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Jazzzeitung

2006/07  ::: seite 19-20

education

 

Inhalt 2006/07

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Musik zum Licht
jäzzle g’macht:
1:0 durch Mayer?


TITEL


Macht der Melancholie
Carlos Bica, sein Trio Azul und DJ Illvibe


DOSSIER
- Brasilien

Die Samba lebt
Eine Reportage aus Bahia

Kultureller Kannibalismus
Ausstellung „Tropicália“ in Berlin zeigt die Vielfalt des Tropicalismo


BERICHTE
/ PREVIEW

Carla Bley und der „Escalator over the Hill“ in Essen || Rainer Michalke lieferte Debut beim 35. Moers Festival ||
Preview: Zehn Jahre „Festival frei improvisierter Musik“ || Weltpremiere in Gstaad: Jacques Loussier & Volker Biesenbender || 25 Jahre Bayerisches Jazzweekend || Jazz an der Donau || 40 Jahre Jazz in Willisau


 PORTRAIT / INTERVIEW

Rahsaan Roland Kirk || Anke-Helfrich-Trio || Wolfgang Muthspiel || Y Move

 JAZZ HEUTE

Leserbrief: 1 // 2
Wo spielt hier der Jazz?
Augsburgs Szenenachwuchs kämpft um seinen Raum im Kulturleben
Nationalmannschaft des Jazz
Das Bundesjugendjazzorchester auf Torjagd für Deutschland


 PLAY BACK / MEDIEN


Vom König der Ballade
Nat King Coles Capitol Recordings
CD.
CD-Rezensionen 2006/07
DVDs. Keith Jarrett – Tokyo Solo; Thelonious Monk: Straight no chaser
Bücher: Zwei praktische Handbücher und britische Big Bands
Noten. Noten-Variationen zum Thema Jazz
Instrumente. Monitorboxen von Samson


 EDUCATION

Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 42 Teil II · Ein Chris-Potter-Solo über „Iowa City“
„Die Posaune ist ein wundervolles Biest“
Jiggs Whigham verabschiedet sich als Jazzlehrer in Berlin


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2006/07 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (357kb))

„Die Posaune ist ein wundervolles Biest“

Jiggs Whigham verabschiedet sich als Jazzlehrer in Berlin

 

„Independence Day – My Favorite Things“ lautet der Titel eines Konzerts, mit dem sich der Posaunist, Bandleader und Jazzlehrer Oliver Haydn „Jiggs“ Whigham am 4. Juli als Pädagoge von Berlin verabschiedet. Aus diesem Anlass beantwortet er Fragen zu seiner Karriere und seinem Instrument, zur Jazz-Ausbildung und der Zukunft des Jazz, zu seinem Verhältnis zur Klassik und anderen Themen. Das Interview führte Dietrich Schlegel.

Jazzzeitung: Am 4. Juli, dem amerikanischen Independence Day, gibt Prof. Jiggs Whigham, der Amerikaner mit langer Karriere in Deutschland und Europa, ein Abschiedskonzert im Studiosaal der Musikhochschule „Hanns Eisler“, an der er mehr als ein Jahrzehnt als Leiter der Jazzabteilung gewirkt hat. Was für ein Abschied ist damit gemeint, da Sie doch dort 1995 zum Professor auf Lebenszeit ernannt worden sind? Abschied nur als Pädagoge? Oder auch Abschied von Deutschland, von Europa ? Und zurück in die Staaten?

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Jiggs Whigham:. Zuerst einmal, diese Stelle existiert noch, aber es gibt keine Jazzabteilung an der Hanns-Eisler-Hochschule mehr. Die Abteilung wurde fusioniert mit der Jazzabteilung der Universität der Künste, und dort wurde am 1. Juli 2005 das Jazz-Institut Berlin gegründet. Es sind zwei verschiedene Hochschul-Konzepte ineinander geschrumpft, und da dachte ich mir, okay, im August werde ich 63, ich habe 30 Jahre lang pädagogisch gearbeitet und jetzt möchte ich gern ein bisschen kürzer treten, einfach so. Ich werde natürlich weiter Musik betreiben, ich leite weiter die BBC Big Band, ich mache Workshops ohne Ende, habe Soloauftritte weltweit.

