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Nicolai Thärichen sitzt umgeben von Bücherbergen auf dem Fenstersims einer kleinen irischen Buchhandlung in Berlin. Wie viele Gedichte ihm unbekannter Autoren er gerade verschlungen hat, vermag er nicht zu erinnern. Aber dieses hier ist es: „When we two walked“. Während er die Buchhandlung verlässt und sich auf sein klappriges Fahrrad schwingt, beginnt das Gedicht in ihm zu arbeiten. Welche Seite bringt Edward Thomas da in mir zu schwingen, fragt sich der von Juno und Jupiter trunken werdende Komponist. Die Zeilen hüpfen erregt schwankend mit ihm durch die Gassen, bis Thärichen endlich seinem Flügel einen der erstaunlichsten Songs seiner neuen Platte „Lady Moon“ in die Klaviatur diktieren kann. „Lady Moon“ läuft unter dem Etikett Vocal Jazz – und sie läuft verglichen mit anderen deutschen Mainstream-Veröffentlichungen viel zu schlecht. Minor-Music hat mit Nicolai Thärichen einen Künstler verpflichtet, der Pop für die Bildungselite schreibt. Kennen Sie einen weiteren Big-Band-Komponisten, der so fantasiebegabt Werke von Thomas Hardy, Robert D. Laing oder Lord Byron mit Funk-, Hardrock- und Romantikmelodien und Rhythmen arrangiert? Doch was heute als Insider-Tipp gilt, kann morgen schon das ganz große Publikum locken. Nicolai Thärichen arbeitet gründlich und geduldig. Zwischen der oben illustrierten irischen Buchladen-Szene und dem Vertrag mit Minor-Music liegen lange Jahre kontinuierlichen Selbstmanagements, inspiriert von einem Besuch bei Maria Schneider in New York. Acht Jahre lang gelang es der amerikanischen Komponistin im rauen Klima des Big Apple, einen wöchentlichen Steady Gig für ihre Big Band aufrechtzuerhalten. Diese für Thärichen kaum zu überbietende Leistung versucht der noch junge Musiker in Berlin im kleinen Maßstab zu wiederholen. Der Erfolg spricht für sich: Thärichens Tentett spielt seit Jahren kontinuierlich in nur geringfügig abweichender Besetzung trotz mangelhafter Berliner Gagen. „Mein Hauptkapital ist, dass es den Musikern Spaß macht, meine Musik zu spielen und dass sie darin eine wichtige Rolle einnehmen.“ Man darf einwenden, dass nicht alle Musiker gleichermaßen mit dem steigenden Niveau der Darbietung mitwachsen konnten. Einige CD-Passagen wären durch brillantere Solisten mit Sicherheit stärker und spannender geraten. Nicolai Thärichen kümmern solche Einwände (noch) nicht. Thärichen setzt auf organisches Entstehen. One Big Family, logistisch gestützt von einem Bandleader, der auch noch an der Uni sein Wissen weiter gibt. „Wieso singst du dieses Stück?“, fragt Nicolai Thärichen dort die Gesangsstudenten. Für ihn ist der entscheidende musikalische Maßstab der eigene Geschmack und das eigene Anliegen. „Bei meinen Studenten und bei mir selbst fördere ich vor allem die eigenen Töne – und ich muss mir schon gar nicht beweisen, dass ich Jazzmusiker bin“. Albert Weckert (auch Foto)
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