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„Was entsteht, wenn Folk und Jazz aufeinandertreffen? – Richtig, Weltmusik.“ Dieser kleine Witz beschreibt punktgenau das Problem mit dem Begriff Folkjazz: Keiner weiß genau, was sich dahinter verbirgt. Um im nachfolgenden Bericht über den Folkjazz, der vom 7. bis 9. Juli im Rahmen des 16. Rudolstädter Tanz- und Folkfestes zu erleben war, nicht immerfort im Trüben zu fischen, hier eine kurze Begriffsbestimmung vorab: Folkjazz synthetisiert in erster Linie nordamerikanische und/oder europäische Folklore- beziehungweise Volksmusik mit Jazz. Mit anderen Worten: Folkjazz ist eine westliche Musik, wenn man so will eine Europa- und Nordamerika-zentristische. (Obgleich sich Musik ja nicht an Territorialgrenzen hält.)
Diese Definition wäre beim angestammten Publikum des Tanz- und Folkfestes wahrscheinlich nicht gut angekommen, denn das ist, wie man weiß, offen für jede Form von Musik, egal aus welchem Kulturkreis. Nichtsdestotrotz traten in Rudolstadt verstärkt Bands auf, die folkigen Jazz beziehungsweise jazzigen Folk spielten. Offenbar gibt es ein anwachsendes Interesse an dieser musikalischen Symbiose, deren Geschichte sich bis in die 60er-Jahre zurückverfolgen lässt. Die österreichische Formation Beefólk setzte die Messlatte ziemlich hoch. Das umjubelte Konzert der sechs jungen Männer aus Graz geriet geradezu zur Sternstunde neuester Folkjazz-Kunst, um es etwas pathetisch auszudrücken. Mit einem Stück, dessen Sound stark an die „Imaginary Day“-Platte von Pat Metheny erinnerte, eröffnete die Band ihr Konzert. Es folgten weitere Stücke, die strukturell einen ähnlichen Tiefgang aufwiesen wie die des Gitarrenapoll. Sehr dichte, glänzend instrumentierte Arrangements wurden von den einzelnen Instrumentalisten spielerisch mit floskellosen Soli angereichert. Die Improvisationen von Klemens Bittmann auf der Violine und Mandoline setzten dabei die folkigen Akzente, während Georg Gratzer mit Saxophonen und Flöte für den eher jazzigen Part verantwortlich zeichnete. Der Akkordeonist Christian Bakanic, der in der Musik des Balkan ebenso beheimat ist wie im argentinischen Tango, sowie der aus Island stammende Sänger und Posaunist Helgi Hrafn Jonsson, mit seiner ätherischen Stimme, brachten zusätzliche Tonfarben ins Spiel. Das Ganze stand auf solider rhythmischer Basis (Christian Wendt am Bass und Jörg Haberl am Schlagzeug). Vertrackte, jazzrockige Beats wechselten mit sanften, perkussiven Passagen, wobei stets rhythmische Einflüsse aus diversen Volksmusiken erkennbar wurden. Das Tolle: Alles klang wie aus einem Guss. Das ebenfalls noch junge Trio Re:Toro aus Estland machte eine Musik ganz anderen Typs und gruppierte sich um die Multiinstrumentalistin Cätlin Jaago, die vorrangig einen Dudelsack blies. Ihr zur Seite standen der Wasser-Perkussion spielende Silver Sepp sowie der Sopransaxophonist Marko Mägi. Estnische Hochzeits- und Todeslieder, aber auch sogenannte Sea-Songs bildeten das Repertoire, aus dem sie schöpften. Es zeigte sich, dass die im engeren Sinne archaisch-folkloristischen Lieder einen ganz besonderen Reiz bekommen, wenn man ihnen ab und an mit einem kühlen jazzigen Sopransax-Solo zu Leibe rückt. Marko Mägi verstand sich gut darauf, die Kontraste nicht allzu plakativ herauszuarbeiten. Sein zurückgenommenes Spiel schuf zwar Reibungen, vermied aber den Bruch mit dem musikalischen Fluss. Fazit: ungewöhnlich und interessant. Die aus Slowenien stammenden Musiker von Katalena spielten jugendliche Folk-Musik, die in der Tradition ihrer Heimat fest verwurzelt ist, zugleich aber auch den Anschluss an den Puls der Zeit sucht. Das hörte sich an wie eine Mixtur aus Rock, Pop, Blues, Folk und Jazz. Letzteren brachte vor allem Boštjan Gomba ein, der auf seiner Klarinette immer wieder Ausflüge in den harmonisch-freien Raum unternahm und auch auf diversen Flöten zu überzeugen wusste. Dass diese Musik in Estland die Charts stürmte, ist keineswegs verwunderlich, denn die adrette Sängerin Vesna Zornik hat das Aussehen und die Theatralik eines Popsternchens und singt zudem noch überaus gut in ihrer Landessprache. Das tut ebenso der Franzose David Biloul von der Großformation Babylon Circus. In Frankreich kommt der Party machende musikalische Wanderzirkus ziemlich gut an. Auch in Rudolstadt traf man den Nerv des Publikums. Das rasante Reggae-, Ska-, Dub-, Balkan-Brass-Geschmetter prasselte kompromisslos auf das Publikum nieder und war gespickt mit kurzen, prägnanten Soli im Jazzgewand. Das Schöne dabei: Das Spektakel war nicht nur witzig inszeniert, sondern auch noch intelligent gemacht. In derselben Liga wie Babylon Circus spielte die polnische Truppe Zakopower. Die Herren verbanden traditionelle Musik aus der Hohen Tatra mit Clubsounds und einer starken Prise Rock und Jazz. Mehrere Geigen entfalteten eine ungeheure Energie, die durch die Hinzunahme von Satzgesang, Elektronik, Bass und Schlagzeug noch mehr aufgeladen wurde. Man könnte diese Musik Power-Folkjazz nennen, muss man aber nicht. Auch die ungarische Band Ágostones, mit deren Beschreibung wir schließen wollen, hatte treibende Momente aufzubieten. Der namensgebende Saxophonist und Dudelsackspieler Béla Ágoston hatte seine Mitspieler auf einen Stil-Mix aus Rock, Jazz und Folk eingeschworen, wobei der Folkanteil dominierte, da noch zwei weitere Dudelsäcke auf der Bühne standen. Der stete Wechsel von Dudelsack- und Saxophonsoli lies den Eindruck entstehen, dass das moderne Saxophon eigentlich nur als logische Weiterentwicklung des älteren Dudelsack zu verstehen ist. Geswingt haben Ágostones auf beiden Instrumenten. Nico Thom |
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