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Alles wird neu, alles bleibt gut – lässt sich nach dem Debut des Moers-Festivals unter neuer Regie sagen! Zwar waren die Verkaufsszahlen rückläufig, und auch etliche bekannte Gesichter fehlten im Zelt. Entsprechend munkelte der neue künstlerische Leiter Rainer Michalke auf der Schlusspressekonferenz: „Ob es für manche jetzt nicht mehr cool ist, nach Moers zu kommen?“
Dabei bleibt es „cool“, wie in Moers Jazz und anderes auch unter neuer künstlerischer Leitung funktioniert. Wer unter 21 ist, braucht dabei nur einen ermäßigten Ticketpreis zu zahlen. Vor allem junge Festivalbesucherinnen und -besucher scheinen vor der Bühne in Trance versunken zu sein – zur Musik des gerade 75 Jahre alt gewordenen Dewey Redman! Auch die Band von John Scofield und Bugge Wesseltoft reißt viele von den Stuhlreihen, als Scofield seine bluesdurchtränkten Soli mit dem elektronisch aktualisierten Fusionsound des Keyboarders aus Norwegen vereint. Nicht gerade neu so etwas, aber in Moers in diesem Moment ganz groß! Wieder reisten viele Musiker und Bands aus vielen Ländern an, und nur einer durfte nicht zu Gast bei Freunden sein: Einem Mitglied der Band der kasachischen Sängerin Saadat Türköz wurde das Einreisevisum verweigert, weil den deutschen Behörden ein schriftlicher Nachweis über ein geregeltes Einkommen des Musikers fehlte. Doch trotz einwöchiger Verhandlungen und den Beteuerungen der Moers-Festival GmbH, im Falle des behördlicherseits befürchteten Hierbleibens des Musikers alles zu bezahlen, blieb die Bürokratie stur! Der „Weltmusik“-Boom scheint endgültig Vergangenheit – dafür leben die Musiken der Welt in vielen kreativen Formationen der improvisierten Musik, es zählt Berührung und Dialog. Der Pianist Bojan Z beschreitet seine rasanten Weltreisen auf den schwarzen und weißen Tasten in Moers mit seiner aktuellen Band „Paris Touch“, die angesagte Mitspieler aus der aktuellen Pariser Szene vereint. Mehr Pop wagen will das „neue“ Festival und testete Pfingsten entsprechend viel Neuland aus. Mugison aus Island markierte den kauzigen Rock‘n‘Roll Chaoten, betonte aber musikalisch eher die vordergründige Pose und weniger die musikalische Vision. Matthew Herbert ließ hoffen, dass die abgeschaffte African Dance Night wenigstens hier in Gestalt progressiver House-Beats Ersatz für die Tanzbeine liefern würde, doch blieb diese Wirkung aus bei der etwas blutleer wie auch monströs wirkenden Show der Londoner. Da machte das Duo Jamie Lidell und Gonzales noch die beste Figur mit charismatischem Soul, der trickreich mit elektronischen Sounds zusammenprallte. Nach wie vor bleibt es eine Herausforderung, ein so komplexes Gefüge wie vier Festivaltage mit kontinuierlich fließender Emotion und Spannung zu füllen. Sehr stimmig funktionierte der Fokus auf Norwegen – ein Land, das mit Arve Henriksen gleich einen „Artist in Residence“ präsentierte und damit einen Themenschwerpunkt, der dieser Ausgabe des Festivals ein starkes eigenes Gepräge beschehrte – zuhauf öffnete sich die weite Sphäre des einsamen Nordens mit seiner typisch herben Melancholie, aber vor allem mit dieser Kreativtiät aus dem fernen Norden, die so frei von Konventionen einer global vernetzten Musikindustrie ihren Atem behält. Und der strömte durch die Trompete von Arve Henriksen sehr facettenreich bei den mannigfaltigen Projekten, berührte schließlich den Gesang von Susanna Wallumroed, reduzierte sich auf eine karge Intimität. Nils Petter Molvaer wurde in Moers hingegen nur bedingt jenen hohen Erwartungen gerecht, die ein musikalisches Zusammentreffen mit Bill Laswell weckt, jenem Großmeister in Sachen mystischer Dub-Klänge. Es enttäuschte die Sound-Abmischung, und damit ertrank leider das meiste von jener sinnlichen Intensität in übersteuerten Bassfrequenzen, für die der Trompetensound Molvaers und die elektrischen Gitarren-Soundscapes von Eivind Aarset eigentlich stehen. Überrascht hatte weniger der bestens gelaunte und immer noch ein strahlendes Sax spielende Dewey Redman selbst, sondern vor allem seine überaus emanzipiert agierende Band, die auf spontane Interaktion mit dem Publikum setzte. Vibraphonist Stefan Bauer bereicherte seine traumhaft kommunizierende Formation um die hinreißende israelische Vokalistin Michal Cohen. Alle beschwören wollte die US-Saxophonistin Matana Roberts und stellte ihren an Coltrane gemahnenden Modern Jazz in den Dienst spiritueller und politisch-feministischer Botschaften und brach vor allem mit ihrer extrem eingesetzten Stimme Grenzen auf. „Back to the roots“ ist ein Credo des neuen Veranstalters – das Originäre, Freie und Revolutionäre soll unter der erneuerten Leitung wieder über die Event-Kultur erhaben sein. Projekte mit improvisierter Musik laufen mitten in der Stadt, ein eigener regionaler Festival-Radiosender will Transparenz nach draußen schaffen und auch die bunte Schar der „Nur-Camper“ für das künstlerische Kerngeschehen sensibilisieren. Symbolträchtig gab Peter Brötzmanns Trio dem Publikum ein geballtes Freejazz-Trommelfeuer. Was einst Grenzen niederriss und provozierte, fasziniert heute noch durch geballte, ungestüme Energie. Aufgeschlossene Menschen wollen schließlich mit starken Erlebnissen konfrontiert sein, die einem der Mainstream sonst vorenthält. Stefan Pieper |
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