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Auf der Gratwanderung zwischen innerer Einkehr, innovativer Klanggestaltung und kommerziellem Erfolg hat Coltrane die Plattenfirma „Impulse!“ und deren Produzenten Bob Thiele dafür gewinnen können, eine Musik in diesem Status nascendi zu dokumentieren. Nach dem zwei Jahre zuvor festgehaltenen Auftritt „Live At The Village Vanguard“ wird „Live At Birdland“ zu einer Fortsetzungsgeschichte, bei der das Ambiente der New Yorker Jazzlokale eine wichtige Rolle für die Ausformung der Musik spielt. Coltrane bekennt sich, auch verbal, zum Club-Feeling und zur Kommunikation mit den Zuhörenden. In einer Atmosphäre, die in nichts mit dem traditionellen euro-amerikanischen Konzertsaal vergleichbar erscheint, geht es gleichwohl um einen Kunstanspruch. Das betrifft die gesamte Produktion – in erster Linie die Musik und die Aufnahmeästhetik, aber auch die Gestaltung der Plattenhülle und den Text auf dem Cover, dem hier ein besonderes Interesse gilt. Die Liner Notes zu „Coltrane Live At Birdland“ schrieb LeRoi Jones – ein mit radikalen afroamerikanischen Emanzipationsbestrebungen assoziierter Schriftsteller und Musikkritiker, der durch Bücher wie „Blues People: Negro Music in White America“ bekannt geworden ist, später seinen Sklavennamen abstreifte, sich seither Amiri Baraka nennt und beständig mit zur Kontroverse provozierenden Statements in die kulturellen und politischen Debatten Amerikas eingreift. Der Text von LeRoi Jones zu Coltranes Platte von 1963 beginnt so: „Eine der merkwürdigsten Tatsachen im amerikanischen Leben ist der Fortbestand von Schönheit in einer gemeinen Umgebung. Vielleicht stimmt die Vermutung einiger Denker, dass Schönheit als eine Art Gegengewicht existiert. Wenn man auf dieser Linie weiterdenkt, wird sogar der Titel dieses Albums ‚symbolisch‘ und bedeutungsvoll. John Coltrane Live At Birdland. Ich sehe das Birdland als einen Ort, den keiner unbewaffnet betreten sollte, am wenigsten ein Künstler, und John Coltrane ist ein Künstler. Das Birdland ist aber auch Amerika als Mikrokosmos, und wir wissen, wie hoch die Sterblichkeitsrate der Künstler in diesem permanenten Mausoleum ist.“ LeRoi Jones thematisiert die Entstehungsbedingungen dieser Musik, ihre über lange Zeit unablösbare Verbandelung mit einer Klubszene, in deren Halbwelt mit dem dazugehörigen Drogen- und Alkoholkonsum viele Jazzmusiker auf der Strecke geblieben sind. Zugleich hebt er an, Coltrane als Lichtgestalt zu idealisieren: „In dieser Kleinstausgabe Amerikas, wo delirisches Glück nur vom Dollar erzeugt wird, wagt es ein Mensch, Gedanken zu denken, die von diesem Grundsatz abweichen. Unmöglich? Hör’ ,I Want To Talk About You‘“. Damit sind wir bei einem der drei live aufgenommenen Stücke, die auf der Platte dokumentiert wurden. Coltrane im Verein mit seinem glänzenden Quartett. Zurecht hat man diese Besetzung mit McCoy Tyner am Piano, Jimmy Garrison am Bass und Elvin Jones am Schlagzeug als „klassisch“ bezeichnet. Doch die scheinbar vollendete Symbiose der Instrumentalklänge wie auch die der beteiligten Charaktere, beginnt stellenweise bereits zu bröckeln, wenn Coltrane sich auf den rhythmisch intensiven Dialog mit den Drums einlässt oder sein Spiel zu einer nicht enden wollenden Solokadenz steigert. Die Musik offenbart Momente von Trance und von Transzendenz. LeoRoi Jones entgeht zwar nicht der Gefahr, diese Sounds zu verklären, aber er vermeidet es, sie zu beschreiben oder auf eine Weise zu analysieren, die das Klanggeschehen lediglich verbal spiegelt. Er fühlt sich „durch die Musik der Gemeinheit und Dummheit seiner netten Feinde entrückt“ und formuliert mit einem ebenso ungeheuerlichen wie brillanten Satz die Radikalität und Tiefe seines Erlebens: „Coltranes Musik ist einer der Gründe, warum Selbstmord so langweilig ist.