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Aus der Traum vom größten, ältesten und wichtigsten Jazzfestival in Bayern. „Jazz. Ost West 2002“ gab sich mit der 19. Ausgabe bescheiden und dennoch selbstbewusst. Auch nach einer kompletten, konzeptionellen Runderneuerung blieb Nürnbergs Jazztradition erhalten. Nur mit dem Kriterium „wichtigstes bayerisches Jazzfestival“ ist es so eine Sache… Moderat die Eintrittspreise. Die Spielstätten reduziert auf Tafelhalle, das ehemalige Komm, das Kulturzentrum K 4 und das Kaufhaus Karstadt. Dort findet seit vielen Jahren das Eröffnungskonzert statt. Mit der manchmal selbstverliebt wirkenden Pianistin und Sängerin Aziza Mustafa Zadeh erhielt das abgespeckte Festival doch noch etwas vom Glanz eines internationalen Stars. Zugleich kündete Zahehs eigenwillige Verbindung von Jazzphrasen, einem energiegeladenen, rhythmisch betonten Spiel und typisch orientalischer Ornamentik aus ihrer Heimat Aserbaidschan von der inhaltlichen Neuausrichtung. Den Blick nach Ost(en) und West(en) haben Michael Bader und Jürgen Markwirth, das Programmgespann der Stadt Nürnberg, durchaus beibehalten. Ihre Ohren aber ließen sie viel weiter wandern, auf der Suche nach weltmusikalischen Tonspuren im aktuellen Jazzgeschehen, als die Macher vom Jazzstudio Nürnberg, die über 30 Jahre das Festival inhaltlich organisierten.
Geografisch ließen sich zwei Zentren ausmachen: Einmal der Balkan
bis in den vorderasiatischen Raum mit dem aus allen Rohren donnernden
Boban Markovic Orchestra, den beiden multiethnischen Großformationen
Sandy Lopicic Orkestar mit Sitz in Graz und dem von Okay Temiz gegründeten
Black Sea Orchestra. Antoni Donchev verschmolz mit seiner bulgarischen
Theatre Jazz Band auf originelle Weise Theatermusik und folkloristische
Elemente zu modernem Hardbop. Das populäre Moscow Art Trio betörte
mit minimalistischen Figuren, irisierend schönen Klangfarben und
wunderbaren kleinen Gimmicks, die einfach Spaß machen. Indische
Harmonik kam mit der ungarischen Formation Mirrorworld um den Geiger Zoltan
Lantos ins Spiel. Der ausgewiesene Kenner klassischer indischer Musik
verbindet diese mit den eigenen ungarischen Wurzeln und packender Jazzimprovisation.
Den Vogel im slawisch-vorderasiatischen Musikreigen schoss zweifellos
das Duo des amerikanischen Avantgardegitarristen und Elektronikspezialisten
Elliott Sharp und der Sängerin Saadet Türköz ab, einer
in der Schweiz lebenden Türkin kasachischer Herkunft. Was Sandy Lopicic
oder auch Boban Markovic´ Dampfbläser an guter und gelegentlich
recht simpler Laune beschworen, verblasste in kürzester Zeit hinter
den heiseren Beschwörungen Türköz. Hinreißend und zu Recht vom Publikum mit schriller Begeisterung bejubelt, die Berliner Pianistin Aki Takase mit ihrem „W.C. Handy Project“. Mit Rudi Mahall an der Bassklarinette kehrte eine von Nürnberg in die große weite Welt gestartete „Der Rote Bereich“-Kraftquelle in die alte Heimat zurück. Für seine absurden Zwischenmoderationen gebührt ihm die Ernennung zum Ober-Dada durch die Vereinigung der Welt-Dadaisten, nebst Verleihung des Großen Dada-Ordens. Auf kolossal vergnügliche und skurrile Weise korrespondierten diese mit den zwischen herber Atonalität und brüchiger Bluesschönheit aufgespannten Adaptionen und Kompositionen Takases. Aufgeräumt wirkte dagegen das impressionistisch inspirierte Solospiel des Pianisten Rainer Böhm, der den „Internationalen Jazzpreis der Nürnberger Nachrichten“ erhielt. Der Ravensburger tritt in die Fußstapfen von Jens Thomas, der als Preisträger 2000 nach dem Konzert von Böhms Quintett mit einem überragenden Christof Lauer ein Repertoire aus Sting-Nummern ganz neu ausdeutete. Höhepunkt beim Finale am Sonntag: Das japanische Shibusashirazu
Orchestra. Laut, schrill und kitschig bis zur Himmelspforte. Go-Go-Girls,
weißgekalkte Butoh-Tänzer, dünne Musikerinnen und strubelbärtige
Musiker holten aus Körper, Masken, erotischen Glitzerfummeln, vielen
Blas- und sonstigen Instrumenten heraus, was ging. SchwarzmeerflotteZum Glück – hier wurde keine Folkloregruppe in ein Jazzfestival gepresst. Im Gegenteil gaben die elf Musiker des Black Sea Orchestras aus acht verschiedenen Ländern richtig guten Jazz zum Besten: statt eines kulturellen Klangbreis emulgierten die Einflüsse zu Klangspielereien. Wahrhaft dezent kam neben einer unglaublichen Lust am Improvisieren und Experimentieren östlich-arabisches Tonmaterial zum Leuchten. Glaubte man sich bei Anatoly Stefanets melancholischem Violaspiel zunächst auf einer rumänischen Hochzeit, so ritt man wenige Zeit später, eingeleitet durch eine swingende Bassline, wilde Ska-artige Phrasen. Diese unglaublich blinden Wechsel von Stilen und Tempi gestaltete das Ensemble um den türkischen Gründer und Percussionisten Okaz Temiz mit einer faszinierenden Einheit. Versunken lauscht einer dem anderen. Tritt Alexandr Alexandrov mit einer Jazzpentatonik auf dem Fagott in den Vordergrund, so bleibt er kurzzeitig auch Frontman und dirigiert. Diese Rolle übernimmt dann Pianist Hari Tavitian, der die Klaviatur mit Unterarmen und Handrücken so lange perkussiv traktiert, dass der Flügel in der Pause nachgestimmt werden musste. Wen wundert’s, dass das Nürnberger Publikum von ihm und vom Tapping-Virtuosen Enver Ismailov an der (doppelhalsigen) Gitarre besonders begeistert war. Wie schon Tavitian zeichnet sich letzterer besonders durch sein perkussives Spiel aus. In einer Korrespondenz mit Akkordeon wird aus sanfter, perfekt eingesetzter Zehn-Finger-Technik ein durch Effekte verstärktes Klopfen, Slappen und Trommeln. Im zweiten Teil des langen Konzertes mit furioser Zugabe rückte Percussionist Temiz, umrahmt von Klarinette und Tenorsaxophon, in den Mittelpunkt. Er kratze mit der einen Hand auf dem Fell einer Trommel und benutzte den Resonanzraum regelrecht als Didgeridoo. Elisabeth Kirschner |
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