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„Wer über den Jazz der zwanziger Jahre in Deutschland spricht, der kommt nicht daran vorbei, die ,Weintraub Syncopators’ zu erwähnen.“ So Peter Kreuder in seinen Lebenserinnerungen. Der eigentliche Vater dieses Jazzorchesters sei Friedrich Hollaender gewesen, der aber seinen Namen dafür nicht hergeben wollte. „Darum taufte man diese Truppe großartig aufeinander eingespielter Jazzmusiker auf den Namen des Mitbegründers Charly Weintraub.“ Gemeint ist wohl Stefan Weintraub, der nie Charly genannt wurde. Wahres und Unwahres steht in diesem Buch bunt und verwirrend nebeneinander.
Peter Kreuder behauptet, als Pianist in der berühmten Jazzband gespielt zu haben. „Ich glaube, ich war der einzige Nichtjude, der jemals bei den Weintraubs mitmischte.“ Unter Hitler bekamen sie Berufsverbot. Aber in Moskau seien sie zum Leiborchester Josef Stalins avanciert, wie Kreuder erfuhr. „Was dann aus ihnen wurde, wusste ich nicht. Bis im Sommer 1960 bei mir in Campione d’Italia, wo ich nun meinem Wohnsitz habe, ein Mr. Weintraub anrief und Englisch fragte, ob ich der ,famous Peter Kreuder from Berlin’ wäre.“ Der Anrufer, niemand anderes als der altvertraute „Charly Weintraub“, sei am nächsten Tag im weißen Rolls Royce vorgefahren. Der Chauffeur öffnete die Tür „und der kleine Charly rieselte heraus wie eine Maus, die sich in einen Eisschrank verirrt hat“. Bei einer ganzen Flasche Whisky habe er dann seine Lebensgeschichte erzählt. So habe er berichtet, dass die Syncopators, „die tollste Jazzband Europas“, sich in Jerusalem aufgelöst habe. Um möglichst weit von Hitler weg zu sein, sei Charly Weintraub danach nach Australien gereist, wo er immer noch lebe. Inzwischen sei er ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein Multimillionär. Stefan Weintraub und die nach ihm benannte Band haben tatsächlich existiert. Aber ihre Geschichte verlief anders, als Peter Kreuder sie in seinen fabulierfreudigen Memoiren beschrieben hat. Nicht Friedrich Hollaender, sondern Stefan Weintraub hat im Jahr 1924 zusammen mit anderen Musikliebhabern diese Gruppe gegründet. Sie waren Studenten meist technischer und naturwissenschaftlicher Fächer, die Musik als Hobby betrieben. Auch der 1897 in Breslau geborene Stefan Weintraub war kein Berufsmusiker. 1913 hatte er nach dem Schulabschluss in seiner Heimatstadt eine Lehre im Pharmaziehandel begonnen, bis er 1916 zum Militär eingezogen wurde. Nach der Rückkehr aus dem Weltkrieg zog er nach Berlin, wo er in der Lebensmittelbranche arbeitete. Schon früh muss Weintraub auch Klavierunterricht bekommen haben. Er machte immerhin so gute Fortschritte, dass er die neue amerikanische Tanzmusik, die ihn so faszinierte, nachspielen konnte. Aber er wollte nicht alleine bleiben und suchte Gleichgesinnte. Als Glücksfall erwies sich die Begegnung mit dem acht Jahre jüngeren Berliner Horst Graff, der soeben ein Saxophon gekauft hatte und außerdem Organisationstalent besaß. Gemeinsam gründeten sie ein Ensemble, die „Tanzkapelle Stefan Weintraub“, die dann den Namen „Weintraubs Syncopaters“ erhielt. Nach langem Üben trat die fünfköpfige Band – die anderen Musiker spielten Violine, Banjo und Klavier – bei einem Ball im Brüdervereinshaus in der Kurfürstenstraße zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Die Mitglieder der Weintraubs Syncopators hatten solchen