Jazzzeitung: Sie nehmen also nur Abschied von Ihrer alten Wirkungsstätte?

JW: Ja, so ist es. Ich bin ja nicht nur Amerikaner, ich bin auch Europäer. Ich stehe mit einem Fuß in den Staaten und mit einem Fuß hier, wegen meines Berufs, wegen der Freunde, und auch meine Familie lebt hier in Deutschland. Aber wir haben auch ein Haus in Cape Cod bei Boston, und wir leben zeitweise auch dort. Ich hoffe, dass ich in Zukunft ein bisschen dort und ein bisschen hier leben kann, so hin und her.

Jazzzeitung: Sie haben die meiste Zeit als Musiker, als Bandleader und als Pädagoge in Deutschland verbracht. Warum sind Sie in Deutschland geblieben, nachdem die Edelhagen Band, bei der Sie engagiert waren, aufgelöst wurde?

JW: Das hat sich so ergeben. Es gab sehr viele Gründe für diese Entscheidung: Die Lebensqualität in Europa war eine andere als in Amerika, die Prioritäten waren einfach anders, auch die Situation der Kunst und der Musik, des Jazz, damals in den sechziger und siebziger Jahren. Das ist heute leider nicht mehr so. Damals gab es zum Beispiel jede Menge Big Bands, fast jede große Rundfunkanstalt unterhielt eine eigene Band, und es gab noch viele andere Bands, die im Show- und TV-Geschäft tätig waren, Max Gregers Band zum Beispiel. Jetzt gibt es allein beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur noch dreieinhalb solcher Orchester, beim WDR, NDR und dem Hessischen Rundfunk. Die Big Band des Südfunks ist ein nur Telefonorchester, ein sehr gutes zwar, aber nicht mehr full time. Und das ist bezeichnend, auch das Ende der von mir geleiteten RIAS Bigband. Das Geld ist nicht mehr da, heißt es. Ich würde es anders formulieren: Das Geld ist schon da, aber es wird in meinen Augen an den falschen Stellen ausgegeben. Nichts gegen unsere Kollegen von der Klassik. Auch ich liebe Brahms und Beethoven. Aber es muss auch für unser Metier Unterstützung geben!

Jazzzeitung: Es heißt ja oft, die Zeit der Big Bands sei vorbei. Sie haben die finanzielle Seite angesprochen. Aber man beobachtet doch überall Big Bands, die von jungen Musikern gebildet werden. Sie haben gerade mit der Bonner Uni-Big Band gespielt, gut, das sind begeisterte Amateure und Musikschüler. Aber es gibt doch auch neue mit Profis besetzte Big Bands, allein in Köln z.B. die Cologne Contemporary Jazz Band oder die Wednesday Night Big Band. Sehen Sie wirklich ein Ende der Big Band-Ära?

JW: Nein, so ohne weiteres nicht. Ohne die finanzielle Unterstützung von öffentlicher Seite wären die vielen Orchester, die Bach und Beethoven und Brahms spielen, auch längst tot. Aber das Geld für diese Orchester wird immer wieder gefunden. Sie werden eben zur Hochkultur gerechnet, der Jazz aber zur Populärmusik. Und das ist ein großes Problem für uns. Diese Wednesday Night Big Band und ähnliche Orchester, das sind Just-for-Fun-Bands, zumeist sehr gute Bands, aber die Musiker können davon nicht leben. Es gibt nur eine Handvoll Musiker, die von Jazz oder ähnlicher Musik ordentlich leben können.

