddie Green, der ein Leben lang bei Basie blieb und weltberühmt wurde, und dies ohne Soli zu spielen. Er swingte schon zu einer Zeit auf Saiteninstrumenten, als der Jazz noch das Laufen lernte. Geboren wurde Claude Gabriel Williams am 22. Februar 1908 im Staate Oklahama, und zwar in jenem Muskogee, das dem Jazz auch Don Byas und Jay McShann geschenkt hat. Sein Vater war Schmied und sein Schwager Ben Johnson, der Banjo und Mandoline zupfte, eine Inspirationsquelle für eigene Versuche. Später sollte Claude Williams eine Zeit lang in der Band seines Schwagers spielen. Schon 1918 begann seine Musikerkarriere. Im Alter von zehn Jahren beherrschte klein Claude schon Mandoline, Gitarre, Banjo und Cello. Zufällig war Joe Venuti, der Vater der Jazzgeiger, auch der erste Geiger, den Williams je live hörte. Als der selbst noch recht junge Venuti in Muskogee gastierte, änderte dies Williams’ Leben, obwohl er ihm nur hinter einem Zaun stehend lauschen durfte; Schwarzen war in jenen Tagen noch der Zugang zum Stadtpark verboten. Er erzählte seiner Mutter, dass er wie Venuti Geige spielen wolle und als er am nächsten Tag von der Schule kam, war sein Cello verschwunden und eine Geige auf seinem Kopfkissen. „I was playing the next day because I knew how to play a mandolin and all I had to do was learn how to use the bow. I got myself a good violin teacher because I didn’t know anything about music. All my other playing had been by ear.“ Louis Armstrong war eines der Idole des angehenden Geigers; Saxophonisten haben neben Trompetern sein Spiel am meisten geprägt. 1927 schloß sich Claude Williams dem Familienorchester von Doc Pettiford, dem Vater Oscar Pettifords, an. Noch in diesem Jahr machte er Kansas City, eine der wichtigsten Brutstätten des Swing, zu seiner Heimat. Diese Stadt, in der er am 25. April starb, blieb ein Leben lang das Zentrum seines musikalischen Herzschlages. Seine ersten Aufnahmen machte er 1928 bei den Twelve Cloudes of Joy, die zunächst von Ternece Holder geleitet wurden, dann von Andy Kirk. Heute ist die Band vor allem durch das Wirken seiner Arrangeurin und Pianistin Mary Lou Williams ein Begriff, die mit ihrem Kollegen Claude nicht verwandt war, aber einige seiner Soli für den Trompeter Harry Lawson einrichtete. Weitere Wegmarken seiner Laufbahn waren die Band von Eddie Cole (dem der noch nicht singende Bruder Nat King Cole angehörte), Alphonso Trent, George E. Lee und Count Basie, mit dem 1937 Aufnahmen entstanden. Basies Manager John Hammond, der sein Violinspiel nicht mochte, ist auch schuld daran, dass er keine Gitarrensoli spielen durfte. Kansas City, die Stadt nächtelanger Jam Sessions, war mit Größen wie Lester Young, Ben Webster, Herschel Evans und Buddy Tate eine Hochburg der Saxophonisten. „If I played at a jam session I always tried to play one of the first solos. Once those guys started you might as well forget it. You’d just be back there riffing the rest the night… „Gewohnt mit Saxophonisten seine Kräfte messen zu müssen, entwickelte Williams eine hornmäßige Phrasierung. Ohne Lautstärke war in jenen Zeiten, als die Geige noch nicht verstärkt wurde, nichts zu machen. So entwickelte Claude Williams einen kräftigen Sound und ein Gespür für besonders effektvolle Soloeinstiege, die, oft in der Double-time, eines seiner Markenzeichen waren. Williams spielte noch bei George E. Lee, als er einem jungen Saxophonisten der Band zeigte, wie man von einem Akkord zum anderen überwechselt. Sein Name war Charlie Parker. „I hate to tell people that I used to show Charlie how to play because they look at me kinda funny. But when he used to jam with us, he could read anything but he didn’t have it together when he’d go from a major to a minor. He would play some wrong changes and I’d have to take him off and show him the right chords. He appreciated that.