Erfolg, dass Musikmachen ihr Hauptberuf wurde. Bald meldeten sich weitere Interessenten. Darunter war der aus einer Musikerfamilie stammende Chemiestudent Julius Ansco Bruinier, der Cellounterricht bekommen hatte, aber auch Trompete, Saxophon und Susaphon spielte und neben dem Gesang das Kunstpfeifen beherrschte. Sein Bruder Franz Servatius Bruinier war der erste Komponist Bertolt Brechts. Als Pianist und Komponist wirkte er bei musikalisch-literarischen Veranstaltungen, sogenannten MA-Abenden, mit, an denen er die Weintraubs Syncopators beteiligte. Diese „Montags-Abendveranstaltungen“, bei denen sich Maler, Literaten, junge Musiker, Schauspieler und Studenten begegneten, sollten entsprechend ihrer Programmatik „neuer Kunst und der Förderung neuer Künstler“ dienen. Besonders beliebt waren musikalische Parodien wie „Holde Gärtnersfrau à la Whiteman“ oder Szenen wie „Wagner im Tanzpalais“. Auch dem Komponisten Friedrich Hollaender, den Max Reinhardt als Musikalischen Leiter engagiert hatte, fiel die agile Gruppe auf. Er lud sie zur Mitwirkung bei den von ihm betreuten Revuen auf, wobei er selbst den Klavierpart übernahm. Schon 1927 konnte man die Band in den Reinhardt-Revuen „Was sie wollen“, „Hetärengespräche“, „Das bist du“, „Das spricht Bände“ und „Bei uns um die Gedächtniskirche rum“ erleben. Mit dem Eintritt Hollaenders wechselte Stefan Weintraub vom Klavier ans Schlagzeug. Auf seiner großen Trommel stand als Bandname jetzt „Weintraubs Syncopators“. Dennoch verwendeten einzelne Veranstalter immer noch die alte Schreibweise. An den Weintraubs Syncopators faszinierte ihre musikalische und stilistische Vielseitigkeit zwischen Klassik-Parodie, lateinamerikanischen Tänzen, Wiener Walzern, französischen Kabarett-Chansons, Swing und Chicago-Jazz. Die Musiker spielten im fliegenden Wechsel mehrere Instrumente und wechselten dazu teilweise dem jeweiligen Thema entsprechend die Kleidung. Außerdem imitierten sie Tierstimmen, andere Instrumente, verwendeten höchst ungebräuchliche Geräte wie etwa Küchen-utensilien als „Instrumente“ oder spielten in ungewöhnlichen Positionen, etwa auf dem Boden liegend. Bestimmte Nummern trugen sie als Box-Match vor. Theatralische, groteske und clowneske Elemente verbanden sie so virtuos mit dem Musizieren, dass die Weintraubs in Berlin bald als das begehrteste Bühnenschauorchester galten. So traten sie beispielsweise an der Seite von Josephine Baker in der Revue „Bitte einsteigen“ auf. Auch die Schallplattenindustrie interessierte sich für die erfolgreiche Band. An ihrer ersten Plattenaufnahme am 15. Februar 1928 waren folgende acht Musiker beteiligt: Friedrich Hollaender (Klavier), Stefan Weintraub (Schlagzeug), der Trompeter Paul Aronovici, der Posaunist John Kaiser, der Klarinettist und Saxophonist Horst Graff, Freddy Wise (Tenorsaxophon, Basssaxophon und Klarinette), Cyril „Baby“ Schulvater (Banjo und Gitarre) und Ansco Bruinier (Trompete, Tuba und Bass). Sie spielten an diesem Tag unter anderem die Jazztitel „Jackass Blues“, „Up an At‘ Em“ und „Blue Skies“. Mit der Theaterwelt war diese Band schon seit der Mitwirkung bei den MA-Programmen engstens verbunden. Die Weintraubs Syncopators wirkten am 23. März 1929 bei der legendären Gedächtnisfeier für den Schauspieler Albert Steinrück mit oder am 6. September 1929 bei der skandalumwitterten Uraufführung des Mehring-Stücks „Der Kaufmann von Berlin“, wozu