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Jazzzeitung

2006/07  ::: seite 23

Brasilien

 

Inhalt 2006/07

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Musik zum Licht
jäzzle g’macht:
1:0 durch Mayer?


TITEL


Macht der Melancholie
Carlos Bica, sein Trio Azul und DJ Illvibe


DOSSIER
- Brasilien

Die Samba lebt
Eine Reportage aus Bahia

Kultureller Kannibalismus
Ausstellung „Tropicália“ in Berlin zeigt die Vielfalt des Tropicalismo


BERICHTE
/ PREVIEW

Carla Bley und der „Escalator over the Hill“ in Essen || Rainer Michalke lieferte Debut beim 35. Moers Festival ||
Preview: Zehn Jahre „Festival frei improvisierter Musik“ || Weltpremiere in Gstaad: Jacques Loussier & Volker Biesenbender || 25 Jahre Bayerisches Jazzweekend || Jazz an der Donau || 40 Jahre Jazz in Willisau


 PORTRAIT / INTERVIEW

Rahsaan Roland Kirk || Anke-Helfrich-Trio || Wolfgang Muthspiel || Y Move

 JAZZ HEUTE

Leserbrief: 1 // 2
Wo spielt hier der Jazz?
Augsburgs Szenenachwuchs kämpft um seinen Raum im Kulturleben
Nationalmannschaft des Jazz
Das Bundesjugendjazzorchester auf Torjagd für Deutschland


 PLAY BACK / MEDIEN


Vom König der Ballade
Nat King Coles Capitol Recordings
CD.
CD-Rezensionen 2006/07
DVDs. Keith Jarrett – Tokyo Solo; Thelonious Monk: Straight no chaser
Bücher: Zwei praktische Handbücher und britische Big Bands
Noten. Noten-Variationen zum Thema Jazz
Instrumente. Monitorboxen von Samson


 EDUCATION

Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 42 Teil II · Ein Chris-Potter-Solo über „Iowa City“
„Die Posaune ist ein wundervolles Biest“
Jiggs Whigham verabschiedet sich als Jazzlehrer in Berlin


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2006/07 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (357kb))

Kultureller Kannibalismus

Die Ausstellung „Tropicália“ in Berlin zeigt die Vielfalt des Tropicalismo

Die Ausstellung „Tropicália – eine brasilianische Kulturrevolution“ zeigt anhand von Exponaten aus Musik, Bildender Kunst, Theater, Kino und Mode die Vielseitigkeit des Tropicalismo. Sie ist Teil der von Brasiliens Kulturminister Gilberto Gil entworfenen Initiative „Copa da Cultura“, die parallel zur WM stattfindet.

Bild vergrößernTropicalismo als politisches Manifest: eine Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Fotos: www.hkw.de

Der klimatisch nicht gerade verwöhnte Mitteleuropäer denkt bei Brasilien zuerst an die tropischen Strände. Auch im Erdgeschoss des Hauses der Kulturen der Welt zieht es den Betrachter zuerst zum Strand: Eine Ecke des Saales ist mit Sand aufgefüllt, darauf stehen Holzhütten, Palmen, Kakteen und sogar ein großer roter Käfig mit zwei lebendigen Papageien. Zum Betreten der Anlage wird ausdrücklich eingeladen. Es handelt sich um die Rekonstruktion eines Werkes, mit dem Hélio Oiticica 1967 im Rahmen der Ausstellung „Neue Brasilianische Objektivität“ großes Aufsehen erregte. Hier brach, erstmals auf brasilianischem Boden, der Alltag in die abgeschottete Welt der Kunst ein. Seine Installation nannte er „Tropicália“ und verschaffte damit der Bewegung des Tropicalismo ihren Namen. Deren Vertretern ging es um die Aufhebung von Grenzen: zwischen Kunst und Leben, zwischen den verschiedenen Kunstrichtungen. Jeder Aspekt des menschlichen Lebens sollte der Kunst einverleibt werden. Der Publizist Hermano Vianna sprach daher von „kulturellem Kannibalismus“. Diese Ideen veranschaulicht eine Rekonstruktion der wegweisenden Ausstellung von 1967, die durch Videomaterial ergänzt wird.

Einen Schwerpunkt bildet die Musik, ist doch der Tropicalismo vorwiegend als musikalische Strömung bekannt. Filmausschnitte zeigen Festivals brasilianischer populärer Musik, die 1968 und 1969 in Sao Paulo stattfanden und sich zu riesigen Happenings auswuchsen. Auch den Musikern ging es um Überwindung von Grenzen; das Publikum wurde in die Aufführungen einbezogen, unterschiedliche Stile miteinander vermischt. Vor allem von Gilberto Gil und Caetano Veloso, die als Sänger und Komponisten zu den wichtigsten Vertretern des Tropicalismo wurden, sind Aufnahmen zu sehen. Hemmungslos verknüpften sie Bossa Nova, Folklore, amerikanischen Rock und sogar Einflüsse der seriellen Musik. Ihr Album „Tropicália ou Panis et Circensis“, das die traditionsreiche Samba mit der E-Gitarre verband, wurde zum Manifest der Bewegung. Die Künstler des Tropicalismo arbeiteten interdisziplinär. So sind die Plattencover von Gilberto Gils Alben sowie die Filmplakate für das aus dem Tropicalismo entstandene „Cinema Novo“ kleine Kunstwerke für sich.

Auch der Schweizer Komponist Walter Smetak, der von 1937 an in Brasilien lebte, war dem Tropicalismo verbunden. Bekannt ist er als Erfinder von etwa 150 experimentellen Musikinstrumenten. Filmausschnitte zeigen ihm im Gebrauch einiger dieser Tonwerkzeuge. Ein von ihm „Vau“ genanntes Saiten-Instrument aus Holz und Flaschenkürbis ist als Exponat zu sehen. Die Ausstellung verdeutlicht, dass der Tropicalismo eigentlich eine politische Bewegung war. Sie entstand als Reaktion auf den Militärputsch und die damit einhergehende repressive Politik. Gilberto Gil und Caetano Veloso verletzten durch ihre stilübergreifende Musik das künstlerische Reinheits-Ideal, das die brasilianische Militär-Regierung propagierte. Sie wurden inhaftiert und mussten das Land verlassen. Filmausschnitte zeigen sie im Londoner Exil. Andererseits wurde die bunte und zugängliche Sprache des Tropicalismo rasch kommerziell vereinnahmt, wie Werbespots für den Ölkonzern Shell zeigen. Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich den Auswirkungen des Tropicalismo auf die zeitgenössische Kunst. In Nelson Leirners Installation „Der Tag, an dem Brasilien Weltmeister wurde“ von 2001 reiht sich die gesamte Spielzeugwelt zum Ansturm aufs Stadion auf: darunter Gartenzwerge, Babypuppen, aufziehbare Mäuse und Gummikrokodile. In bester Tropicalismo-Tradition verschwimmt hier die Grenze zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand.

Antje Rößler

Copa da Cultura (Infos: 030- 39787175)

Ausstellung: „Tropicália – eine brasilianische Kulturrevolution“, bis 9.7.

Konzerte: Teresa Cristina & Grupo Semente; Elza Soares (1.7.), Axial; Naná Vasconcelos (7.7.), Mestres da Guitarrada; Elba Ramalho (8.7.)

Popkomm 2006: Im Brasilien-Fieber

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