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Jazzzeitung

2002/09  ::: seite 22

dossier

 

Inhalt 2002/09

standards
Editorial
News
break
no chaser: Nur für Promotionszwecke
5 Fragen an:
Marianne Benz, Jazzclub Bamberg
musiker-abc:
Ella Fitzgerald
all that jazz:
Die Krise als Chance
Farewell.
Zum Tode des Bassisten Ray Brown

titel
Keyboardmagier des E-Jazz.
Nachlese Münchner Klaviersommer 2002
Titelbild. Joe Zawinul

berichte
Etting: Debbie Deane auf Tournee
Memmingen:
Aziza Mustafa Zadeh in der Memminger Meile
Murnau:
Der Violinist Hannes Beckmann

jazz heute
  Junge Talente fördern.
Branford Marsalis gründet eigenes Label
  Ein Club im Grenzbereich.
Im Jahr 2002 steht der Jazzkeller in Berlin Treptow vor seiner größten Bewährungsprobe
  break.
  DJF. Am Anfang war die Idee.
Oder „Über den Streit, wer die Idee hatte, die DJF zu gründen“

portrait / interview
Frech siegt.
One Sandra Weckert Fan might be wrong
Dynamik und Drive.
Der Schlagzeuger Elvin Jones wird 75
Vielfältigkeit und Vielseitigkeit.
WDR-Big-Band-Leiter Bill Dobbins geht zurück in die USA
Einhundert Gedichte.
Thärichens Tentett traumwandelt in der Großstadt
Ballett, Lafontaine und ein Weiher im Banat.
Der Münchener Saxophonist, Komponist und Arrangeur Hugo Siegmeth

play back / medien
Zurück zu den Wurzeln.
Harry Belafontes 5-CD-Box „The Long Road to Freedom“
Tausendstel Zoll für die Ewigkeit.
Ashley Kahns Besichtigung des Schallplatten-Mythos „Kind of Blue“
Internet. Link-Tipps

education
Fortbildung. Fortbildung
Abgehört 8
Michael Brecker: Balladen pur
Würzburg. Jazz-Abteilung des Konservatoriums gehört jetzt zur MHS Würzburg

dossierfestivalsommer
Dortmund. europhonics 2002
Halle. Der Burghof als Dancefloor
München. Das Münchner Opernfestival und der Jazz
Nürnberg. „Jazz. Ost West 2002“ mit neuem Konzept
Regensburg. Jungjazzer beim Jazzweekend 2002
Tegernsee. Zweites „traditional and modern jazz-festival“
Unterföhring. 1. „Summertime Jazz Meeting“

service
Critics Choice
Rezensionen 2002/09
Service-Pack 2002/09 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (172 kb))

 

Einmal Runderneuern, bitte

„Jazz. Ost West 2002“ mit neuem Konzept

Aus der Traum vom größten, ältesten und wichtigsten Jazzfestival in Bayern. „Jazz. Ost West 2002“ gab sich mit der 19. Ausgabe bescheiden und dennoch selbstbewusst. Auch nach einer kompletten, konzeptionellen Runderneuerung blieb Nürnbergs Jazztradition erhalten. Nur mit dem Kriterium „wichtigstes bayerisches Jazzfestival“ ist es so eine Sache… Moderat die Eintrittspreise. Die Spielstätten reduziert auf Tafelhalle, das ehemalige Komm, das Kulturzentrum K 4 und das Kaufhaus Karstadt.

Dort findet seit vielen Jahren das Eröffnungskonzert statt. Mit der manchmal selbstverliebt wirkenden Pianistin und Sängerin Aziza Mustafa Zadeh erhielt das abgespeckte Festival doch noch etwas vom Glanz eines internationalen Stars. Zugleich kündete Zahehs eigenwillige Verbindung von Jazzphrasen, einem energiegeladenen, rhythmisch betonten Spiel und typisch orientalischer Ornamentik aus ihrer Heimat Aserbaidschan von der inhaltlichen Neuausrichtung. Den Blick nach Ost(en) und West(en) haben Michael Bader und Jürgen Markwirth, das Programmgespann der Stadt Nürnberg, durchaus beibehalten. Ihre Ohren aber ließen sie viel weiter wandern, auf der Suche nach weltmusikalischen Tonspuren im aktuellen Jazzgeschehen, als die Macher vom Jazzstudio Nürnberg, die über 30 Jahre das Festival inhaltlich organisierten.

 