Jazzzeitung: Sie werden von Martin Kunzler im „Jazz-Lexikon“ als eine „Institution in Sachen Jazzausbildung an Hochschulen“ und in dieser Hinsicht als „Pionier in Deutschland“ gelobt…

JW: Ach ja? Das freut mich…

Jazzzeitung: Sie betreiben seit drei Jahrzehnten sehr engagiert die Ausbildung junger Jazzmusiker. Wie beurteilen Sie denn das Niveau der Jazz-Ausbildung in Deutschland und den Nachwuchs: Können wir da mithalten mit den USA?

JW: O ja, ganz sicher! Mit meiner pädagogischen Tätigkeit fing es etwa 1975 an, als mir auffiel, dass man mit den jungen Musikern keine vernünftige Big Band machen konnte. Vorweg: Für mich ist Big Band nicht das A und O. Big Band ist ein wichtiger Bestandteil unserer Musik, aber die kleineren Formationen sind ebenso wichtig. Ich selbst spiele liebend gern in kleiner Besetzung, nicht zuletzt auch im Duo mit Piano oder Gitarre. Doch damals fiel mir auf, dass es sehr viele kreative Musiker gab, aber wirklich routinierte Satzspieler, die gut harmonieren können im Zusammenspiel etc. im Sinne von Basie und Ellington, Woody Herman, Stan Kenton, davon gab es nur sehr wenige, und da fing es damals an mit den Landesjugend-Jazz-Orchestern und später dem BuJazzO. Und ich hatte das große Glück, dass der damalige Rektor Prof. Franz Müller-Heuser mich als ersten Jazz-Professor in Deutschland an die Kölner Musikhochschule geholt hat. Für mich war das eine Herausforderung, nicht nur Kreativität zu fördern, sondern auch wirklich professionelle Musiker auszubilden, Musiker, die - abgesehen von ihrer Kreativität, ohne die es natürlich gar nicht geht - auch in einer Big Band sitzen und perfekt vom Blatt spielen können, die auch in einer Show spielen können, im Fernsehen usw. Das ist mittlerweile gewährleistet, wir haben in Deutschland eine ganze Menge von sehr, sehr guten professionellen Jazzmusikern, die überall mithalten können.

Jazzzeitung: Und wie beurteilen Sie die Situation der Jazz-Ausbildung an den deutschen Musikhochschulen?

JW: Mittlerweile gibt es in Deutschland sehr viele Jazzabteilungen, Wir bilden sehr, sehr viele junge Leute aus, in Köln, in Hamburg, Berlin, Stuttgart, Weimar, Mannheim etc. Aber– und ich weiß, dass ich mich hier auf dünnem Eis bewege und ich will niemandem zu nahe treten – aber ich frage ganz ehrlich: wofür? Besteht nicht die Gefahr, dass diese zum großen Teil hervorragenden Musiker am Ende von acht oder zehn Semestern Studium keine Arbeit finden? Das ist nicht gut.

Jazzzeitung: Es gibt also zu viele junge Jazzmusiker?

JW: Ich fürchte, ja. Oder anders herum: Das Problem ist nicht, dass wir zu viele Studenten bzw. Jazzabteilungen haben, aber die Infrastruktur ist nicht dazu geeignet, den Absolventen auch ausreichende Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Und das ist ein großes Problem.

Jazzzeitung: Kommen wir nun zu Ihrem Instrument, zur Posaune. Erst noch mal in ihrer Rolle als Pädagoge, als Posaunenlehrer. Gibt es einige Schüler von Ihnen und Schülerinnen – inzwischen spielen ja auch eine ganze Reihe von jungen Frauen Posaune …

JW: Gott sei Dank.

Jazzzeitung; Gibt es einige, die Sie besonders hervorheben möchten, die sich bereits einen Namen gemacht haben?

