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Wer ins Audi Forum nach Ingolstadt kommt, der erwartet, dass er Kultur im gepflegten, edlen Ambiente eines internationalen Wirtschaftsbetriebs genießen kann und dabei einen kühlen Sekt an der Bar kredenzt bekommt. Das durchgestylte, gesittete Ingolstädter Umfeld passt auf den ersten Blick so gar nicht zur neuen Hoffnung der Musikindustrie, Jamie Cullum, dem „Robbie Williams des Jazz“, der diese weitgehend vom Plattenkäufer ignorierte Musikform wieder einem jüngeren Publikum zugänglich machen soll. Wild ist er. Die gesträhnten Haare wedeln ihm beim Spielen vor dem Gesicht herum und zu seinen Sakkos trägt er mit Vorliebe abgewetzte Sportlatschen und zerschlissene Jeans. Sekt trinkt er auch keinen, sondern outet sich lieber als Fan von „german beer“. In der Tat wirkt der unkonventionelle Engländer auch zunächst etwas fehl am Platz im Audi Forum, das beim noch vorhandenen Tageslicht eher an den ZDF-Fernsehgarten erinnert, als an eine Location, die für Jazz- und Popkonzerte taugt. Aber das stört den Jungstar nicht, denn er geht gleich nach der Begrüßung zu seinem bekanntesten Stück „Twenty Something“ über und lässt seine Fähigkeit aufblitzen, der Band den Weg vorzugeben und wirkt dabei, als ob er seit mindestens „twenty-something“-Jahren nichts anderes gemacht hätte. Kritiker aus der Fraktion der „Jazzpolizei“, die in Jamie Cullum eine Art mittelmäßig talentiertes Casting-Produkt für ein kommerziell orientiertes Jazzpublikum sehen, straft er Lügen. Der 27-Jährige bearbeitet das Klavier zwar nicht ausgesprochen virtuos, aber mit einer soliden Technik und einem Sinn für Feinheit, der bei Jazzstandards aus fremder Feder besonders gut zum Tragen kommt. Dabei spielt er mit seiner Stimme, diesem überraschend rauchig klingenden Organ, und variiert sie vom schmeichlerischen über einen aggressiv fordernden Ton bis hin zur Louis-Armstrong-Imitation. Jamie Cullum ist für sein Alter ein erstaunlich kompletter Künstler, der neben seinem Gesang und seinem Klavierspiel eine erstaunlich starke Bühnenpräsenz als Entertainer, aber auch als Bandleader entwickelt hat. Wenn er nicht gerade kopfüber im Flügel verschwunden ist, um dem Instrument eigenartige Klänge zu entlocken, wirbelt er über die Bühne, bearbeitet eine Standtrommel, nötigt den Saxophonisten durch Hinterhertragen des Instruments zum Solo oder vertreibt den Schlagzeuger von seinem Platz, um selbst den Beat vorzugeben. Wenn er dann zwischen den Stücken kurz zur Ruhe kommt, macht er noch die eine oder andere Ansage, immer mit einer Prise Humor, wie man es von einem Engländer erwarten kann und sich von einem deutschen Publikumsliebling wie Till Brönner, der vergleichsweise steif daherkommt, manchmal wünschen würde. Das Showelement wird bei der Darbietung der fünf Musiker im Audi Forum groß geschrieben, worunter die Qualität nicht zu leiden hat. Nicht nur Jamie Cullum, auch seine Bandkollegen wechseln die Instrumente, als ob sie Kostüme wären, und jeder spielt mindestens zwei verschiedene. Zwei Kameraleute halten die Vorgänge auf der Bühne fest und eine Bildregie vermischt die Eindrücke mit vorab gefertigten Videoclips zu einer professionellen Videoprojektion. Keine Frage, man befindet sich weit entfernt vom zweifelhaften Superstar-Milieu. Hier stehen fünf Vollprofis, die bereits seit Oktober letzten Jahres zusammen touren und so auch noch bis Dezember weitermachen. Es fällt Jamie Cullum anscheinend trotz enormem Tour-Stress leicht, dem Publikum zu vermitteln, dass ihm die Lust am Spielen nicht vergangen ist. Und deshalb hat er alle in der Hand. Das Audi Forum ist nach gut einer Stunde vom anfänglich zögernden Mitwippen zum ausgelassenen Hüpfen übergegangen. Am Ende gibt es frenetischen Applaus für den sympathischen Künstler, der es dem Publikum bei der Zugabe mit einem Bad in der Menge dankt und schließlich als optischen Finalpunkt noch einen Sprung vom Flügel inszeniert. Jamie Cullums Mischung aus neuen eigenen Songs wie „Photograph“, „Get Your Way“, „London Skies“ und seinen Interpretationen bekannter Jazzklassiker hat auch diesmal wieder funktioniert. Der junge Engländer singt sich mit seiner persönlichen Note in die Herzen all jener, denen der konventionelle Jazz zu langweilig und verstaubt ist. Aber selbst für die, denen seine Musik auf CD nichts sagt, hätte sich ein Konzertbesuch gelohnt, denn der quirlige Jazz-Popper ist ein waschechter Performer und kann jederzeit noch eine Schippe drauflegen. Das hat er mehr als deutlich gemacht, indem er eine so gediegene Location, wie das Audi Forum in einen kleinen Hexenkessel verwandelt hat. Jörg Lichtinger |
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