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Jazzzeitung
2006/09 ::: seite 13
portrait
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Mit enormer Produktivität, mediterraner Spiellust, außergewöhnlicher
Vielseitigkeit und feinsinnigem Humor hat sich der 34-jährige Mailänder
Stefano Bollani in wenigen Jahren in die erste Garde der europäischen
Jazzpianisten gespielt. Ob mit Landsleuten wie seinem Mentor, dem Trompeter
Enrico Rava, und dem Orchestra della Toscana mit nordischen Kollegen wie
Stian Carstensen oder dem modernen Komponisten und Regisseur Heiner Goebbels,
ob solo, in kleiner Besetzung oder mit BigBand, stets gibt er dank seines
Einfallsreichtums und seiner brillanten Technik eine glänzende Visitenkarte
ab. Dass er keine stilistischen Grenzen akzeptiert und diverse Klangkulturen
von der Romantik bis Satie, von Monk bis Modern Jazz und von Latin-Rhythmen
bis zu mediterraner Folklore sinnvoll verbinden kann, demonstrieren auch
seine neuesten Einspielungen, über die er sich mit der Jazzzeitung
unterhielt.
Jazzzeitung: In Deutschland erscheinen jetzt zwei CDs
von dir fast gleichzeitig: Das Doppelalbum „I Visionari“ auf
dem französischen „Label bleu“, das nun wieder einen
deutschen Vertrieb hat, und dein Debüt unter eigenem Namen „Solo
Piano“ bei ECM. Ist das Kalkül oder Zufall?
Bollani: Zufall, bei den Veröffentlichungsdaten
kann man ohnehin selten mitsprechen. „I Visionari“ war drei
Monate fertig, bevor ich für ECM ins Studio gegangen bin. Außerdem
sind es komplett unterschiedliche Geschichten. „I Visionari“
ist das Ergebnis von zwei Jahren Arbeit mit meiner Band, dem Quintett.
Da sind so viele Songs entstanden, wir hätten leicht ein Triple Album
machen können. Es ist eben ein kontinierliches Projekt. Für
ECM hingegen war ursprünglich eine klar umrissene Idee vorgesehen:
ein Tribut an Prokofieff. Ich liebe es ja, mir als Komponist einen Käfig
zu bauen, aus dem ich dann als Pianist ausbreche. Doch dieser Käfig
war eindeutig zu klein, das habe ich beim Aufnehmen ganz schnell gemerkt.
Also spielte ich, was mir in den Sinn kam, instant composing. Dazu kamen
dann Stücke vom „Maple Leaf Rag“ von Scott Joplin bis
zu Brian Wilsons „Don’t Talk“. Das Repertoire war nicht
geplant, es hat sich einfach ergeben. Eine Prokofieff-Interpretation ist
dann übrig geblieben, das Thema aus dem Klavierkonzert Nr. 1, zweiter
Satz.
Jazzzeitung: Hat dein Produzent Manfred Eicher da nicht
schlucken müssen?
Bollani: Er hat schnell gesehen, dass es mit dem ursprünglichen
Konzept nicht klappen würde und war schnell mit meinen Improvisationen
einverstanden. Manfred ist ja ein besonderer Produzent, er steckt in der
Musik und kann wirklich etwas Konstruktives beitragen. Außerdem
hat er einen Sinn für Stimmungen. Wir haben in Lugano im Studio des
Schweizer Radios aufgenommen, kein klassisches Studio, eher ein leerer
Konzertsaal. Da stand der vielleicht beste Flügel, den ich je gespielt
habe.
Jazzzeitung: Vor dem Jazz kam bei dir der Populäres,
du hast Pavarotti begleitet und warst Keyboarder bei Jovanotti. Warum
hast du ein sicheres Auskommen aufgegeben?
Bollani: Erst einmal mag ich den Pop-Zirkus nicht, das
ganze Ambiente und den Zwang, immer wieder das Gleiche zu spielen. Abgesehen
davon verdiene ich als Jazzer unter meinem eigenen Namen weit mehr als
als Keyboarder von Jovanotti. Besonders, weil ich ein schlechter Keyboarder
war. Wenn ich ein wildes Solo spielte, hat jeder noch ,ah’ gesagt,
aber zusammen mit der Band war ich miserabel. Zum Glück traf ich
damals Enrico Rava für einen Gig in Paris. Der sagte zu mir wie ein
Vater: „Warum spielt du diesen Pop?“
Jazzzeitung: Trotzdem hast du keine Berührungsängste.
Bollani: Nein, natürlich nicht. Ich denke selbst
in Melodien. Ich liebe die kleine Form und fühle in Songs. Bei Sängern
mag ich grundsätzlich eher Popsänger, von Frank Sinatra bis
Mike Batt. Wenn ich mal wieder mit einer Sängerin arbeite, wird es
wahrscheinlich eher eine aus dem Popbereich sein. Jazzsängerinnen
haben besser ausgebildete Stimmen, aber oft weniger Geschmack.
Jazzzeitung: Bei diesen Vorlieben muss die klassische
Ausbildung an Konservatorium in Florenz hart gewesen sein.
Bollani: Ja, ich hatte einen ganz altmodischen und strengen Lehrer, der
mir bei jedem Fehler mit dem Stock auf die Finger geschlagen hat. Ich
habe wirklich gelitten. Aber heute bin ich ziemlich glücklich darüber.
Technik ist so wichtig. Mit ihr kannst du dich hinsetzten und einfach
spielen, was du willst.
Interview: Oliver Hochkeppel
Am 30. September , 20.15 Uhr, stellt Bollani im Stutttgarter Theaterhaus
am Pragsattel sein Solo-Album bei ecm vor.
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