JW: Oh ja, es gibt eine ganze Reihe, die sich – zum Teil sogar weltweit – einen Namen gemacht haben, übrigens nicht nur Posaunisten, einer der ersten Studenten aus der Kölner Zeit war der Saxophonist Peter Weniger, der jetzt „mein Chef“ in Berlin (als künstlerischer Direktor des Jazz-Instituts Berlin – d. Red.) geworden ist. Und bei den Posaunisten fangen wir an mit Nils Wogram, das ist ein hervorragender kreativer Musiker, Ludwig Nuss in der WDR Big Band, Ansgar Skriepens, Ed Partyka, Antti Rissanen, Jürgen Neudert, der gerade eine Professor in Weimar angenommen hat, Ingo Louis, Oliver Pospiech, der u. a. die Bonner Uni-Big Band leitet. Und um ein paar Ladies zu nennen, da gibt es allein drei Schülerinnen von mir in Berlin: Katrin Schollmeyer, die ich zuerst bei der Uni-Bigband Bonn gehört habe, sie wird ihren Weg machen, Ulrike Hauptmann und die Dänin Maria Bertel. Es freut mich sehr, dass es mittlerweile sehr, sehr gute Posaunistinnen gibt.

Jazzzeitung: Was unterscheidet die Posaune von den anderen Instrumenten im Jazz, was ist grundlegend anders, worin besteht der Reiz, gerade mit diesem Instrument Jazz zu spielen?

JW: Für mich ist es vor allem erst einmal der Klang, der Klang der Posaune ist so wunderbar, jedes Instrument hat Vor- und Nachteile. Aber die Posaune ist ein so schönes melodiöses Instrument. Denken Sie nur daran, wie Tommy Dorsey sie gespielt hat. Diese Seite der Posaune soll man nicht weglassen. Ich habe gar nichts dagegen, wenn Leute wie z. B. Ray Anderson, experimentelle Dinge machen, Klänge hervorbringen, die einfach anders sind, oder Albert Mangelsdorff natürlich oder Conny Bauer in der alten DDR, sie haben andere Klänge entwickelt. Und das finde ich wunderbar, und das muss auch sein. Ich respektiere das ohne Einschränkung. Nur, das ist nicht meine Musik. Man muss - das ist das A und O in der Musik – versuchen, sich selber zu finden: wo stehe ich musikalisch, wo ist meine Stimme? Und jeder hat – um mal bei den Trompetern zu bleiben, ob Miles Davis oder Chet Baker, Maynard Ferguson oder Clifford Brown - jeder von ihnen hat seine Stimme gehabt, seine ganz eigene Stimme gefunden, einen ganz speziellen Klang, eine spezielle Stilistik, das kommt von innen, das ist absolut wichtig, es muss ehrlich sein.

Jazzzeitung: Sie haben einmal zur Posaune im Jazz gesagt, dass man mit der Trompete sofort Louis Armstrong und Miles Davis oder auch Harry James verbindet, bei Saxophonen Lester Young und Coleman Hawkins, Charlie Parker und Ornette Coleman. Bei der Posaune fallen dem „Normalbürger“, dem „normalen“ Jazz-Liebhaber, der nicht selber Musiker ist, auf Anhieb nicht sofort ein, zwei, drei Namen ein, die dieses Instrument im Jazz repräsentieren.

JW: Richtig. Und das kommt daher, weil – und auch hier möchte ich keinem Menschen zu nahe treten – die Posaune von Haus aus ein sehr undankbares Instrument ist. Sie ist ein Biest, ein wundervolles Biest zwar, aber ein Biest. Das Ding ist wirklich schwer zu spielen. Es ist etwas unhandlich, awkward, clumsy, sagt man im Englischen. Deshalb gibt es auch weniger Posaunisten und weniger berühmte Posaunisten. Wenn man die Geschichte der Entwicklung des Bebop in den Fünfzigern verfolgt – da gab’s Charlie Parker, da gab’s Dizzy Gillespie, Bad Powell und die Leute, die konnten natürlich über ihr Instrument flitzen, ganz schnell spielen. Bei Posaunen gab es noch lange nicht diese Technik, schnell zu spielen, erst J. J. Johnson war der Eisbrecher, er hat eine Technik gefunden, durch die schnelles Spiel auch auf der Posaune überhaupt möglich wurde. Mittlerweile gab es dann Leute wie Carl Fontana und Frank Rosolino, Bill Watrous und ein paar andere mit wirklich blendender Technik. In den Augen vieler Leute war der so zusagen letzte Star auf der Posaune Tommy Dorsey, und er war in den dreißiger bis in die fünfziger Jahre ein echter Star, ebenso berühmt wie etwa Harry James. Heute hat sich das Posaunenspiel viel, viel weiter entwickelt, Aber einen absoluten Star des Instruments gibt es nicht. Für viele gilt sie eben als Background-Instrument.

