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Kluge Köpfe werden beim Lesen der Unterzeile einzuwenden wissen, dass Kapstadt ja alles andere als an der Nordsee liegt, sondern am Kap der guten Hoffnung, sturmumtost, legendär, wo der kalte Atlantik auf den warmen Indischen Ozean trifft. Das musikalische Großereignis, über das hier berichtet werden soll, ist aber natürlich ein (bis jetzt) kleinerer Ableger des berühmten Bruders in Den Haag. Der niederländische Jazz-Promoter Paul Acket hatte 1976 eine Idee, die sich als spektakulär erweisen sollte: Jazzliebhaber aus Europa und der ganzen Welt sollten die Gelegenheit bekommen, Bands auf verschiedenen Bühnen verschiedenster Größe teilweise zur gleichen Zeit erleben zu können. Waren es 1976 noch 9.000 Festivalbesucher, rechnet man heute mit um die 70.000, denen 16 Auftrittsorte offen stehen. Davon kann Kapstadt vorerst nur träumen, trotzdem wird der südafrikanische Ableger, der 2004 sein fünfjähriges Jubiläum feiern konnte, bereits als „Africa’s Grandest Gathering“ – das größte Treffen der afrikanischen Musikszene also – gehandelt. Man war, wie auch die vier anderen Jahre zuvor, bemüht, mindestens 50 Prozent der über 30 Bands mit im schwarzen Kontinent beheimateten Musikerinnen und Musikern zu besetzen. Zur Feier von zehn Jahren Demokratie wartete man überdies noch mit zwei absoluten südafrikanischen Attraktionen auf: Miriam Makeba und Abdullah Ibrahim. Mama Africa
„Mama Africa“ Makeba beeindruckte bereits in der Pressekonferenz, die sie trotz ihres angegriffenen Gesundheitszustandes mit großer Geduld und Bravour meisterte. Nach ihren Gefühlen zum Thema zehn Jahre Freiheit für Südafrika befragt, äußerte sie sich voller Stolz über die Demokratie in ihrer Heimat, die zwar immer noch in den Kinderschuhen stecke, trotzdem aber bereits Enormes geschafft habe. Sie erinnere sich genau an das überwältigende Gefühl während ihres ersten Auftritts 1990 nach 31 Jahren Exil, als sich abzuzeichnen begann, dass Südafrika von der Apartheid befreit würde. Leicht sei es für die Einwohner des Landes immer noch nicht, zusammenzuwachsen, zusammemzuarbeiten, aber sie sehe überall große Bemühungen. Trotzdem könne man in nur zehn Jahren nicht das Denken und die Gewohnheiten der Menschen, die über Jahrzehnte hinweg aufgebaut wurden, komplett ändern, das brauche einfach noch seine Zeit.
Ein eigens für die südafrikanischen Künstler geschaffenes Ministerium für Kunst und Kultur will das Seine dazu tun, um die nationale künstlerische Identität, die während des Apartheid-Regimes schwer gelitten hat, wieder zu fördern, beziehungsweise ganz neu aufzubauen. In vordemokratischen Zeiten wurden Sinfonieorchester von der Regierung unterstützt und finanziert, in denen kein einziger schwarzer Musiker zu finden war… Als Makeba in den 70ern ihr Land verließ, wusste sie nichts von Aufnahme- , Aufführungsrechten oder gar Verwertungsgesellschaften, dementsprechend wurde sie anfangs im Ausland ausgenutzt und daher erklärt sich auch die chaotische und unübersichtliche Diskografie der Ikone der afrikanischen Musik. Zwischen allen StilenBis heute sei sie auf den Click-Song und Pata Pata festgelegt – kein Konzert ohne diese beiden Hits. Das mache sie aber für ihr Publikum, obwohl ihr gerade diese beiden Songs bereits aus den Ohren herauswachsen würden.
