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Sie sind Leute wie Du und ich. Sie pflegen ihre kleinen Eitelkeiten und das meiste, was sie tun, verpufft völlig wirkungslos. Aber was sie so groß macht, das ist ihre wirklich ungeheure Hartnäckigkeit: Seit 33 Jahren sitzen die Veranstalter des Jazzkellers 69 den verschiedenen Systemen und den jeweiligen Vorstellungen von kultureller Glanz und Glorie wie eine Laus im Pelz. Wahrscheinlich hat kein Club der Bundeshauptstadt Berlin, egal ob Ost oder West, mehr ungewöhnliche regionale Jazzpremieren auf die Bühne gestellt als der Jazzkeller in Treptow – und damit den Namen des Bezirks in die Welt getragen. Doch nun stehen Assi Glöde und Fred Diesner vom Vorstand des Jazzkellers 69 vor ihrer wahrscheinlich größten Bewährungsprobe. Der Bezirk hat im Juli 2002 beschlossen das Parkhaus Treptow, seit über dreißig Jahren Heimat des Jazzkellers, zu veräußern. Obwohl viele Details der Entstehungsgeschichte heute im Dunkeln liegen, ist eines gut in Erinnerung geblieben: Wer des Nächtens den Jazzkeller nach viel schräger Musik und noch mehr Bier verließ, der musste auf die Richtung achten, in die er torkelte. Nur einen Steinwurf entfernt rechter Hand vom Club geriet man in unmittelbares Grenzgebiet und unweigerlich in die Hände der Wachmannschaft. Grenzen zu überschreiten, das blieb den Musikern im Club überlassen. Seitdem die Betreiberin der HO Gaststätte des Kulturhauses, Gitti, in den frühen 70er Jahren die Ostberliner Free Jazz Szene in mütterliche Betreuung übernahm, fanden die Musiker in der Gaststätte Verpflegung und im Keller eine ordentliche Bühne. Das Publikum strömte! Hier entwickelte sich fortan der Jazzsound der DDR. Niemand unter den ein- bis zweihundert professionellen DDR-Jazzern der nicht im Treptower Underground an diesem Mythos mitwebte. Natürlich gab es viele andere ostdeutsche Orte, wo die Entwicklung parallel ablief, denken wir nur an das Jazzfestival in Ilmenau oder den Jazzclub Leipzig – und spätestens Anfang der 80er Jahre war die Vielfalt an Veranstaltungsorten auch in Ostberlin so groß, dass der Jazzkeller sich vom Free Jazz in noch tiefere Gewässer begab und fortan unter dem Etikett Experimentelle Musik einlud. Zeitweilig ging es so experimentell zu, dass selbst den jazzvernarrten und in vieler Hinsicht offenen Betreibern manchmal die Haare zu Berge standen! Nur zum Karneval wurden die Uhren zurückgestellt: Der Jazz-Fasching unterhielt bis in die letzten Tage der DDR traditionell etwa 1.000 Leute ganz unernst mit Dixieland und Schlagern, Schlangentanz und Kulissen. Der Wiedervereinigung folgte ein zweijähriger Rückzug ins Private und anschließend noch einmal drei Jahre Exil, erst in Friedrichshagen, dann in Mitte. Die Sanierung des Parkhauses 1994 eröffnete die Möglichkeit zur vorläufigen Rückkehr in die neue alte Heimat und in eine andere Finanzierungsstruktur. Die Veranstaltungssituation in der DDR, die von den heutigen Trägern rückblickend als „ideal“ bezeichnet wird, konnte nicht wieder erreicht werden. Als FDJ-Aktiv (eine Art Verein des Staates) standen den Organisatoren jahrzehnte lang jährlich 50-60.000 Mark für Veranstaltungen zur Verfügung. Dieses Geld wurde in ehrenamtlicher Arbeit und ohne äußere Einmischung für Gagen ausgegeben. Auch an der Türe klingelte die Kasse, die Veranstaltungsnachfrage war enorm. Heute befindet sich der 1991 neugegründete Verein Jazzkeller 69 in einem permanenten Überlebenskampf. Der Kultursenat hält ihm die Treue, allerdings ohne langfristige Zusagen. Wie wichtig diese Unterstützung aktuell für die progressiven Jazzkräfte der Stadt ist, wird jeder gerne bestätigen, der allein im laufenden Jahr die Wirkungskräfte der Marktwirtschaft auf die Berliner Szene beobachtet. Kaum ein Veranstalter traut sich momentan an riskante Programmentscheidungen heran, einige sind für Risikoveranstaltungen bereits hart bestraft worden. Das DDR-Publikum hat sich in alle Winde zerstreut, das anspruchsvolle neue Publikum fluktuiert stark und die Gastspiele sind konzertanter geworden. Genau zur falschen Zeit also kommt nun der Verkauf des Parkhaus Treptow durch den Bezirk. Die Bezirksverordnetenversammlung will den Jazzkeller umsiedeln, allerdings ohne zu wissen wohin. „Das riecht nach einer kalten Entsorgung“, findet man im Verein. Doch Totgesagte leben länger. Aufgrund von Beharrlichkeit, Bodenständigkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft hat der Verein trotz seiner langen Geschichte musikalischer Extravaganzen (von Luten Petrowsky, Andreas Altenfelder, Hubert Katzenbeier, Conny Bauer und der Ausreiseband bis hin zu Alexander von Schlippenbach, Gebhard Ullmann, Aki Takase, Der Rote Bereich und Martin Koller) auch nach der Wende viele neue Freunde gewonnen und bis heute bei seinen Partnern einen seriösen Ruf. Dieser Ruf soll den Verein auch in die neue Zeit tragen, mit anderen Arbeitsbündnissen, aber der selben Zielsetzung: Als Laus im Pelz des arrivierten Kulturbetriebs den Querköpfen und Erneuerern unter den zahlreichen Berliner Jazzmusikern ihre Chance zu geben. Albert Weckert |
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