Jazzzeitung: An welchen Vorbildern haben Sie sich entwickelt und geschult?

JW: Das ist eine gute Frage. Ich habe zuerst viele Nicht-Posaunisten gehört. Ich bin z. B. ein großer Fan von Art Tatum, ich spiele immer noch ein bisschen Klavier, wenn auch nicht so ganz gut. Oder Bela Bartok oder Johann Sebastian Bach, die ja nun nicht gerade Posaunisten waren (lacht). Sie alle haben meine Musik schon sehr beeinflusst. Und natürlich dann die großen Posaunisten wie Tommy Dorsey und Jack Teagarden, Frank Rosolino, Carlo Fontana, Urbie Green – die waren und sind immer noch meine Vorbilder.

Jazzzeitung: Aber man nennt Sie doch „Mr. Trombone Himself“. Sie spielen ja in dieser Galerie auch eine bedeutende Rolle…

JW: Danke, aber das lasse ich lieber andere sagen.

Jazzzeitung: Sie sind Vizepräsident, Ehrenmitglied, Hauptberater der International Trombone Association, und zudem Sprecher des Beirats der Deutschen Sektion. Was ist das für eine Vereinigung? Sind dort alle Jazz-Posaunisten der Welt vereint?

JW: Nicht nur die Jazz-Posaunisten, auch die Posaunisten anderer Musikrichtungen. Ich bin sehr stolz, dabei zu sein. Es gibt inzwischen weltweit etwa 5000 Mitglieder, dazu gehören Klassiker, Amateure, auch Studenten, Profis sowieso, sehr viele Professoren etc. Wir bleiben in Kontakt durch ein Journal, das viermal im Jahr herauskommt. Einmal im Jahr gibt es eine Tagung, in diesem Jahr, im Juli, in Birmingham, voriges Jahr war sie in New Orleans, davor in New York, in Helsinki, es wechselt immer zwischen Europa und USA – und nächstes Jahr wird sie in China sein. Es wird natürlich viel gespielt, es wird über spezifische Probleme debattiert, es gibt Workshops, zu denen sehr viele Studenten kommen, aber auch sehr viele Profis. Meistens versammeln sich 500 bis 600 Posaunisten, ganz gemischt, vom blutigen Anfänger, über Amateure bis zu alt gedienten Profis Wir spielen in Birmingham auch mit der BBC Big Band und Gästen…

Jazzzeitung: … die Sie dann leiten…

JW: Ja, genau. Für die Posaunisten ist die Association auch eine Support Group, die Posaunisten bilden eine Ausnahme unter allen Instrumentalisten, möchte ich behaupten. Das sollte auf alle Fälle in der Jazzzeitung erscheinen: Posaunisten sind von Haus aus Kumpel! Das ist vielleicht eine Seltenheit unter Musikern, vor allem auch verschiedenster Richtungen. Wir mögen einander! Da gibt es kein „ich bin besser“ oder „er ist schlechter“. Das ist eine tolle Geschichte, und man lernt unglaublich viel. Da kommen Leute vom Symphonieorchester, und die hören die Jazzleute und sagen: Mensch, das ist wunderbar, was ihr macht. Und wir hören die Klassiker und sagen: Was ihr macht, ist top. Es macht wirklich sehr viel Freude.

Jazzzeitung: Sie haben in unzähligen Big Bands gespielt und viele selbst geleitet. An welche denken Sie besonders gern zurück?

