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Jazzzeitung
2002/09 ::: seite 10
jazz heute
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Branford Marsalis hat die Nase voll. Nach rund zwei Jahrzehnten im Getriebe
der großen Musikkonzerne hat sich der 42-jährige Saxophonist
aus New Orleans selbstständig gemacht. Vor wenigen Wochen gründete
er zusammen mit dem Journalisten Bob Blumenthal, den Jazzenthusiasten
Sherry McAdams, Ann Marie Wilkins und den Bostoner Plattenprofis von Rounder
Records sein eigenes Label Marsalis Music. Erstes Ergebnis dieser künstlerischen
Freiheitserklärung ist das Quartettalbum „Footsteps Of Our
Fathers“, mit dem sich Marsalis souverän vor stilistischen
Ahnherren der jazzenden Moderne wie John Coltrane, Ornette Coleman und
Sonny Rollins verneigt. Ralf Dombrowski sprach aus diesem Anlass mit ihm
über den Spaß an der Eigenheit, die Ignoranz des Establishments
und die Ehrfurcht vor den Eltern.
Jazzzeitung: Wozu braucht ein Musiker ein eigenes Label?
Branford Marsalis: Musik ist inzwischen der unwichtigste Teil des
Geschäfts. Plattenfirmen müssen ständig Profit vorzeigen
können, Profit, Profit, Profit! Wenn einer zum Beispiel morgen die
besten Jazzaufnahmen machen würde, die jemals entstanden sind, würden
es die Menschen frühestens in 15 Jahren merken. Denn das Album würde
nicht im Laden landen, es würde nicht verkauft werden. Es gibt einfach
die Umgebung nicht mehr, in der Musik wachsen kann. Die einen sprechen
von Produkt, von „Content“. Wir aber meinen Musik. Und das
ist ein Unterschied.
Jazzzeitung: Waren das Ihre Erfahrungen, die Sie als künstlerischer
Leiter des Jazz Departments bei der Sony gemacht haben?
Marsalis: Ich war drei Jahre künstlerischer Leiter der Jazzabteilung
bei der Sony/Columbia. Währenddessen war ich höchstens fünfmal
in meinem Büro und nie auf irgendwelchen Meetings. Denn dort geht
es nicht um Inhalte, sondern lediglich um Verkäufe und Quartalszahlen.
Mein Job war es, Vorschläge zu machen, wie etwa David S. Ware unter
Vertrag zu nehmen. Da sie kaum Ahnung von Jazz hatten, meinten sie: Na
klar, mach mal. Als dann das Album erschien, schlugen sie die Hände
über dem Kopf zusammen und meinten: „Jesus, was ist das?“.
Wenigstens ist es mir auf diese Weise gelungen, einigen Musikern eine
Aufmerksamkeit zu verschaffen, die sie sonst nie bekommen hätten.
Jazzzeitung: Warum ist Jazz für den Markt offenbar so unattraktiv
geworden?
Marsalis: Jazz kann man nicht verkaufen, wenn es nicht in den Geschäften
steht. Selbst wenn eine Aufnahme einen Grammy für „Contemporary
Jazz“ erhält, wird man sie nirgendwo im Laden finden. Denn
die Leute, die in den großen Firmen arbeiten, sind keine Musikfans.
Sie interessieren sich für Berühmtheiten. Für die ist es
das größte, zweimal im Jahr einen Backstagepass für ein
Konzert im Baseballstadion zu erhalten und sich in die Schlange der Händeschüttler
einzureihen. Draußen grölt die Menge, sie haben ein Catering-Tellerchen
in der Hand und fühlen sich gut, weil sie meinen, das mit ermöglicht
zu haben. Darum arbeiten die meisten in Major Companies, nicht um abends
im Jazz Club abzuhängen.
Jazzzeitung: Ich hatte immer den Eindruck, Amerika braucht den
Jazz für seine kulturelle Identität...
Marsalis: Jazz war noch nie sonderlich bedeutend für den Farmer
in North Dakota oder den Arbeiter in Louisiana. Dabei hat der kommerzielle
Prozess wenig mit dem künstlerischen zu tun. Manches muss gemacht
werden, weil es einfach gemacht werden muss, egal, ob es die Menschen
verstehen. Wenn man es genau nimmt, dann ist Mahler zum Beispiel ein ziemlicher
Reinfall, Beethoven auch. Am ehesten kann man noch mit Mozart ein wenig
Reibach machen, den hört man wenigstens als Hintergrundgedudel in
Einkaufszentren. Aber sonst? Bruckner? Reinfall! Hindemith? Reinfall!
Niemand kauft deren Musik. Ist sie deshalb schlecht? Genau von solchen
Verknüpfungen möchte ich wegkommen.
Jazzzeitung: Und womit finanzieren Sie Ihr Label?
Marsalis: Ich habe genug Geld, um eine Platte zu machen. Ich habe
nicht genug, um ein Video und einen DJ-Remix dazu zu produzieren und sie
allen Radio-Leuten auf der Welt zu schicken mit der Bitte, sie doch zu
spielen. Wir konzentrieren uns daher darauf, das Talent junger Künstler
zu entdecken, zu fördern.