“ Im Fortlauf seines Textes schreibt LeRoi Jones, er hätte gern die Namen derer, die an diesem Abend des 8. Oktober 1963 im „Birdland“ zugegen waren, damit sie allen Interessierten einen Bericht geben könnten, und wörtlich weiter: „Aber schließlich hat jeder, der John und die andere in irgendeinem Club gehört hat, seine eigene Geschichte erlebt.“ Hier relativiert er seine Rolle als Zeitzeuge, verweist er auf eine multiperspektivische Sicht des Ereignisses und auf unterschiedliche Rezeptionsweisen, um sich wenig später – nun nicht mehr als Besucher des Birdland, sondern als Hörenden der Schallplatte – wieder selbst einzubringen: „Ich bin aufgesprungen und habe getanzt, während ich diese Aufzeichnung machte, und habe Elvin zugeschrien, er solle doch etwas Luft ablassen.“ Gewiss ist es erwähnenswert, wie Coltrane schwarzafrikanische, arabische, indische Einflüsse bei „Afro Blue“ in einen eigenen Sound transformiert, wie er sich mit dem Sopransaxophon zum Muezzin aufschwingt und mit sprach- beziehungweise, gesangsähnlichem Duktus auf dem Tenor berührende Balladen zu erzählen versteht. Und dennoch verweist LeRoi Jones in seinem Text, die Beschreibung kurz streifend, auf Wesentlicheres: „Wenn solche Musik vorüber ist, meint man, im Strudel aus krachenden Becken, attackierten Tom-Toms und Coltranes Sopransaxophon über allem, alle Lieder der Welt singend, dass es niemals enden müsse, dass diese Musik sich fortsetzen könne wie der Pulsschlag des Lebendigen.“ Mit solchen Sätzen kommt der Schreibende dem Musizierenden sehr nahe. Unter den beiden Titeln für die Platte „Live At Birdland“, die im Studio aufgenommen wurden, findet sich „Alabama“. Was zum Hintergrundwissen zählt, wird beim Leser oder der Leserin der Liner Notes vorausgesetzt. Am 15. September 1963 kamen bei einem rassistisch motivierten Bombenanschlag auf eine Baptistenkirche in Birmingham, Alabama, vier schwarze Mädchen um ihr Leben. LeRoi Jones berichtet von einem Gespräch des Produzenten mit John Coltrane. Bob Thiele fragte ihn, ob das Stück eine Beziehung zu den gegenwärtigen Problemen habe. Coltrane entgegnete: „Es gibt musikalisch etwas wieder, was ich da unten gesehen habe, in Musik übersetzt durch mich selber.“ J.C. Thomas schreibt in seiner Coltrane-Biographie: „John Coltrane hörte die schlimme Neuigkeit am selben Nachmittag im Radio. Nicht Zorn, sondern Melancholie senkte sich über ihn. Jemanden zu töten, aus welchem Grund auch immer, empörte und erschütterte ihn so sehr, als wäre er ein frommer Buddhist, in dessen Anwesenheit jemand auf eine Ameise trat.“ Und obwohl LeRoi Jones sich von der Leitfigur des afroamerikanischen Jazz dieser Zeit lieber eine militante Antwort gewünscht hätte, schreibt er – ganz dem Menschen Coltrane und seiner Moral gerecht werdend – in seinem Text zur Platte: „Mir ist erst jetzt bewusst geworden, was für ein schönes Wort Alabama ist.“ Was Leroi Jones zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen kann: Auf dem Weg des von Trauer, Melancholie und Psalmodie umwehten „Alabama“ wird John Coltrane voranschreiten zur hymnischen Intensität von „A Love Supreme“, seinem vollendeten Lobgesang auf jene spirituelle Energie, die er in vielen Religionen gefunden hatte und nicht auf eine begrenzt sehen wollte. „Fortschreiten“ – im Leben und in der Musik von John Coltrane nahm dieser Begriff eine Bedeutung ein, die er später vielerorts für die Kunst zu verlieren schien. Bedenkenswert, dass Coltrane, nach dessen Tod sich die Welt des Jazz in ein Vakuum versetzt fühlte, bekannt hat, nicht mehr zu wollen, als ein besserer Mensch zu werden. Bert Noglik |
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