JW: Ich habe mit 17 Jahren im Glenn-Miller-Orchester unter Ray McKinley begonnen, ich war also noch ein Bub. In jeder Band, in der ich mitgespielt habe, habe ich enorm viel gelernt, ich habe Consistency gelernt, habe Leidenschaft gelernt. In einem Bus acht, neun, zehn, zwölf Stunden fahren zu müssen und dann noch zu spielen, und zwar gut zu spielen, auch das habe ich gelernt, eben Professionalität. Stan Kenton ist noch immer ein Riesenheld für mich. Ich war 19, und am ersten Abend stand Stan Kenton ganz nah bei mir, und ich staunte: Das ist er ja, leibhaftig! Oder Count Basie, oh, der Count spielt Klavier und ich bin dabei, das ist unfassbar. Auch später in Deutschland mit Peter Herbolzheimer haben wir viel Spaß gehabt. Sein Posaunensatz war fantastisch. Ich kann eigentlich nicht sagen, die oder jene Band war das Highlight. Auch mit Bert Kaempfert habe ich gern gespielt. Von allen diesen Orchesterleitern habe ich sehr viel gelernt. Das war keine Schule, es waren Profiorchester und man musste spielen. Aber die Art und Weise jedes Einzelnen von ihnen, was sie voneinander unterschied, in ihrer Rolle als Leader, in ihrer Persönlichkeit, das war das Interessante, Und als ich selbst die Funktion des Leaders in verschiedenen Bands übernahm, habe ich mich stets gefragt, was will ich eigentlich, was will ich mit dieser Band schaffen, was will ich n i c h t machen. Ich kann zum Beispiel nicht verstehen und nicht leiden, wenn sich ein Bandleader arrogant verhält, sich als Chef aufspielt, nach der Devise: nur ich habe hier zu bestimmen und so, das habe ich nie gemacht. Ich trete als Kollege auf, das hat nichts mit Nettigkeit zu, aber es funktioniert einfach besser. Die Chef-Attitüde bringt doch nichts.

Jazzzeitung: Wie war das bei Kurt Edelhagen, bei dem Sie ja ihr erstes Engagement in Deutschland hatten?

JW: Edelhagens Vorteil war, dass er immer hervorragende Musiker geholt hat, Karl Drewo und Derek Humble, um nur die beiden von unzähligen Anderen zu nennen. Ich höre immer noch gern Aufnahmen der Edelhagen Band aus den sechziger und siebziger Jahren und denke immer noch: Wow, das war eine super Band.

Jazzzeitung: Noch unwahrscheinlich größer als die Big Bands, in denen Sie gespielt oder die Sie geleitet haben, ist ja die Zahl der Musiker, mit denen Sie gespielt haben. Auf Ihrer home page steht eine gewaltig lange Liste. Wir können sie hier unmöglich alle aufzählen, Aber vielleicht können Sie doch einige hervorheben, die Sie besonders beeindruckt oder geprägt haben im Zusammenspiel.

JW: Dexter Gordon! Als wir das erste Mal miteinander gespielt haben, hat er nach zwei, drei Stücken den Arm um mich gelegt und gesagt: Mann, du kannst spielen! Und ich war damals so um 24, und da denkt man stolz: Hey, Mann! Andere Helden meiner Anfangsjahre waren Frank Rosolino und Carl Fontana, und als ich dann mit denen erstmals zusammen gespielt habe, da hörte ich zu meiner Überraschung: die sind Fans von mir! Das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Man fühlt sich herzlich aufgenommen in einen fast exklusiven Musikerclub und denkt nur: Mann, du hast es geschafft, irgendwie. Man schafft es eigentlich nie, jedenfalls nicht ganz. Und dennoch: Wow! Vor zwanzig Jahren hat mich J. J. Johnson angerufen – J. J. Johnson!! – und sagte: ich habe eine Frage an dich, wie machst du das und das? Und ich: hey, das ist J. J. Johnson! Der hat mich gefragt, wie ich das mache. Was meinen Sie, was das für ein Gefühl ist. Da ist so einer für den jungen Musiker ein Riesenheld, und auf einmal ist er wirklich Kollege und Freund und all das.