Im Duo mit Elliott Sharp bei „Jazz. Ost West“: Saadet Türköz. Foto: M. Scheiner

Geografisch ließen sich zwei Zentren ausmachen: Einmal der Balkan bis in den vorderasiatischen Raum mit dem aus allen Rohren donnernden Boban Markovic Orchestra, den beiden multiethnischen Großformationen Sandy Lopicic Orkestar mit Sitz in Graz und dem von Okay Temiz gegründeten Black Sea Orchestra. Antoni Donchev verschmolz mit seiner bulgarischen Theatre Jazz Band auf originelle Weise Theatermusik und folkloristische Elemente zu modernem Hardbop. Das populäre Moscow Art Trio betörte mit minimalistischen Figuren, irisierend schönen Klangfarben und wunderbaren kleinen Gimmicks, die einfach Spaß machen. Indische Harmonik kam mit der ungarischen Formation Mirrorworld um den Geiger Zoltan Lantos ins Spiel. Der ausgewiesene Kenner klassischer indischer Musik verbindet diese mit den eigenen ungarischen Wurzeln und packender Jazzimprovisation. Den Vogel im slawisch-vorderasiatischen Musikreigen schoss zweifellos das Duo des amerikanischen Avantgardegitarristen und Elektronikspezialisten Elliott Sharp und der Sängerin Saadet Türköz ab, einer in der Schweiz lebenden Türkin kasachischer Herkunft. Was Sandy Lopicic oder auch Boban Markovic´ Dampfbläser an guter und gelegentlich recht simpler Laune beschworen, verblasste in kürzester Zeit hinter den heiseren Beschwörungen Türköz.
Zweiter geografischer Schwerpunkt: Die deutsche Szene. Der gebürtige Jugoslawe Dejan Terzic, Schlagzeuger und Orchesterchef aus Nürnberg, bildete mit seinem Festivalprojekt Underground die Klammer zwischen den Blöcken. Trompeter Paolo Fresu, sonnenverwöhnter Sarde, erlebte mit Terzic im K4 den „definitiv heißesten Gig meines Lebens“ (ca. 50 Grad), was sein hinreißendes dunkles Spiel zum Glück nicht trübte. In einer „German Jazz Night“ überzeugte Celine Rudolph mit ihrem A-cappella-Quintett Mosaïq, mit dem sie kunstvoll und federleicht Soul und Rap, kubanischen Son und Swing, klassische Harmonien und elektronische Soundschleifen scattend und croonend verschmilzt.

Hinreißend und zu Recht vom Publikum mit schriller Begeisterung bejubelt, die Berliner Pianistin Aki Takase mit ihrem „W.C. Handy Project“. Mit Rudi Mahall an der Bassklarinette kehrte eine von Nürnberg in die große weite Welt gestartete „Der Rote Bereich“-Kraftquelle in die alte Heimat zurück. Für seine absurden Zwischenmoderationen gebührt ihm die Ernennung zum Ober-Dada durch die Vereinigung der Welt-Dadaisten, nebst Verleihung des Großen Dada-Ordens. Auf kolossal vergnügliche und skurrile Weise korrespondierten diese mit den zwischen herber Atonalität und brüchiger Bluesschönheit aufgespannten Adaptionen und Kompositionen Takases.

Aufgeräumt wirkte dagegen das impressionistisch inspirierte Solospiel des Pianisten Rainer Böhm, der den „Internationalen Jazzpreis der Nürnberger Nachrichten“ erhielt. Der Ravensburger tritt in die Fußstapfen von Jens Thomas, der als Preisträger 2000 nach dem Konzert von Böhms Quintett mit einem überragenden Christof Lauer ein Repertoire aus Sting-Nummern ganz neu ausdeutete.

Höhepunkt beim Finale am Sonntag: Das japanische Shibusashirazu Orchestra. Laut, schrill und kitschig bis zur Himmelspforte. Go-Go-Girls, weißgekalkte Butoh-Tänzer, dünne Musikerinnen und strubelbärtige Musiker holten aus Körper, Masken, erotischen Glitzerfummeln, vielen Blas- und sonstigen Instrumenten heraus, was ging.
Michael Scheiner

Schwarzmeerflotte

Zum Glück – hier wurde keine Folkloregruppe in ein Jazzfestival gepresst. Im Gegenteil gaben die elf Musiker des Black Sea Orchestras aus acht verschiedenen Ländern richtig guten Jazz zum Besten: statt eines kulturellen Klangbreis emulgierten die Einflüsse zu Klangspielereien. Wahrhaft dezent kam neben einer unglaublichen Lust am Improvisieren und Experimentieren östlich-arabisches Tonmaterial zum Leuchten. Glaubte man sich bei Anatoly Stefanets melancholischem Violaspiel zunächst auf einer rumänischen Hochzeit, so ritt man wenige Zeit später, eingeleitet durch eine swingende Bassline, wilde Ska-artige Phrasen. Diese unglaublich blinden Wechsel von Stilen und Tempi gestaltete das Ensemble um den türkischen Gründer und Percussionisten Okaz Temiz mit einer faszinierenden Einheit. Versunken lauscht einer dem anderen. Tritt Alexandr Alexandrov mit einer Jazzpentatonik auf dem Fagott in den Vordergrund, so bleibt er kurzzeitig auch Frontman und dirigiert. Diese Rolle übernimmt dann Pianist Hari Tavitian, der die Klaviatur mit Unterarmen und Handrücken so lange perkussiv traktiert, dass der Flügel in der Pause nachgestimmt werden musste. Wen wundert’s, dass das Nürnberger Publikum von ihm und vom Tapping-Virtuosen Enver Ismailov an der (doppelhalsigen) Gitarre besonders begeistert war. Wie schon Tavitian zeichnet sich letzterer besonders durch sein perkussives Spiel aus. In einer Korrespondenz mit Akkordeon wird aus sanfter, perfekt eingesetzter Zehn-Finger-Technik ein durch Effekte verstärktes Klopfen, Slappen und Trommeln. Im zweiten Teil des langen Konzertes mit furioser Zugabe rückte Percussionist Temiz, umrahmt von Klarinette und Tenorsaxophon, in den Mittelpunkt. Er kratze mit der einen Hand auf dem Fell einer Trommel und benutzte den Resonanzraum regelrecht als Didgeridoo.

Elisabeth Kirschner

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