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Die Geschichte von Musch Silbernagl im tyrolischen Kastlruth mutet etwa genauso kurios an wie die der Sandra Weckert, klar, dass solche zusammenkommen müssen: Silbernagl, einziger Sohn des Kaufhausunternehmers Silbernagl zu Kastlruth, sucht rechtzeitig das Weite, um die Juristerey und die große Weltläufigkeit zu studieren. Bald rufen die vier Schwestern aus der Heimat um Hilfe, Musch, komm zurück, das war 1996. Seitdem fristet Musch Silbernagl sein traurig-süßes Dasein im tyrolischen Kastlruth, wohin er illustre Kapellen vom Schlage einer Sandra Weckert ab und zu einlädt, um dort, im Wald, Sause zu machen (Sandra Weckert: „50 Sandra Weckert Fans can’t be wrong“ Jazzfiles rec. ohne Nr., 2002, Track 2). Das erzählt Sandra Weckert, sitzend bei Bier und Käs im Augustinerbiergarten zu München an einem sonnig heißen Frühsommertag: München ist schon urig, sagt Weckert, die eigens für den Interviewzirkus in den wilden Süden gefahren ist, kommend aus Meck-Pom, via Berlin, wo sie lebt.
Sandra Weckert ist ein wenig nervös, nein nicht hippelig, obschon sie sehr schnell redet, mit der Aufgeregtheit einer gerade auf Schulfahrt befindlichen 14-Jährigen – Sandra Weckert ist gerade 29 geworden, hat eine 2-jährige Tochter Naima Fulana und ist verheiratet mit Al Weckert: „Der hat mich ja überhaupt drauf gebracht. Wir haben uns in Berlin kennen gelernt, ich kam grad aus Rostock, wo ich aus der Kabarettgruppe Rohrstock rausgeflogen war, was mich fast umgebracht hätte, da traf ich Albert. Ich war hin und weg von seiner Plattensammlung, Mann 2.500 geilste Scheiben, der hat mir nicht nur gezeigt, was Jazz ist, der hat mir auch gezeigt, was Funk, was Soul, was Blues ist, eine unglaubliche Bandbreite an guten Leuten, alle die Sachen haben dazu geführt, was jetzt da ist“. „50 Sandra Weckert Fans can’t be wrong“, Sandra Weckerts zweite CD, das ist weit mehr als das Zitat eines Elvis Presley Slogans („50 Million Elvis Fans can’t be wrong“), auch mehr als der intellektuell verdrehte Song von Paul Simon „50 ways to leave your lover“) – es ist das trotzige Statement, das dem Jazz als Lebensform sui generis eignet: das Trotzdem. Viermal versucht Sandra Weckert, an einer ordentlichen Hochschule zu studieren, viermal wird sie abgewiesen: Dreimal versucht sie es an der Hochschule für Musik Hanns Eisler, einmal an der HDK in Berlin. Weckert wächst auf im Schutz protestantischer Jugendarbeit, singt,
spielt Gitarre: Die Eltern haben die Geige ausgeguckt für Tochter Sandra, die eigentlich Flöte spielen will. Wie auf dem Pferdemarkt reißt ihr die Musikschullehrerin das Maul auf, prüft die Zähne und sagt: „Nö, dieses Gör kann niemals die Flöte spielen, die soll mal schön Geige lernen.“ Sie tut, wie ihr geheißen, verbucht passable Erfolge bei den Preisspielen auf Landesebene : „‚Jugend musiziert‘ in und um Meck-Pom“. Thomas Wiediger, der Holzblaslehrer, wittert das Talent der Sandra Weckert und unterrichtet sie in den Basics mit der Bedingung, regelmäßig zu üben. Zur Geige gezwungen, die Flöte vergessen, das Saxophon erträumt. In Kassel, wo sie nach der Wende Aushilfsjobs macht – sie ist 17 –, sieht sie in einem Schaufenster dieses gülden schimmernde Ding, das sie auf der Stelle haben muss. Sie beginnt, dem Instrument jämmerliche Töne abzuringen, die Unterweisungen Wiedigers scheinen dahin, vergeblich. Inzwischen in Berlin vertraut sie sich Rolf von Nordenskjöld an, der sie wohlwollend fördert. Allerdings soll Sandra Weckert nicht studieren dürfen: sie habe überhaupt kein Talent, sei wohl einfach zu doof, sich einfachste Harmoniestrukturen zu merken, könne überhaupt nicht mit vorgegebenem Material improvisieren, sei am Ende keine Jatz-Musikantin. Ist sie, eben deswegen gerade doch, denn das schiere Trotzdem, die Notwendigkeit, aus scheinbar auswegloser Lage (sic!) eine Kurve zu kriegen, das ist das sine qua non des Jazz. Es war wohl der fast gewalttätige Trotz des Charles Mingus, der die Weckert restlos entflammte: Albert, den sie gerade kennen gelernt hatte, kokettierte mit soeben erworbenen 40 Mingusplatten – „boaah, 40 Mingusplatten, booaaahh geil, wann kann ich mir die mal anhören...?“ Interessant an Sandra Weckert sind nicht ihre vorliegenden zwei CDs,
die frech, trotzig und avanciert daherkommen mit einer Musik, die in ihrem
Engagement nichts anderes als modern, also zeitgemäß, zeitgenössisch
genannt werden muss. Interessant an Sandra Weckert ist ihre Unbekümmertheit,
ihre Spielfreude, ihr Augenzwinkern, ja: ihr Humor. Müßig, zu beschreiben, wie sie klingt: eine Mischung aus Braxton und Konitz - was sagt das aus? Müßig auch, Prognosen zu stellen: „Die wird mal eine gaaanz Große… tritt in die Fußstapfen Ornette Colemans…“ Denn drumherum gibt es gottseidank zahlreiche Kolleginnen, deren Musik ebenfalls lohnt, gehört zu werden: Silke Eberhardt, Angelika Niescier, Co Streiff und viele andere: sie alle spielen Altsaxophon, warum wohl? Eine andere Frage, gewiss. Sandra Weckert arbeitet derweil an der nächsten Platte und schenkt mir zum Abschied diese berückend plastene Schürze, die so schrecklich – schräg – scheußlich kommt und grad recht passt zum Schweinebraten mit Knödeln, zum Obatzden und zu einer Mass Bier: „Da essn ma hoit an Kaas.“ Roland HH Biswurm |
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