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Seit einem halben Jahrhundert zählt er zu den mächtigen Motoren des Jazz. Seine Gruppen erweisen sich als gut geölte Laufwerke, er selbst nennt sie „Jazz Machine“. Doch diese Bilder bedürfen der Überlagerung durch andere, organische Vorstellungen. Mehr noch als die Präzision des Mechanischen verkörpert Elvin Jones die Kontinuität des Lebendigen. In seinem Spiel verbindet er Herzschlag und Puls mit dem freien Aufatmen und dem unregelmäßig akzentuierten Fluss der Rede. Er, dessen Spiel immer wieder mit hochenergetischer Kraft assoziiert wird, betont, es gehe dabei weniger um den Einsatz der Physis, vielmehr um die geistige Konzentration. Freilich, Elvin Jones leistet Schwerstarbeit an den Drums. Doch er verbreitet dabei jene Leichtigkeit, die Mitspieler und Zuhörer einlädt, in seine Musik „einzusteigen“. Vom Begleitenden fand er zum Solisten. Und mit der Öffnung der Spielräume wies er zugleich seinen Gruppen den Weg ins Freie, die Abnabelung von den zum Stereotyp gewordenen Konventionen. All das kommt von John Coltrane. Die sechs Jahre, die Elvin Jones mit Coltrane zusammen spielte, beschreibt er als „perfekte Harmonie menschlicher Beziehungen“ und einen „Prozess beständigen Lernens“. „Diese sechs Jahre“, bekennt der Drummer, „werden mich wohl niemals verlassen. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie ich meine eigenen Bands leite.“
Elvin Jones, Schlagzeuger und Bandleader, Komponist und Musikpädagoge, kann Referenzen aufweisen, deren Umfang eine kleine Jazzbibliothek füllt. Mit vielen der Jazzlegenden seit den 50er-Jahren verbunden, trifft er sich – in jüngerer Zeit – mit Musikern wie Dave Holland und Bill Frisell, arbeitet er in seinen eigenen Gruppen mit gestandenen Größen und besonders gern mit hoffnungsvollen Talenten jüngerer Generationen zusammen. „Youngblood“ heißt eine seiner Produktionen aus den 90er-Jahren. Musiker wie Joshua Redman, Javon Jackson und Nicholas Payton oder auch Ravi Coltrane, der Sohn John Coltranes, sind durch seine Schule gegangen. Elvin Jones, geboren am 9. Spetember 1927 in Pontiac, Michigan, kam als Kind mit der Baptistenkirche in Kontakt, in deren Chor sein Vater mitwirkte. Im Alter von fünf Jahren ergriff den Jungen die Faszination der Trommeln. Es waren fahrende Zirkusleute, die durch die Stadt liefen, um auf ihre Show aufmerksam zu machen. Elvin Jones, aufgewachsen als eines von zehn Kindern und jüngstes des im Jazz leuchtenden Dreigestirns von Hank, Thad und Elvin Jones, entschloss sich mit 13 Jahren, Drummer zu werden. Nach seiner Militärzeit wurde Elvin Jones Mitglied im Quintett
des Tenorsaxophonisten Billy Mitchell, das im „Bluebird“,
dem damals wichtigsten Jazzclub in Detroit, als Hausband aufspielte. Als
Hausschlagzeuger begleitete er so berühmte Gäste wie Charlie
Parker, Miles Davis, Tommy Flanagan oder Sonny Stitt. Um Benny Goodman
vorzuspielen, ging er 1956 nach New York. Doch statt in dessen Band landete
er in der von Charles Mingus, bald hörte man ihn auch mit Bud Powell,
J.J. Johnson, Pepper Adams, Donald Byrd und Sonny Rollins. Dann holte
ihn John Coltrane 1960 in seine Gruppe. Das „klassische“ Coltrane-Quartett
mit McCoy Tyner am Piano, Jimmy Garrison am Bass und Elvin Jones an den
Drums füllt die Ruhmesblätter der modernen Jazzgeschichte. Alben
wie „Africa/Brass“, „Live At The Village Vanguard“,
„Impressions“, „Coltrane“, „Live At Birdland“
oder „A Love Supreme“ zählen zu den Meisterwerken der
Musikgeschichte, sind längst in das Pantheon des Jazz eingemeindet.
Was musikalisch geschah, war revolutionär und spirituell, hochexplosiv
und feinnervig zugleich: die Ablösung von der starren Rollenverteilung,
die Überlagerung unterschiedlicher Rhythmen, die Preisgabe des durchgängig
markierten Beat, ohne Verzicht auf vorwärtsdrängende Motorik,
die Steigerung der Intensität und die Öffnung improvisatorischer
Freiräume. Elvin Jones, der sich zur Tradition von Kenny Clarke,
Max Roach und Jo Jones bekennt, brachte die Geschichte einen wesentlichen
Schritt voran. Der Geist der Jahre mit Coltrane wird ihn nie verlassen,
beflügelt ihn auch in anderen musikalischen Umgebungen und mit eigenen
Gruppen. Als Schlagzeuger nimmt er seither nicht mehr die Rolle des subalternen
Timekeepers, sondern die Stellung eines gleichberechtigten, klanglich
und rhythmisch korrespondierenden Partners ein. Eben das prädestiniert
ihn sowohl zum Solisten wie auch zum kooperativ agierenden Bandleader. Elvin Jones traf sich zu Drum Battles mit Art Blakey und Roy Haynes, bildete gemeinsam mit McCoy Tyner, Freddie Hubbard und Ron Carter „The Great Quartet“, spielte mit so unterschiedlichen Musikerpersönlichkeiten wie Albert Mangelsdorff, Jan Hammer und Bennie Wallace; und er war wiederholt bei Konzerten und auf Tourneen mit der George Gruntz Band zu hören. Als wir 1996 für die Leipziger Jazztage einen Abend mit euroamerikanischen Duos vorbereiteten, schlug ich Albert Mangelsdorff einen gemeinsamen Auftritt mit Elvin Jones vor. Albert war begeistert, nannte Elvin Jones seinen musikalischen „Traumpartner“. Seine eigenen, immer wieder in veränderter Besetzung formierten Gruppen gibt Elvin Jones seit 1976 den Namen „Jazz Machine“. Das musikalische Spektrum reicht von Ellington- und Monk-Klassikern bis zu Originals, von japanisch inspirierten Titeln bis zu Soulnummern und trägt unverkennbar die Handschrift des Meisters an den Drums, dem es darum geht, die Rhythmen zirkulieren zu lassen. Dabei gelingt ihm eine seltene Synthese aus Vehemenz und Sensibilität. Auf die Frage, woher er die Energie beziehe, antwortet er bündig: „Von meinen Freunden. Musik bedeutet Menschen, das heisst, sich zueinander in Beziehung zu setzen. Das beginnt damit, jemanden zu sehen, einem Lächeln, einer Geste...“ Und als ich Elvin Jones nach einem Credo frage, sagt er: „Ich wünsche mir, zum Rhythmus des Lebens Schlagzeug zu spielen.“ Das lässt sich miterleben, wenn man ihn trommeln hört, wenn er mit seiner „Jazz Machine“ einen Bogen von der Tradition des Jazz zur Moderne schlägt. Mit maschinengleicher Kraft, physischer Energie und feinnervigem Sinn für Kommunikation. Bert Noglik
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