Jazzzeitung: Das trifft wieder das Kumpelhafte unter den Posaunisten, das Sie vorhin erwähnt haben…

JW: Richtig. Auch Stan Kenton war für mich auch so ein hero, als Musiker, als Energiemensch, als wirklich super Bandleader, der hat uns alle fantastisch inspiriert, es war kaum zu glauben. Und da gibt es eben eine ganze Reihe großer Persönlichkeiten, denen ich begegnet oder mit denen oder für die ich gespielt habe. Ich habe zum Beispiel in einer Band für Judy Garland gespielt, und das war so: Das kleine Wesen kam auf die Bühne, und auf einmal tritt eine vollkommene Stille ein, sie hatte eine solche Ausstrahlung, das ist unvorstellbar. Ausverkauftes Haus, was weiß ich, 2000 Plätze. Und sie kommt raus, und wenn sie natürlich „Over the Rainbow“ singt, ist alles vorbei.

Jazzzeitung: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation des Jazz und seine zukünftige Entwicklung? Viele Leute sagen „Jazz ist tot“, entwickelt sich nicht mehr. Andere halten dagegen und sagen, der Jazz ist nicht tot zu kriegen, der ist so vielfältig, und die Vielfalt wächst eigentlich noch. Wie sehen Sie das?

JW: Ich sehe das genauso, ich teile die zweite Ansicht. Ich bin kein Purist. Was ist Kunst überhaupt? Was ist die Funktion von Musik? Darüber kann man ewig streiten. Muss sie immer „schön“ sein? Nein! Sie muss uns manchmal wirklich aufregen. Darin sehen einige Künstler auch ihren Sinn, sie machen uns mit ihrer Musik unzufrieden, manchmal auch aggressiv, so dass wir darüber nachdenken müssen. Ohne Sand in den Austern gibt es keine Perlen. Es gibt auch für mich so Sachen, da denke ich, ach, muss das so sein? Aber vielleicht denke ich zwei, drei Tage später: Ach so, aha, so ist das gemeint, okay, wunderbar. Und ich finde, diese Freiheit muss es in der Musik geben. Wenn ich überhaupt ein Feind von irgend etwas bin, dann bin ich ein Feind von Dogmen. Ich hasse Dogmen. Zu behaupten „das muss so oder so sein und etwas anderes gibt es nicht“, das ist völliger Quatsch. Es gibt so viele Möglichkeiten in der Musik, warum m u s s es dann so oder so sein?! Ich respektiere Leute wie Ornette Coleman. Seine Musik war in den späten fünfziger Jahren völlig revolutionär. Damals hat das fast keiner verstanden. Und im Nachhinein fühlt man oder weiß man, was da abging bei ihm. Und er hat sehr, sehr viele Musiker positiv beeinflusst. Aber um so etwas durchzuhalten, braucht man unglaublich viel Energie und Willen.

Jazzzeitung: Zusammengefasst: Sie haben also keine Angst um die Zukunft des Jazz?

JW: Doch, ich habe Angst, aber nicht nur um den Jazz, sondern um die Kultur insgesamt. Ich habe Befürchtungen, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem wir mit Informationen nur so bombardiert werden, durch Internet, durch TV, durch CDs etc. Wir werden immer tauber. Wir haben eine Hornhaut in den Ohren bekommen. Unsere Sensibilität wird immer geringer. Ein banales Beispiel: MTV, was dort musikalisch läuft, ist völliger Quatsch. Das ist wirklich nur bumtschi, bumtschi, bum… Aber dieses untere musikalische Niveau wird langsam zur Norm, Und manche Leute halten das sogar für genial! Entschuldigung! Bach war ein Genie. Beethoven, Mozart, Bartok - das waren Genies. Charlie Parker war ein Genie. Aber was dieser und ähnliche Sender bringen, das ist nur so hoch gepumpt für unsere jungen Leute, die werden bombardiert mit Lärm, die haben keine Ahnung von Bach. Die meiste Musik, die im Fernsehen und anderen Medien läuft, ist wie Popcorn. Und davor habe ich Angst, dass wenn die Geduld für die Musik, die Kunst, die Literatur nicht mehr aufgebracht wird – das ist auch ein wichtiges Argument, das nicht vergessen werden darf – wenn man ein Stück von Ibsen liest, das geht nicht wie selbstverständlich, man muss sich erst fragen, was ist damit gemeint, dafür braucht man Zeit, dafür muss man erst mal Ruhe finden, und in unserer Gesellschaft ist es verdammt schwer, Ruhe zu finden.