Hanns Eisler die Musik geschrieben hatte. Da die Weintraubs Syncopators darstellerisch-visuell ebenso attraktiv waren wie musikalisch-akustisch, blieb es nicht aus, dass die Filmindustrie sich für sie interessierte. Anfang 1930 fanden die Musikaufnahmen zu dem Sternberg-Film „Der blaue Engel“ statt, zu dem Friedrich Hollaender die Songs beigesteuert hatte. Die Jazzarrangements stammten von Franz Wachsmann, Hollaenders Nachfolger als Pianist der Gruppe. Für den künstlerischen und vor allem auch menschlichen Zusammenhalt zwischen so unterschiedlichen, häufig auch aufbrausenden Musikern sorgte Stefan Weintraub. Er war der ruhende Pol, das ausgleichende Element bei allen personellen Wechseln. Dennoch kam es bei einzelnen Projekten zu Machtkämpfen und damit zu Umbenennungen. Friedrich Hollaender, dem die Gruppe viel verdankte, ließ sie bei einigen Aufnahmen als „Friedrich Hollaender und seine Jazzsymphoniker“ firmieren. Der Pianist Peter Kreuder war mit der Hauptdarstellerin Marlene Dietrich befreundet und nahm mit ihr und seinem „Orchester Peter Kreuder“ ebenfalls Musiktitel (u.a. „Peter, Peter“) auf. Möglicherweise gab es dabei personelle Überschneidungen mit den Weintraubs Syncopators, woraus sich die Behauptung erklärt, Kreuder habe bei ihnen mitgewirkt. (Das hinderte den wendigen Musiker nicht daran, schon 1932 der NSDAP beizutreten.) 1933 spielten die Weintraubs Syncopators an der Seite von Hans Albers im UFA-Film „Heute kommt’s drauf an“. Es war der letzte von 20 Spielfilmen, an denen sie beteiligt waren. Dann waren sie als „Nichtarier“ vom Auftrittsverbot betroffen und unternahmen ausgedehnte Auslandstourneen. Die USA standen nicht auf dem Tourneeplan, denn im Sommer 1932 hatten die Weintraubs vergeblich die Einreise nach New York versucht – die amerikanische Musikergewerkschaft untersagte ihnen, ihre Instrumente vom Schiff auszuladen. Mit großem Erfolg trat die Band dagegen 1935 und 1936 in der Sowjetunion auf, ohne allerdings das „Leiborchester Josef Stalins“ zu werden. Kaum geringer war 1937 die Resonanz beim japanischen Publikum. Inzwischen hatten die Musiker erfahren, dass sie nicht wieder nach Deutschland zurückkehren durften. Auf der Suche nach einem neuen Wohnsitz fiel ihr Blick auf Australien. Es begann vielversprechend: Mit einem lukrativen Vertrag trafen die Weintraubs Syncopators im Juli 1937 in Australien ein, wo im Oktober eine mehrmonatige Tournee begann. Das australische Publikum reagierte begeistert, aber die Musikergewerkschaft wehrte sich mit allen Mitteln gegen die erfolgreiche Gruppe, die sie als gefährliche Konkurrenz einschätzte. Stefan Weintraub erinnerte sich an seine Erfahrungen mit der US-amerikanischen Gewerkschaft und handelte entsprechend. Schon im Oktober 1937 schrieb er an das Innenministerium in Canberra, er wolle sich in Australien niederlassen. Da ausländische Musiker in der Regel keine Arbeitsgenehmigung erhielten, erklärte Weintraub sich bereit, zu seinem alten Beruf in die Pharmaziebranche zurückzukehren. Insgeheim aber hoffte er, weiter als Musiker auftreten zu dürfen. Tatsächlich engagierte im Dezember 1938 eines der elegantesten Restaurants Sydneys die Weintraubs Syncopators. Die Musikergewerkschaft allerdings protestierte scharf und sorgte dafür, dass zusätzlich eine einheimische Gruppe engagiert wurde. Damit sank für die Weintraubs die Zahl ihrer Auftritte. Nach Kriegsausbruch