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Bertelsmann hat in den letzten Wochen hauptsächlich wegen des merkwürdigen „Abgangs“ des New-Economy-Wunderknaben Thomas Middelhoff Schlagzeilen gemacht. Über Nacht musste der High-Speed-King den Medienkonzern verlassen. Es war ein alter Kämpfer, der das Ruder des Multi-Media-Riesen übernahm, Gunter Thielen. Dieser Coup passt durchaus ins Bild, denn ausgerechnet mit dem Image zweier alter RCA-Helden hat BMG in diesem Jahr Kasse gemacht: Elvis Presley, dessen Todestag sich heuer zum 25. Mal jährte und der gerade mit „A Little Less Conversation“ weltweit die Charts anführte und Harry Belafonte, dessen wunderbare „labor of love“, eine Anthologie schwarzer Musik, nun auch bei uns erschienen ist. Viktor Rotthaler sprach mit dem 75-jährigen Harry Belafonte über sein Traumprojekt. Mit Alben wie „Calypso“ und dem „Banana Boat Song“ hatte Harry Belafonte Mitte der 50er-Jahre Folksängern wie Bob Dylan den Weg geebnet. Geboren in Harlem, aufgewachsen in Jamaica, hatte Harry Belafonte anfangs allerdings von einer Karriere als Schauspieler geträumt. „Ich studierte bei dem bedeutenden deutschen Regisseur Erwin Piscator, der vor den Nazis in die USA geflohen war. Meine Klassenkameraden waren Marlon Brando, Walter Matthau, Rod Steiger, Tony Curtis. Piscator war in jeder Beziehung einer der großen Schauspiellehrer. Durch ihn lernten wir die Werke von Bertolt Brecht und Jean-Paul Sartre kennen. Er war ein großartiger Mann.“ Schon bei seinem ersten Auftritt am Broadway erhielt er 1953 einen Tony-Award als bester Schauspieler. Die Show hieß „John Murray Anderson’s Almanac“, eine moderne Musical-Revue mit geistreichen Anspielungen auf die Themen des Tages. Kurz danach wurde er von Hollywood entdeckt. Der Wiener Emigrant Otto Preminger engagierte ihn für seine Verfilmung von „Carmen Jones“, einer schwarzen Version der Bizet-Oper. In der Titelrolle glänzte die schwarze Schauspielerin Dorothy Dandridge. Während dieser Zeit wurde Harry Belafonte von einem anderen Wiener als Sänger unter seine Fittiche genommen, von George Marek, der damals der Chef der Plattenfirma RCA war. „Als ich in einem kleinen New Yorker Nachtclub namens Village Vanguard auftrat, entdeckte mich RCA. Und zu dieser Zeit traf ich auch auf George Marek, den ich sehr verehre. Er war sehr gebildet. Wir wurden Freunde, und er gab mir die Möglichkeit, bei RCA Dinge zu unternehmen, die ich sonst nicht hätte machen können.“ Und George Marek war es dann auch, der ihm freie Hand ließ bei der Produktion dieser jetzt endlich veröffentlichten Aufnahmen. Die Anfänge des Projekts liegen lange zurück, als Harry Belafonte mit Liedern wie „Island in the Sun“ die Hitparaden diesseits und jenseits des Atlantiks anführte: „Ich begann mit den Recherchen für diese Anthologie in den späten 50ern. Ich ging zu den Universitäten und zur Library of Congress. Die ersten Aufnahmen entstanden 1961. Abgeschlossen wurde das gesamte Projekt 1971.“ Aus verschiedenen Gründen, die hauptsächlich mit der Vermarktung und dem Vertrieb des Produkts zu tun hatten, verschwanden die Bänder dreißig Jahre lang im Archiv der RCA. 2001 war es schließlich so weit: „The Long Road to Freedom“ sollte veröffentlicht werden. Als Termin war der 11. September vorgesehen. Noch einmal lag das Projekt wegen des Terroranschlags auf die New Yorker Twin Towers für kurze Zeit auf Eis. Mit einem Ashanti-Gesang beginnt Belafontes unentbehrliche Sammlung von rund achtzig afrikanisch-amerikanischen Liedern aus drei Jahrhunderten bis zum Anbruch des 20. Jahrhunderts – als das Zeitalter des Phonographen begann und in Amerika zwei große Plattenfirmen gegründet wurden: Columbia und RCA, zu deren größten Stars Enrico Caruso, Elvis Presley und Harry Belafonte gehören. Als Bertelsmann RCA in den 80ern aufkaufte, schickte sie junge Mitarbeiter im Archiv auf „Schatzsuche“, wie Harry Belafonte erzählt. Und wie ein verlorener musikalischer Kontinent tauchten dabei die alten Bänder plötzlich wieder auf. „In einem Regal entdeckten sie eine Reihe von Bändern mit meinem Namen. Sie hörten sie sich an und sie waren sprachlos, nicht nur wegen der Fülle des Materials sondern auch wegen des technischen Standards der Aufnahmen. Alex Miller, der damalige Chef der BMG-Tochter Buddha-Records, entschloss sich dann dazu, die Anthologie genau so zu veröffentlichen, wie wir es einst geplant hatten.“ Mit „The Long Road to Freedom“ wollte Harry Belafonte durch die Musik des schwarzen Amerika die Geschichte der schwarzen Amerikaner erzählen. „Von Anfang an – als wir noch in Afrika waren bis zur Jahrhundertwende um 1900. Alle Lieder, die von dieser Geschichte kündeten: von der Sklaverei, der Arbeit auf den Plantagen, die Bedingungen des Sklavenlebens unter den Frauen und Kindern. Die Worksongs, die Musik, die erzählt von der Auflehnung gegen die Sklaverei. Und schließlich die Musik des Bürgerkriegs und die Lieder aus der Zeit danach, als die Schwarzen die Plantagen des Südens verließen und in den industrialisierten Norden zogen. Und dort die einzige amerikanische Kunstform kreierten: den Jazz.“ Zu den Stars, die Produzent Belafonte dafür engagierte, gehörten die Bluesmusiker Sonny Terry & Brownie McGee genauso wie Gloria Lynne, Bessie Jones oder Joe Williams, der wunderbare Leadsänger von Count Basie. „Als ich Joe Williams von dem Projekt erzählte, sagte er mir, wie sehr er schwarze Folk-Music liebte und wie gern er diese Lieder singen würde. So engagierte ich ihn. Er sang ‚Betty and Dupree’ und ‚C.C. Rider’. Zwei Blues-Songs, die den Kritikern sehr gefielen.“ Am Ende dieses musikalischen Streifzugs durch drei Jahrhunderte schwarzer Musikgeschichte, die Leonard de Paur vorzüglich arrangiert hat, erklingt die Stimme des Bürgerrechtskämpfers Martin Luther King: „Free At Last“. Ein bewegender Moment, der an das politische Engagement Belafontes erinnert, das bis heute andauert. „Martin Luther King und ich standen uns sehr nahe. Er bat mich, ihm bei seinem Kampf zu helfen und Teil der Bewegung zu werden. Und ich war einverstanden. Unsere Freundschaft ging bis zu seinem Tod.“ Viktor Rotthaler
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