Jazzzeitung: Branford Marsalis als A&R-Mann…
Marsalis: A&R ist ein überkommener Begriff. Er stammt
aus den Vierzigern, als sich Mittelsmänner für Sänger wie
Frank Sinatra mit Songwritern treffen mussten, um für die Stars neue
Lieder zu finden. Das hat nichts mit Jazzmusikern zu tun. Wenn ein Jazzmusiker
nicht weiß, was er spielen soll, dann brauche ich ihn nicht. Übrigens
waren die richtig großen Künstler schon immer von den Einflüsterungen
unabhängig, auch wenn sie sich dem Mechanismus unterwarfen. Von Louis
Armstrong gibt es zum Beispiel diese herrliche Geschichte: Er war mit
seiner Band auf Tour. Bei einem Konzert brüllte aus dem Publikum
ständig jemand: „Hey, spiel mal ‚Hello Dolly‘“.
Als das ein paar Mal passiert war, nahm er einen seiner Musiker beiseite
und fragte ihn: „Was zum Teufel ist ‚Hello Dolly‘“?
Armstrong hatte den Song ein paar Monate zuvor aufgenommen, und der war
inzwischen ein Hit. Er hatte ihn jedoch schon längst wieder vergessen.
Jazzzeitung: Hilft Ihnen Ihre Familie mit dem Label? Was für
ein Verhältnis haben sie zu Ihrem Vater?
Marsalis: In einer Zeit, wo die meisten Menschen unüberlegt
der Masse folgen, selbst wenn sie solchen Shit wie „Macarena“
vorgesetzt bekommen, haben mich meine Eltern mit dem Credo groß
gezogen, dass ich in mich und meine Qualitäten Vertrauen haben muss.
Sie haben mir und meinen Geschwistern das Denken beigebracht und nicht
wie Millionen anderer zu sein, die alles glauben, was ihnen erzählt
wird. Schon deshalb verdanke ich ihnen viel, auch wenn es nicht immer
einfach war. Denn in Amerika wird dir von den Medien vermittelt, dass
du ein Verlierer bist, wenn du nicht das tust, was alle tun. So kann man
weder Jazz noch irgendeine andere kreative Musik spielen. Der Masse nach
dem Mund zu reden, das ist der Job der Entertainer. Ich bin froh, nicht
zu denen zu gehören, die eine schlechte Kritik lesen und dann zum
Journalisten rennen, um ihn zu beknien, doch das Genie in der eigenen
Musik zu entdecken.
Jazzzeitung: Trotzdem sind Sie ein Star des Business mit vielen
Fans...
Marsalis: Alles relativ. Für Models zum Beispiel bin ich zu
alt, mal ganz abgesehen davon, dass mich meine Frau umbringen würde,
wenn sie mich mit einem treffen würde. Ich bin auch zu alt für
diese Art der Konversation, wenn du jemanden triffst und der meint: „Ha?
Nice to meet you!“ – „So what do you think?“ –
„Ah, well, ah, you know…“. Nein dafür bin ich zu
alt.
Jazzzeitung: Gibt es irgendeine öffentliche Unterstützung
für Ihr Label?
Marsalis: George W. Bush ist ein großer Jazzfan, fällt
das etwa nicht auf? (Lachen) Wie er das letzte Mal bei Ricky Martin tanzte
und meinte, man habe ja wirklich First Class Entertainment… Na,
ich habe mal eine Pressekonferenz in Michigan gemacht und da war ein hoher
Staatsbeamter, der sich für eine Kampagne für den Jazz als nationales
Erbe stark gemacht hat. Ich hatte gerade ein Projekt mit dem Smithsonian
Institute fertig gestellt. Dann kam er, hielt eine Rede und meinte: „Ich
bin ein große Fan von Brendan! Ich habe alle Platten von Brendan
und finde es fantastisch, was Brendan hier so macht!“ Als dann alle
zu lachen anfingen, merkte er, dass etwas nicht stimmte, und sprach nur
noch von „Mr. Marsalis“. Das sind richtige Fans!
Jazzzeitung: Wie haben sie Ihr erstes Geld verdient?
Marsalis: Mein erstes Geld habe ich in einer Eisdiele verdient.
Ich mochte den Laden nicht. Der Besitzer nannte mich immer Sam, ich wusste
nicht warum. Ich schrieb auf die Namensschilder besonders deutlich „Brad“,
doch er blieb bei „Sam“. Nach zwei Monaten meinte ich: „Hey
Mr. Coleman, ich heiße Brad, B-r-a-d! Bitte nennen Sie mich nicht
Sam.“ Daraufhin meinte er: „Ok, Brad. Du bist gefeuert!“
Danach arbeitete ich in einem Sommercamp, schließlich bei einer
Combo namens „The Mighy Creators“, eine Top40-Band, die eine
Menge Geld machte. Mein Vater spielte weiterhin seinen Jazz und ich verdiente
ein Vielfaches von ihm. Das habe ich nicht vergessen. Ich bin gut präpariert
für das, was ich jetzt mache.
Ralf Dombrowski
Anspieltipp:
Footsteps Of Our Fathers (Marsalis Music / Inakustik MARCD 3301)
Internet:
www.marsalismusic.com
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