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„Ain’t but a few of us left“ erklärte er mir vor sechs Jahren nachdenklich schmunzelnd, als ich ihn mit Fragen löcherte. Wer außer ihm könne mir eigentlich noch diese oder jene Frage über die ferne Bebop-Ära beantworten? „Ich weiß nicht, wer das noch wissen könnte. Es sind nicht mehr viele von uns übrig!“ „Ain’t but a few of us left!“, das war nicht nur eine Anspielung auf den (schon 1981 stimmigen) Titel eines Albums, den Ray Brown mit Milt Jackson einspielte, es war die Lebenswirklichkeit in den letzten Schaffensjahren des Bassgiganten. Ebenso humorvoll wie ernst versicherte er mir, er komme sich vor wie der ausgestorbene Dodo-Vogel. Von Ella Fitzgerald bis Charlie Parker hat er die meisten Weggefährten seiner Generation überlebt. Und im Gegensatz zu vielen seiner Generationsgenossen, die ihn nun überleben, etwa Barney Kessel oder Oscar Peterson, verfügte er über eine so robuste Gesundheit, dass er bis zuletzt auf uneingeschränkt hohem Niveau musizieren konnte. Ihm war das vergönnt, was man landläufig einen „schönen Tod“ nennt: Am Vorabend war er aufgetreten. Nach einem Golfspiel hatte er sich vor dem nächsten Konzert hingelegt, für einen Schlummer, aus dem er nicht mehr erwachen sollte.
Als er am 2.Juli in Indianapolis seinen mit viel Liebe und Könnerschaft gespielten Bass für immer aus der Hand legte, ging mit ihm einer der (im doppelten Wortsinn) ersten modernen Jazzbassisten von uns. Abgesehen von Oscar Pettiford (und ein wenig später Charles Mingus) hat kein anderer in den 40er- und 50er-Jahren so viel zur Emanzipation des Basses beigetragen wie Ray Brown. Nach seinen Pionierleistungen in der Bebop-Ära hat er nahezu alle Größen des Jazz inspiriert. Auf über 2000 Alben wurden ein unbeirrbar swingendes Bassfundament, sein warmer Sound und sein ebenso virtuoses wie kreatives Solospiel verewigt. Geboren worden war er am 13.Oktober 1926 in Pittsburgh – ein gar nicht so kleines, feines Jazz-Zentrum. 1937 kam das Basie Orchestra nach Pittsburgh und spielte im Chatterbox Room. Browns Bruder arbeitete dort und brachte den 10-jährigen Ray dort hin. Er saß unter dem Klavier, guckte mit großen Augen den großen Walter Page an und hörte dessen Sound. Das war die Initialzündung! 1939 kam Duke Ellington nach Pittsburgh, mit Jimmy Blanton. Der konnte so gut begleiten wie Page, aber auch noch solieren wie ein Horn! Der 13-jährige empfing davon eine Vision, was der Bass im Jazz sein könnte. „Ich saß im Balkon des Stankey Theatre. Man konnte Blanton inmitten des Ellington-Orchesters ohne Mikrophone hören.“ (Dies sei heutigen Bassisten, die nur noch verstärkt durchdringen, kurz mal ins Stammbuch geschrieben. Laut Ray Brown konnte man damals alle Bassisten unverstärkt gut durchhören. „Als der Bass lauter wurde, wurden alle lauter!“) Jimmy Blanton starb im Alter von 24 Jahren, noch ohne ganz an sein Ziel gekommen zu sein. So großartig sein pizzicato-Spiel schon war, fehlte seinem arco-Spiel noch der letzte Schliff. Ray Brown und Oscar Pettiford vollendeten Jimmy Blantons Werk, als sie seine Neuerungen konsequent in den modernen Jazz überführten. Welche Riesenschritte dies waren, wie viel virtuoser und eloquenter der Bass seit Brown „singen“ konnte, aber auch wie viel beweglicher er seine fundamentale Aufgabe als Stütze wahrnehmen konnte, kann man ermessen, wenn man Blantons Pionierwerke mit „This One’s for Blanton“ vergleicht, ein Album, das Duke Ellington und Ray Brown 1972 aufnahmen. Im Alter von etwa 15 Jahren war Brown schon der beste Bassist Pittsburghs, einer der wenigen, die solieren konnten. Um 1942 hatte er schon Interesse am beginnenden Bebop. Die erste Begegnung mit der Musik Charlie „Bird“ Parkers war noch anonym, standen doch damals die Namen der Solisten noch nicht auf den Platten. „Mein fünf Jahre älterer Bruder, der weniger auf Jazz, mehr auf Sänger stand, kam eines Tages mit einer Platte an und sagte zu mir: „Ich möchte, dass Du diesen Burschen Blues singen hörst.