folgten weitere Einschränkungen. Obwohl der Restaurant-Inhaber beteuerte, die Weintraubs Syncopators seien entschiedene Hitler-Gegner, wurde Stefan Weintraub wie andere Mitglieder seiner Band ab Juni 1940 wegen seiner deutschen Staatsbürgerschaft als „feindlicher Ausländer“ interniert. Als verdächtig galt, dass er im ersten Weltkrieg als Soldat auf deutscher Seite gekämpft und sogar das Eiserne Kreuz erhalten hatte. Außerdem trafen bei der Polizei Denunziationen ein, wonach die Bandmitglieder Spionage für den Feind trieben. Übertriebener Patriotismus verband sich dabei mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Im September 1941, nach 15 Monaten hinter Stacheldraht, wurde Stefan Weintraub endlich aus dem Internierungslager entlassen. Mitglieder einer rivalisierenden australischen Band waren empört, hatten sie doch geglaubt, ihre gefürchteten Kollegen für alle Zeit ausgeschaltet zu haben. Sie kritisierten die „vorzeitige Entlassung“ des Bandgründers und sorgten zusammen mit Frank Kitson, dem Präsidenten der Musikergewerkschaft, dafür, dass Weintraub keinerlei Auftrittsmöglichkeiten erhielt. Wie sein Musikerkollege Horst Graff war Stefan Weintraub deshalb gezwungen, einen musikfremden Beruf zu ergreifen. Er arbeitete als Mechaniker in einer Firma in Sydney und lebte in bescheidenen Verhältnissen in einer kleinen Erdgeschosswohnung. Wie ganz zu Beginn seiner Karriere konnte er sich nur noch nebenbei dem Musizieren widmen. Seine Band, die einst so berühmten Weintraubs Syncopators, gab es nicht mehr. Obwohl Stefan Weintraub im Oktober 1945 endlich die australische Staatsbürgerschaft erhielt, konnte von einer Traumkarriere keine Rede sein. Peter Kreuder kannte offenbar seinen „alten Kumpel“ so wenig, dass er ihn mit dem Trompeter und Geiger Emanuel Fischer verwechselte. Dieser war 1933 der Band als Geiger und Trompeter beigetreten und machte in Australien tatsächlich Karriere als erfolgreicher Fabrikant. „Manny“ Fisher ist zu erleben in dem Film „Weintraubs Syncopators. Bis ans Ende der Welt“, mit dem Jörg Süßenbach und Klaus Sander im Jahre 2000 auf die damals fast schon vergessene Jazzband hinwiesen. Der Bandgründer Stefan Weintraub lebte während der Dreharbeiten nicht mehr. Weder als Musiker noch als Mechaniker hatte „Steps“, wie
ihn seine Freunde nannten, in Australien Karriere machen können.
In der Emigrantenszene von Sydney sah man ihn regelmäßig bei
den deutschsprachigen Aufführungen, bei Revuen und Bunten Abenden
des Kleinen Wiener Theaters, wo er Klavier oder Schlagzeug spielte. Bereitwillig
und bescheiden stellte er sich hier für alle musikalischen Aufgaben
zur Verfügung und studierte auch Solo- und Chorpartien ein. Ein Rolls
Royce mit Chauffeur stand ihm in Sydney nie zur Verfügung. Dagegen
bereitete es ihm Genugtuung, als einige alte Aufnahmen der Weintraubs
Syncopators wieder auf Schallplatte erschienen. In Erinnerung an die alten
Zeiten unternahm Stefan Weintraub 1970 noch einmal eine große Weltreise.
In New York begegnete er dem Musikschriftsteller Eric T. Vogel, der 1935
die Weintraubs Syncopators in Brünn erlebt hatte und immer noch von
deren erstaunlicher Wandlungsfähigkeit schwärmte. Zu ihrem damaligen
Programm gehörte die Nummer „Eine Reise um die Welt“,
bei der die Musiker sehr gegensätzliche Musikstile imitierten. Albrecht Dümling |
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