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Jazzkonzerte haben es dieser Tage nicht leicht. Obwohl Parallelen zwischen Jazzclub und Arena oftmals bei genauerem Hinsehen offensichtlich werden: Schweiß, Applaus, Leidenschaft, Freude und Bier (beim Jazz oftmals auch Wein). Während Wettkämpfe auf dem Rasen jedoch – Ausnahmen bestätigen auch hier wieder einmal die Regel – erst zum Ende des Spiels entschieden sind und daher per definitionem auch bis dahin spannend bleiben, neigen Jazzfans beizeiten dazu, diese Regel vollkommen abzuändern und auf Konzerte zu übertragen. Unabhängig davon, dass weder die Musiker untereinander noch die Band gegen das Publikum in einen Wettkampf treten, denken immer wieder vornehmlich Herren mittleren Alters, es wäre angebracht, Musiker nach einem virtuosen Lauf anzufeuern („Jaaaaaa!“) und sich anschließend allen Umsitzenden ob des eigenen Fachwissens mitzuteilen („Also Wahnsinn, ich meine, ich habe ja schon viel gesehen, aber dieser XY ist wirklich ein Ass!“). Woher kommt dieses Verhalten? Zum einen ist es zurückzuführen auf die grundsätzliche Bewunderung, die wir Menschen Virtuosen entgegenbringen, weil sie das beherrschen, wozu wir in der Regel nicht imstande sind, entweder gar nicht oder nur dilettantisch (eben das Gegenteil von virtuos) – was allerdings in der Selbstwahrnehmung aufs selbe hinauskommt. Zum anderen hat es jedoch auch damit zu tun, dass wir unser Wissen über das Geschehen auf der Bühne auch gerne als Beweis unserer Fachkompetenz (nur um das klarzustellen: Die Fachkompetenz von uns Musikjournalisten zeigt sich durchweg in einem ausdrucksarmen bis ausdruckslos-arroganten Blick mit einem Anflug wohlwollenden Lächelns nach geglückten Soli). Nun bleibt jedoch die Frage, ob sich die Leistung einer Band sowie die Qualität eines Konzerts an der Virtuosität seiner Akteure messen lässt. Instinktiv wird selbstredend jeder Befragte empört verneinen, die Gespräche nach einem Konzert oder bereits in der Pause sprechen eine völlig andere Sprache – so tönte es jüngst nach einem Konzert des schweizerischen Drummers Jojo Mayer aus jeder Ecke „Also, so was hat man ja noch nie gehört“ (interessant, wie unbedacht das Wörtchen „man“ hier genutzt wird), „Der spielt ja unglaubliche Sachen!“ oder – ein bayerischer Klassiker – ein dreifaches „Wahnsinn, also, Wahnsinn, na, echt, Wahnsinn…!“. Eine Reaktion wie aus dem Lexikon, als hätte man vorher den Eintrag in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia gelesen: „Musik wird zumeist als virtuos bezeichnet, wenn sie den Künstler vor beeindruckend schwierige ,handwerkliche‘ Aufgaben stellt, zum Beispiel außergewöhnlich viele Noten in kurzer Zeit oder gleichzeitig zu spielen…“ Geblendet von der zweifelsohne einzigartigen und im wahrsten Sinne des Wortes virtuosen Spielweise von Jojo Mayer scheint so das Gros der Zuschauer zu übersehen, was die eigentliche Leistung einer solchen Band wie eben „Nerve“, die an diesem Abend im Leeren Beutel spielten, ist: Die grenzüberschreitende Kommunikation, die beispielsweise der durchweg aktiv-treibende Mayer und der eher stoisch in sich ruhende Takuya Nakamura an Elektronik und Trompete betreiben und die damit in einem vollkommen wettkampffernen Duell zwischen den beiden gipfelt. Vielleicht ist es aber auch einfach umgekehrt und es ist die faszinierte Begeisterung der Zuschauer über die spielerischen Leistungen, die die tiefe Verneigung vor der hohen emotionalen und kommunikativen Leistung der Musiker überlagert. Denn ähnlich dem Fußball wissen wir alle tief drinnen, dass es vielleicht „nur ein’ Jojo Mayer“ gibt, der aber vor allem im Team aufblüht. Und dass die hohe Kunst des Jazz darin liegt, Authentizität zu wahren und trotzdem Neues zu wagen. Und im Gegensatz zum Fußball, in dem das Spiel 90 Minuten, die WM 4 Wochen und die Bundesligasaison 9 Monate dauert, geht das Spiel mit dem Jazz zwar manchmal nur 40 Minuten, manchmal 3 Stunden und im Endeffekt ewig. Weshalb auch nie einer gewinnen wird. Sebastian Klug |
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