“ Zuerst kam ein Alt-Solo; als das aufhörte und der Sänger anhob, setzte ich die Nadel zurück. „Warte einen Augenblick, der Bursche fängt doch gerade erst an.“ – „Nein“, sagte ich, „ich will dieses Alt-Solo hören.“ Es war Charlie Parker mit Walter Brown: „Hello little Girl, don’t you remember me.“ Ray Brown nahm sich vor herauszufinden, wer der Altist war… 1945 fuhr Brown nach New York, besuchte ein Konzert von Dizzy Gillespie. Dessen Pianist Hank Jones stellte dem Meister Brown vor: „Dies ist ein Freund, ein guter Bassist.“ Gillespie überlegte nicht lang: „Kid, willst Du einen Job? Sei morgen um 7.30 Uhr bei mir“. Charlie Parker und Max Roach waren in Dizzys Wohnung. Und schon spielte der Youngster in einer der wichtigsten Bands der Jazzgeschichte, jenem Quintett, das den Bebop während einer legendären Tournee in der Westküste durchsetzte und dem sich noch Milt Jackson anschließen sollte. „We were far out. The people called us the men from Mars,” erinnerte sich Brown. Als die Musiker ohne Bird nach New York zurückkamen, wurde Brown Mitglied im legendären Orchester Gillespies – ein Glücksfall, wenn man sieht, was sich alles direkt und indirekt daraus ergab: 1. Die aus Ray Brown, Milt Jackson, John Lewis und Kenny Clarke bestehende Rhythmusgruppe wurde zur Urform des Modern Jazz Quartetts. 2. Ella Fitzgerald sang öfters mit dem Orchester und heiratete Ray Brown, der zum musikalischen Leiter ihrer Band avancierte. Auch nach der Scheidung – die Ehe hielt nur vier Jahre – blieb Brown noch lange musikalisch mit ihr verbunden. 3. Norman Granz, seines Zeichens Manager der Sängerin, machte Ray Brown zum Bassisten der Wahl für sein rasch expandierendes Unternehmen. So wurde Brown über Jahre hinweg zum Bassisten von „Jazz At The Philharmonic“, dem erfolgreichen tourenden Konzert-Unternehmen, das Jam Sessions mit den populärsten Solisten der Zeit bot. 4. Wichtig wurde vor allem die Begegnung mit Oscar Peterson 1949 bei einem JATP-Konzert. Bis 1965 arbeitete Brown fest in den Trios des virtuosen kanadischen Pianisten, und auch später trafen sie immer wieder zusammen. Die zeitweise gleichzeitige Arbeit mit Peterson, Fitzgerald und JATP ist schuld daran, dass Brown nicht auch noch das MJQ zierte. 5. Granz zog Peterson so oft wie möglich für die Schallplattenaufnahmen seiner Labels Verve und Pablo heran. Durch all dies kam Brown mit fast allen Größen des Jazz zusammen. Die meisten Aktivitäten Ray Browns hängen wiederum direkt oder indirekt mit einem dieser Punkte zusammen. Ein Beispiel stehe für viele: Immer wieder arbeiteten Ray Brown und Milt Jackson in den 70er- und 80er-Jahren in Quartetten zusammen, denen etwa der Pianist Cedar Walton oder der Gitarrist Joe Pass angehörten – ein Ersatz für die verpasste Chance im MJQ. Ray Brown war nicht nur ein ausgezeichneter Musiker, sondern auch ein guter Geschäftsmann. Als er in den 80er-Jahren begann, eigene Trios zu leiten, wusste der Mann, der immerhin Petersons Bassist gewesen war, genau, wem er die schwarzen und weißen Tasten anvertrauen sollte. Zum Beispiel hatte er die gute Idee, Gene Harris anzuheuern, der einst mit seinen „Three Sounds“ so großen Erfolg gehabt hatte. Seit er bei Brown spielte, war Harris bekannter als je zuvor. Zu den Pianisten, die sich bei Brown einen weltweit guten Ruf erwarben, gehören auch Benny Green und Geoff Keezer. Auch in der Zusammenarbeit mit Gitarristen setzte Ray Brown Maßstäbe. „The Poll Winners“, ein Trio mit dem Gitarristen Barney Kessel und dem Drummer Shelly Manne, gilt als erstes in dieser Instrumentierung. Eine Zeit lang widmete Brown sich auch dem Cello-Spiel. Dass er es nicht weiter verfolgte, lag auch an einem Transportproblem: „Man hat einen Bass; alles was dann noch fehlt ist ein weiterer Koffer mit einem Cello. Man kriegt kaum seinen Bass ins Flugzeug.“ Ray Brown in einer Band zu wissen, war für Mitmusiker, Konzertbesucher und Plattenkäufer ein ebenso beruhigendes wie stimulierendes Gefühl. Dieses Gefühl werden unzählige Menschen schmerzlich vermissen. Marcus A. Woelfle |
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