“ Doch auch der ältere hat vom jüngeren gelernt. Bebop-Elemente bereicherten Williams’ Stil und Parker-Kompositionen gehörten zu seinem Repertoire, das im übrigen aus alten und neueren Standards und einer guten Portion Blues bestand. Es fiel Williams leicht, harmonisch moderner zu spielen als viele seiner Generationsgefährten, weil er von der Gitarre kam. „It’s a little different,“ erklärte er einmal, „because I knew more about chords and changes than the other violin players. They only knew how to read the melody and swing it. But with me knowing guitar, I played a lot of augmented and diminished changes, flatted fifths, all that stuff.“ Nach seiner Zeit bei Basie war er ein Mitglied der Four Shades of Rhythm und machte über 30 Jahre keine Aufnahmen. Die 40er-Jahre verbrachte er in Flint, Michigan, in R&B-Bands und im Los Angeles der frühen 50er-Jahre war er unter anderem bei Milton’s Solid Senders tätig. Ab 1952 blieb Claude Williams in Kansas City. Dort arbeitete er ab den 60erJahren immer wieder mit dem Pianisten und Bandleader Jay McShann zusammen, der den fast vergessenen Geiger auf seinem Sackville-Album „The Man From Muskogee“ vorstellte. In den 70er-Jahren begann man Claude Williams wieder Aufmerksamkeit
zu schenken, die im Verlauf des ausgehendenden 20. Jahrhunderts langsam
und stetig wachsend fast zu einem Comeback anwuchs, das mit zahlreichen
Alben (für Labels wie Black & Blue, Steeplechase und Asrhoolie)
und Europatourneen einherging. Sogar bei Präsident Clintons zweiter
Antrittsfeier trat er auf. Auch in Deutschland war er zu hören und
zu sehen; ja seine Auftritte wurden hier sogar vom Fernsehen, sonst in
puncto Jazz eher zurückhaltend, mitgeschnitten. Gottlob zeigte sich
Williams in einem Alter, das nur wenige Menschen erreichen, nicht nur
rüstig, sondern ebenso spielfreudig wie kreativ. Nach dem Geheimnis
befragt, wie man so gesund und glücklich ein hohes Alter erreiche,
erklärte er: „Don’t worry about nothing.“ Erschreckend war eigentlich weniger, dass ein alter Meister mir Grünschnabel schon so vieles vorweggenommen hatte, sondern die Tatsache, daß ein Musiker, der so viel zu geben hatte, und dies auch fast ein Jahrhundert lang tat, vergleichsweise unbekannt geblieben ist. In einer von europäischen Violinisten und weißen Musikkritikern dominierten Welt hat ein alter schwarzer Fiedler wohl wenig Gewicht, leider. Vor allem, wenn seine Ästhetik und Technik sich weit von jenen Normen entfernen, die in der europäischen Kunstmusik für Violinspiel gesetzt wurden. Wer sich daran orientiert, und dass tun auch viele unreflektiert beim Jazz, dem ist Williams’ Ton zu rauh, seine Intonation zu schräg, nur weil ihm die blue notes wirklich zwischen den Halbtönen sitzen, während andere selbst den Blues wohltemperieren. Auf die Bemerkung, er habe schon immer etwas mehr funky gespielt als alle anderen Jazzgeiger, entgegnete Claude Williams vor einem Vierteljahrhundert: „Today funk is a big thing with the young people. But funky music is as old as Methusalem…“ Auf die Geige übersetzt: So alt wie Claude Williams. Spuren seiner so unterschätzter, zeitlos gebliebener, hot swingender Kunst gibt es überall in der schwarzen Tradition des Violinspiels: Von seinem Zeitgenossen Stuff Smith bis zu Regina Carter reicht die Kette jener „Brüder“ und „Enkel“, die das ABC des Jazz recht ähnlich buchstabieren. Vielen Dank, Fiddler! Marcus A. Woelfle |
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