Jazzzeitung: Eine ganz persönliche Frage: Warum haben Ihnen Ihre Eltern den middle name Haydn gegeben? Haben sie erwartet oder gehofft, dass Sie eine Karriere als klassischer Musiker machen?

JW: (lacht) Das ist bis heute ein unbeschriebenes Blatt. Ich weiß es nicht. Eine Version ist, dass irgendwo in der Familie jemand diesen Namen trug, vielleicht bin ich irgendwie verwandt mit dem guten Papa Haydn. Eine andere Version ist, dass ein enger Freund der Familie Haydn hieß, also Heedn, wie wir Amerikaner es aussprechen. I don’t know. Aber der Name Jiggs, der stammt aus einem damals populären Comicstrip. Ich heiße eigentlich Oliver Haydn Whigham III. Gut, wenn man in England, in Essex mit einem solchen Namen aufwächst, ist es in Ordnung, aber in Cleveland, Ohio…! Und mein Großvater fand, dass ich so aussah wie dieser Jiggs, die Figur in diesem Comicstrip, und da hat er mir diesen Nickname gegeben.

Jazzzeitung: Und mit ihm sind auch bekannt und berühmt geworden, Aber lassen Sie uns am Schluss doch noch einen Sprung von Haydn machen zur Frage: Welche Beziehung haben Sie – ein paar Namen haben Sie schon erwähnt – zur klassischen und auch zur Neuen Musik?

JW: Ich bin ein großer Fan so genannter klassischer Musik. Ich höre in meiner – knappen - Freizeit meistens klassische Musik. Ich habe verschiedene Phasen gehabt, eine ganz starke Brahms-Phase, eine ganz starke Beethoven-Phase. Und vor zwei Jahren habe ich Bach für mich wieder entdeckt, habe die Goldberg-Variationen wieder intensiv gehört. Und „Das Wohltemperierte Klavier“ – das ist doch Wahnsinn, das ist nicht normal, das ist nicht von dieser Erde. Bei der Neuen Musik suche ich noch, bei mir dauert es ein bisschen. Ich lehne da nichts ab. Manchmal wirkt sie auf mich etwas zu konstruiert. Ich warte ab, vielleicht habe ich eine Komposition beim ersten oder zweiten Hören noch nicht verstanden. Man kennt das von Strawinsky und Bartok und anderen Komponisten Anfang des 20. Jahrhunderts, die waren zu ihrer Zeit totale Outsider, aber mittlerweile sind sie Klassiker. Ich bin sehr für Experimente, und ich finde, es ist wichtig, dass es sie gibt, und dass sie unterstützt werden. Gäbe es keine Experimente, gäbe es keinen Fortschritt. Sie haben vorhin nach der Zukunft des Jazz gefragt. Auch für den Jazz gilt: Zukunft wird nur gewährleistet durch Leute, die Experimente machen, die versuchen, etwas Neues zu bringen, was total Verrücktes. Warum nicht? Und diese Phantasie, die muss gewährleistet sein.

Weitere Informationen und Hinweise auf CDs: www.jiggswhigham.com; Martin Kunzler: Jazz-Lexikon, rororo 2002, S. 1472 f

Aktuelle Veröffentlichung:
Kember, John: „Jiggs Whighams: Jazz Trombone – Concepts, Ideas and Examples“ Ausgabe mit CD – englisch, Schott Music ED 12710, Euro 24,95

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