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Musste man nach einem Jubiläumsfestival, so wie es die 30. Internationalen Ilmenauer Jazztage im vergangenen Jahr waren, mit einem lauen Programm und wenig Besuchern rechnen? Ist das kleine Musikereignis im Thüringer Wald mit bescheidenem Budget überhaupt in der Lage, attraktive Bands an Land zu ziehen? So etwas funktioniert. Dem Veranstalter Jazzclub Ilmenau gelang es in der Tat, mit lediglich acht Bands einen kleinen Kosmos des progressiven Jazz auf die Bühne zu bringen. Und das mit einer etwas höheren Publikumsbeachtung als im vergangenen Jahr. Rund 750 Gäste kamen. Damit hält der Zuwachs der Besucherzahlen weiter an. Mit dem qualitativ erstklassigen Musikangebot brach für niemanden die Welt zusammen – weder für die Zuhörer, noch für die Musiker und die Veranstalter.
Vielmehr schien es beim großen Abschlusskonzert, als breche die gesamte Musik des Orients und Okzidents über die Zuhörer herein. Die melancholische Melange aus arabischen Klängen, osteuropäischer Folklore, treibenden Bop-Synkopen des israelisch-britischen Saxophonisten Gilad Atzmon und seinem Orient Ensemble gipfelte in viel Weltschmerz. Die wehleidigen Kompositionen erklangen nicht ganz unbegründet, denn Atzmon erhob einen durch und durch politischen Anspruch seines Auftritts. Der israelische Bandleader machte auf der Bühne klar, dass er die Politik seines Vaterlandes gegen die Palästinenser verabscheue. So widmete er das Stück „Jenin“ den Opfern, die in diesem palästinensischen Flüchtlingslager ums Leben kamen, als die israelische Armee den Ort vor zwei Jahren dem Erdboden gleichmachte. Immer wieder nahmen Piano, Violine und Akkordeon die Tonfolgen Atzmons unglaublich gefühlvoll auf, verloren niemals ihren Drive auf dem dezenten Beat der hervorragend eingespielten Rhythmusgruppe. Ein tolles, melodiös gut verdauliches Abschluss-Set der international renommierten Künstler. Im wahrsten Sinne atemberaubend die fast kontemplativ wirkende Solovorstellung des Ausnahme-Saxophonisten Dietmar Diesner am gleichen Abend. Wie nur wenige beherrscht er die Zirkular-Atemtechnik und spielt teils 20 Minuten ohne auch nur einmal sein Saxophon abzusetzen. In einer humorvollen, technisch perfekten Performance entlockte er seinem Instrument unglaubliche Töne: am Mundstück schmatzend und schlürfend erzeugte Diesner blubbernde, kreischende, ächzende Laute – somit macht er sein Tenorsaxophon zu einer nahtlosen Verlängerung seines Mundes. Explosiv und funky hingegen eröffnete der Kalifornier Paul Brody sein Konzert. Mit seinem Detonation Orchestra bewegte sich die Band soundmäßig irgendwo zwischen Frank Zappa, dem Miles Davis der 70er-Jahre und der Band Naked City. Freejazz-Ausbrüche, Offbeats, treibende Backbeats und gelungene Eigeninterpretationen von George Gershwin boten eine variationsreiche erste Stunde des Konzerts. Brodys Vokalist Alex Nowitz fand zudem große Beachtung bei den Zuhörern: Bizarre Stammellaute gab er von sich, plapperte wirre Rap-Einlagen und übte sich in erstklassiger Geräusch-Mimikry: Das Publikum amüsierte sich über dessen Show, honorierte die vitale Vorstellung von Brodys Band. Große Beachtung fanden auch die vorhergehenden Konzerte der Pianistin Aki Takase und des Duos Thomas Wallisch & Oli Bott. Stakkatohaft hämmerte Aki Takase auf die Tasten, atonale Akkorde ließ sie synkopiert erklingen: So begann die Reise in die musikalische Welt Aki Takases. Das aufregende, sinnliche und experimentelle Solokonzert der japanischen Künstlerin war der Auftakt der diesjährigen Ilmenauer Jazztage. Nach 15 Jahren fand sie ein zweites Mal den Weg zu dorthin. Die Themen ihrer teils romantischen Eigenkompositionen, Hardbop-Phrasen und konventionellen Boogie-Woogies verließ sie immer wieder und suchte permanent die Möglichkeiten des Zufalls mittels vehement-schmerzhaften Akkord-Attacken. Mal stemmte Aki Takase ihren Ellbogen in die Tasten, dann zupfte sie wieder an den Klaviersaiten, ließ kraftvoll den ganzen Klangkörper des Flügels grollen. Weniger aggressiv und trotzdem experimentell zeigten sich der Vibraphonist Oli Bott und der Gitarrist Thomas Wallisch. Mit der Hilfe elektronischer Loops schichteten sie oral erzeugte Latin- und Funkgrooves über eingehende Melodien. Auf diese Weise verdichteten sie ihre selbst komponierten Stücke stark und erzeugten mit wenig Mitteln erstaunliche Spannungsbögen. Was diesem Duo im Kleinen auf der Bühne durchaus gelang, galt auch für die Internationalen Ilmenauer Jazztage 2004 im Ganzen: abwechslungsreiches Programm, spielfreudige und avantgardistische Musiker sowie ein offenes, richtungweisendes Publikum. Kai Schlichtermann |
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