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Interview mit dem Jazzgitarristen Wolfgang Muthspiel über den wahren Kern des Improvisierens, das eigene Label und sein neues Trio. Das Gespräch führte Claus Lochbihler. Jazzzeitung: Sie haben über die Haltung, mit der
Sie ihre neue Trio-CD „Bright Side“ aufgenommen haben, gesagt:
„Der Musik geht kein Gedanke mehr voraus.“ Können Sie
das genauer erklären? Jazzzeitung: Was hat Sie in der Vergangenheit daran gehindert, so zu improvisieren? W.M.: Ambition zum Beispiel. Angst. Das Gefühl, dem Publikum etwas beweisen zu müssen. Auch das Alter spielt eine Rolle. Je älter man wird, desto besser weiß man, was wichtig ist. Dass man sich zum Beispiel den schöpferischen Ausdruck nicht durch Nebensächlichkeiten verwässern lassen sollte. Es kann einen die Fixierung auf einen bestimmten Sound behindern. Da steht irgendwo ein Verstärker und der Sound ist nicht so wie man ihn sich vorstellt. Aber statt dass man damit zu arbeiten versucht, hat man ständig im Kopf, dass einem der alte Klang abgeht. Solche Dinge. Manchmal ist es bei mir natürlich immer noch so, dass ich Dinge innerlich höre, die ich einfach nicht spielen kann. Jazzzeitung: Woran liegt das? Ist das eine Frage des Instruments und seiner Beschränkungen? W.M.: Eher eine Frage der Umsetzung. Man hört etwas, was vor dem inneren Ohr schon vollkommen Gestalt angenommen hat. Wenn ich mich dann hinsetze, um das Gehörte auf das Instrument zu übertragen, kann es passieren, dass ich das Motiv im Parcours der Akkordfolgen einfach nicht fortführen kann. Aber eigentlich ist das etwas Schönes: Es zeigt, dass die Musik vor einem selbst schon da ist. Letztlich ist die Musik immer größer als man selbst. Sie ist immer größer als jeder Musiker. Wer das nicht begreift, sollte nicht wirklich Musik machen. Jazzzeitung: Mit „material records“ haben Sie Ihr eigenes Label gegründet. Gehört das zu den Voraussetzungen, um Musik so zu machen, wie Sie das möchten? W.M.: Nicht unbedingt. Mit dem eigenen Label kann ich natürlich direkter arbeiten. Es geht viel schneller, die eigene Musik herauszubringen. Das eigentlich Schöne daran ist aber, dass ich der Öffentlichkeit Musiker vorstellen kann, an die ich glaube. Das ist etwas, was ich ausbauen möchte. Es wird eine Serie mit dem Titel „Introducing …“ geben. Da möchte ich Leute vorstellen, die man wirklich noch nicht kennt. Jazzzeitung: Hat sich mit dem eigenen Label Ihr Blick auf die Musik verändert? Hören Sie Musik mit den Ohren eines Produzenten? W.M.: Dieser Prozess ist in jedem Fall eingetreten. Wobei es mir bei einer Produktion darum geht, das Wesen einer Band so klar wie möglich hervortreten zu lassen. Es geht nicht darum, etwas so zu produzieren, dass es sich anschließend möglichst oft verkauft – das funktioniert ohnehin nicht. Wenn ich etwas produziere, möchte ich die Stärken einer Musik hervorheben. Ich frage mich dann: Was sind die Qualitäten dieser Musik und was lenkt davon ab? Es gibt viele große Musiker, die leider nie ein Bewusstsein für so etwas entwickelt haben. Die nie wussten, mit welcher Musik sie sich umgeben mussten, damit ihre Stimme möglichst stark wirkt. Deswegen gibt es leider großartige Instrumentalisten, die nie wirklich tolle Platten aufgenommen haben. Jazzzeitung: In ihrem neuen Trio, mit dem Sie „Bright Side“ aufgenommen haben, spielen Sie mit Andreas und Matthias Pichler zusammen – zwei Zwillingsbrüdern aus Innsbruck. W.M.: Für mich sind die beiden ein tolles Geschenk. Die waren schon am Anfang unserer Zusammenarbeit unglaublich gut, haben sich seitdem aber noch einmal entwickelt. Das sind Musiker, denen der Prozess des Improvisierens wirklich am Herzen liegt. Man hört, dass sie den ganzen Jazz zu Hause als Bass-Schlagzeug-Duo zusammen entdeckt und ausgecheckt haben. Die haben seit ihrer Kindheit wie eine eigene Jazz-Universität funktioniert. Jazzzeitung: Wo sehen Sie den musikalischen Unterschied zwischen dem neuen Trio und den Aufnahmen, die Sie mit Brian Blade und Marc Johnson eingespielt haben? W.M.: Das neue Trio will weniger irgendwelchen Jazzkategorien entsprechen. Ich möchte Musik nur noch nach einer gewissen Emotion beurteilen. Ob man das dann Jazz nennen kann, ist mir ziemlich egal. Wichtig ist mir auch eine gewisse Einfachheit. So ein einfaches Lied wie „Schanghai“ von der neuen CD habe ich, seit ich 17 bin, nicht mehr geschrieben. Jazzzeitung: Unlängst haben Sie mit Youssou N’ Dour im Senegal gespielt. W.M.: Er hatte sich mit einer internationalen Jazzband
umgeben, weil er seine Songs mal jazzig interpretieren wollte. Mit dabei
waren unter anderem die Schlagzeuglegende Idris Muhammad und der großartige
Schweizer Harmonika-Spieler Grégoire Maret. Unsere gemeinsame Sprache
war also der Jazz. Wir sind in Dakar natürlich auch in den Club gegangen,
wo Youssou N’Dour jede Woche mit seiner eigenen Band spielt. Da
kann man auch als Jazzer nicht so einfach einsteigen. Das ist musikalisch
eine ganz andere, eine ganz wunderbare Sprache! Wenn ich da mitspielen
würde, wüsste ich die Hälfte der Zeit gar nicht, wo oben
und unten ist. Das ist rhythmisch ein ganz eigener Kosmos, den ich sehr
bewundere. Im Senegal selbst mit Youssou N’Dour zu spielen, war
natürlich ein unglaubliches Erlebnis. Es gibt dort kein größeres
Ereignis als Youssou N’ Dour. Höchstens die Fußballnationalmannschaft.
W.M.: Rebekka Bakken und ich werden unser Duo wiederbeleben. Darauf freue ich mich schon. Ich bin ein großer Fan dieser Sängerin.
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