„Denn was sind wir Künstler ohne unser Publikum, das da draußen sitzt und uns zuhört? Nichts. Das vergessen einige, wenn sie berühmt werden.“ Auch Kategorisierungen in Welt-, Folk- oder Jazzstilistiken sind Miriam Makeba fremd, oft fragt sie sich, was sie auf einem Jazzfestival zu suchen habe – im Gegensatz zu „wirklichen Jazzsängerinnen“ wie Dinah Washington oder Billie Holiday. Trotzdem sei sie immer wieder eingeladen worden: nach Montreux, Monterey oder Den Haag. „Und dann sagte ich mir: O.K., wenn sie dich da haben wollen, dann geh auf die Bühne und singe, was du eben singst und auf deine Weise.“ Mit 72 und trotz ihrer schlechten Gesundheit denkt Miriam Makeba nicht ans Aufhören: „Weil ich das, was ich tue, einfach liebe. Ich liebe es zu singen. Ich bin am allerglücklichsten, wenn ich singe. Auch wenn ich einen trauriges Lied singe. Das ist das, was ich der jungen Generation von Sängerinnen immer mitgeben, vermitteln möchte: Sei keine Gelegenheitssängerin, sei eine Fulltime-Sängerin und liebe das, was du tust! Wenn du eine Geschäftsfrau bist, dann liebe deine Geschäfte, wenn du im Haushalt arbeitest – was ich auch oft gemacht habe –, dann liebe das Saubermachen, und wenn du eine Sängerin bist, dann musst du das Singen lieben. Das ist die ganze Kunst, das gibt einem die Kraft.“ Dass Musik ihr Leben ist, wird noch einmal bei der Abschlussfrage klar. Ob die Musik, Südafrika befreit habe, fragt ein Journalist. Makeba: „Meine Waffe war die Musik. Ohne Musik gibt es kein Leben. Musik ist die Essenz des Lebens.“ Zwei musikalische Weggefährten, die schon 1966 in ihrem Trio spielten, begleiteten sie während ihres umjubelten Konzertes in Kapstadt: der Drummer Leopoldo Fleming und William Salter am Bass. Wer überhaupt in den aufsteigenden Konzertsaal gelangen wollte, brauchte viel Geduld. Doch statt darüber in schlechte Laune zu verfallen, wurde hier gesungen, Makeba-Sprechchöre angestimmt und fröhlich herumgerempelt. Massenandrang
Berührungsängste durfte man sowieso nicht haben im Convention Center, wo das Festival 2004 zum ersten Mal stattfand, vorher war das Good Hope Center Veranstaltungsort. Jeweils geschätzte 15.000 Besucher, man hatte das Gefühl, es seien viel mehr, drängelten sich an zwei Abenden vor insgesamt fünf verschieden großen Bühnen und insgesamt über 30 Bands aus Afrika und der übrigen Welt des Jazz. Um nur einige der weiteren internationalen Stars zu nennen: Cassandra Wilson, Al di Meola, Stanley Clarke, Jonathan Butler, Joe Lovano oder Angie Stone. Aber auch in Europa unbekanntere afrikanische Bands kamen hier zum Zuge: Soweto Kinch feat. Abram Wilson, Yvonne Chaka Chaka, Raga Afrika, Tasha’s World oder Feya Faku & Friends. Schattenseiten
Und nicht zu vergessen enja-Künstler und Pianist Abdullah Ibrahim
– geborener Südafrikaner, der im Gegensatz zu Miriam Makeba
auch die Schattenseiten der jungen Demokratie aufzuzeigen versuchte. In
seiner gewohnt trockenen und schroffen Art beantwortete er die Frage,
was das North Sea Jazz Festival Cape Town und sein Auftritt dort für
ihn persönlich bedeuten würde, zuerst abweisend und widerwillig:
„I have no idea.“ Doch kurze Zeit später ließ er
sich doch aus der Reserve locken und forderte ein südafrikanisches
Pendant zum NSJF in Holland ein, erinnerte an die immer noch schlimmen
Probleme von Armut und Kriminalität im Land und mahnte vor allem
das mangelhafte nationale Selbstbwusstsein seiner Mitbürger und Musikerkollegen
an. Ihre persönliche afrikanische Identät sei den Südafrikanern
während der langen Unterdrückung abhanden gekommen. In den zahlreichen
Live-Clubs würden hauptsächlich Cover aus dem Ausland nachgespielt,
die Tantiemen würden dementsprechend aus dem eigenen Land abfließen,
immer noch viel zu wenig afrikanische Musik exportiert werden. Township-RealitätWährend eines Tagesausflugs mit Fremdenführer in die schwarzen Townships im flachen Westen Kapstadts schienen sich Abdullah Ibrahims Überlegungen nahtlos in die Realität einzufügen. Erste Station ist das Restaurant „Lelapa“ (übersetzt „Home“) in Langa. Sheila ist zugleich Wirtin und bewohnt Teile ihres Hauses. Sie erzählt mit unbewegtem Gesichtsausdruck und brennenden dunklen Augen von ihrer Zeit als Haushaltshilfe in einer weißen Junggesellen-WG zu Apartheid-Zeiten, von Bergen von dreckigem Geschirr, die jeden Montag mit eingetrockneten Essensresten auf sie warteten, von miesester Bezahlung und stundenlangen Anfahrtswegen voller Angst, denn Schwarze durften ja eigentlich nicht in die Wohngebiete der Weißen. Während wir von ihr und einer Mitarbeiterin ein leckeres Mittagsmenü vorgesetzt bekommen, musiziert eine Gruppe junger Marimbaphon-Spieler plus Sänger für uns, der den Spitznamen „Pavarotti“ ob seiner schmetternden Tenorstimme verpasst bekommen hat. Statt afrikanischem Liedgut werden „Take Five“ und Verdi-Arien zum Besten gegeben. Doch man meint es ja nur gut mit den weißen Touristen…
