Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Die Ausstellung „Tropicália – eine brasilianische Kulturrevolution“ zeigt anhand von Exponaten aus Musik, Bildender Kunst, Theater, Kino und Mode die Vielseitigkeit des Tropicalismo. Sie ist Teil der von Brasiliens Kulturminister Gilberto Gil entworfenen Initiative „Copa da Cultura“, die parallel zur WM stattfindet.
Der klimatisch nicht gerade verwöhnte Mitteleuropäer denkt bei Brasilien zuerst an die tropischen Strände. Auch im Erdgeschoss des Hauses der Kulturen der Welt zieht es den Betrachter zuerst zum Strand: Eine Ecke des Saales ist mit Sand aufgefüllt, darauf stehen Holzhütten, Palmen, Kakteen und sogar ein großer roter Käfig mit zwei lebendigen Papageien. Zum Betreten der Anlage wird ausdrücklich eingeladen. Es handelt sich um die Rekonstruktion eines Werkes, mit dem Hélio Oiticica 1967 im Rahmen der Ausstellung „Neue Brasilianische Objektivität“ großes Aufsehen erregte. Hier brach, erstmals auf brasilianischem Boden, der Alltag in die abgeschottete Welt der Kunst ein. Seine Installation nannte er „Tropicália“ und verschaffte damit der Bewegung des Tropicalismo ihren Namen. Deren Vertretern ging es um die Aufhebung von Grenzen: zwischen Kunst und Leben, zwischen den verschiedenen Kunstrichtungen. Jeder Aspekt des menschlichen Lebens sollte der Kunst einverleibt werden. Der Publizist Hermano Vianna sprach daher von „kulturellem Kannibalismus“. Diese Ideen veranschaulicht eine Rekonstruktion der wegweisenden Ausstellung von 1967, die durch Videomaterial ergänzt wird. Einen Schwerpunkt bildet die Musik, ist doch der Tropicalismo vorwiegend als musikalische Strömung bekannt. Filmausschnitte zeigen Festivals brasilianischer populärer Musik, die 1968 und 1969 in Sao Paulo stattfanden und sich zu riesigen Happenings auswuchsen. Auch den Musikern ging es um Überwindung von Grenzen; das Publikum wurde in die Aufführungen einbezogen, unterschiedliche Stile miteinander vermischt. Vor allem von Gilberto Gil und Caetano Veloso, die als Sänger und Komponisten zu den wichtigsten Vertretern des Tropicalismo wurden, sind Aufnahmen zu sehen. Hemmungslos verknüpften sie Bossa Nova, Folklore, amerikanischen Rock und sogar Einflüsse der seriellen Musik. Ihr Album „Tropicália ou Panis et Circensis“, das die traditionsreiche Samba mit der E-Gitarre verband, wurde zum Manifest der Bewegung. Die Künstler des Tropicalismo arbeiteten interdisziplinär. So sind die Plattencover von Gilberto Gils Alben sowie die Filmplakate für das aus dem Tropicalismo entstandene „Cinema Novo“ kleine Kunstwerke für sich. Auch der Schweizer Komponist Walter Smetak, der von 1937 an in Brasilien lebte, war dem Tropicalismo verbunden. Bekannt ist er als Erfinder von etwa 150 experimentellen Musikinstrumenten. Filmausschnitte zeigen ihm im Gebrauch einiger dieser Tonwerkzeuge. Ein von ihm „Vau“ genanntes Saiten-Instrument aus Holz und Flaschenkürbis ist als Exponat zu sehen. Die Ausstellung verdeutlicht, dass der Tropicalismo eigentlich eine politische Bewegung war. Sie entstand als Reaktion auf den Militärputsch und die damit einhergehende repressive Politik. Gilberto Gil und Caetano Veloso verletzten durch ihre stilübergreifende Musik das künstlerische Reinheits-Ideal, das die brasilianische Militär-Regierung propagierte. Sie wurden inhaftiert und mussten das Land verlassen. Filmausschnitte zeigen sie im Londoner Exil. Andererseits wurde die bunte und zugängliche Sprache des Tropicalismo rasch kommerziell vereinnahmt, wie Werbespots für den Ölkonzern Shell zeigen. Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich den Auswirkungen des Tropicalismo auf die zeitgenössische Kunst. In Nelson Leirners Installation „Der Tag, an dem Brasilien Weltmeister wurde“ von 2001 reiht sich die gesamte Spielzeugwelt zum Ansturm aufs Stadion auf: darunter Gartenzwerge, Babypuppen, aufziehbare Mäuse und Gummikrokodile. In bester Tropicalismo-Tradition verschwimmt hier die Grenze zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand. Antje Rößler
|
|