Seit dem Ende der Apartheid scheint sich außer für Kleinunternehmerinnen wie Sheila oder Vicky, die im benachbarten Township Khayelitsha das „kleinste Bed & Breakfast der Welt“ unterhält (http://journey.digitalspace.net/vicky.htm), für die schwarzen Bewohner und farbigen Einwanderer Kapstadts noch nicht die Welt verändert zu haben. Es ist Sonntag nachmittag, auf einem vertrockneten Rasen spielen zwei einsame Männer Golf – oder so etwas Ähnliches. Gegenüber Vickys Bed & Breakfast, das übrigens inklusive ihres eigenen Zimmerchens und der Küche noch zwei Fremdenzimmer beheimatet, ist Hochsaison im Pub. Die Wirtsleute stehen hinter der vergitterten Theke, die Township-Jugend wiegt sich zu lauter HipHop-Musik. Unser farbiger Guide erklärt uns, warum selbst in schlechteren Zeiten, viele ein Lächeln im Gesicht trugen: „Zeige den Unterdrückern nie deinen Zorn, dazu musst du viel mehr Muskeln bewegen als für ein Lächeln“, bläute ihm seine Großmutter ein, als er ein kleiner Junge war. Die Arbeitslosigkeitsrate in Südafrika liegt heute bei 40 Prozent, wer keine Arbeit hat, hat keinerlei Anspruch auf Sozialhilfe oder eine sonstige finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite. Trotzdem wandern weiterhin Flüchtlinge aus Asien und afrikanischen Krisengebieten zu. Unser weißer Fremdenführer, der uns während unserer Halbinselrundfahrt an einem anderen Ausflugstag begleitet, ist trotzdem der festen Überzeugung, dass Kapstadt bald eine der führenden Metropolen der westlichen Welt werde. Die andere Seite
Er führt uns das andere Kapstadt auf der gegenüberliegenden Seite des mächtigen Tafelberges, der wie eine Schneise den Ort unterteilt, vor: Gebiete und Gegenden, die viele der schwarzen Kinder, die uns tags zuvor umringt hatten, wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen. In der schick sanierten Victoria & Albert Wharf, einem Hafen, in dem auch noch gearbeitet wird, reihen sich teure Restaurants an Andenkenläden, elegante Cafés und einen Löwenbräukeller. Weiter Richtung Südosten schmiegen sich weiße Villen an die Berghänge mit pittoreskem Meerblick. Wir besuchen eine Pinguinansiedlung, ein malerisches Fischerdorf namens Hout Bay, befahren den kurvigen Chapmans Peak Drive, besichtigen den Naturpark beim Kap der guten Hoffnung, wo wilde Paviane unvorsichtigen Touristen die Eistüten aus den Händen reißen und kehren schließlich mittags in eine Restaurant mit Meerblick ein. Die einzigen schwarzen Gäste, die hier speisen, sind unsere Begleiterin vom Südafrikanischen Tourismusamt und ihr Freund. Überflüssig zu sagen, dass das Servicepersonal zu 90 Prozent aus Schwarzen besteht. Festival der SchwarzenZurück ins Convention Center und zum North Sea Jazz Festival, wo es die schwarzen Besucherinnen und Besucher, die hier fast in der Überzahl sind, augenscheinlich immer noch sehr zu genießen scheinen, dass sie sich in ihrer schönen Stadt frei und ungezwungen bewegen können. Hierher kommt man zusammen, um zu essen, zu trinken, zu feiern und erst in zweiter Linie wegen der Musik. Laut ins Handy gesprochen wird übrigens auch während der Auftritte direkt vor den Bühnen, und niemand scheint sich daran zu stören – außer den Journalisten aus dem Westen. Hier scheint ein vereintes Südafrika, in dem Weiß, Schwarz, Gelb und Farbig friedlich miteinander leben, doch wieder realisierbar zu sein. Die Newcomer-Band „Breakfast Included“, bestehend aus weißen Musikstudenten, sieht alles wieder nur positiv. Die Live-Szene habe sich seit dem Ende der Apartheid verdreifacht, Clubs würden wegen der guten touristischen Infrastruktur wie Pilze aus dem Boden schießen und sie selber würden sich geehrt fühlen, mit ihren berühmten Kolleginnen und Kollegen gemeinsam beim Festival mitwirken zu dürfen. Die Karten für das North Sea Jazz Festival waren in diesem Jahr übrigens noch enorm preisgünstig, Unterkunft und Verpflegung sind es bis heute auch noch. Und ab September fliegt Lufthansa direkt nach Kapstadt und nicht mehr mit Umsteigen in Johannesburg. Aber Vorsicht: der südafrikanische Rand gewinnt rasant an Fahrt. Eine Reise ist dieses wunderbare Land voller Widersprüche aber auf alle Fälle Wert. Und wer nicht wirklich dagewesen ist… Ursula Gaisa
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