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Wenn ein Song etwas taugt, wird er gecovert. Nicht nur einmal, sondern hundert- oder gar tausendfach. Querbeet durch alle Genres und Stile. So entstehen nicht nur stilistische Übersetzungen – vom Broadway in den Jazz, vom Jazz in den Pop oder vom Instrumental zur gesungenen Version (und umgekehrt!), sondern Song-Biografien, die sich besser als jede Musikgeschichte lesen lassen. Die „One-Song-Compilations“ von Trocadero Music und Roof Records versuchen diese Song-Geschichten nachzuzeichnen. In der Kombination klassischer Aufnahmen mit – zu Recht oder Unrecht - obskuren und in Vergessenheit geratenen Interpretationen entsteht so etwas wie die „Soziologie“ eines Songs. Explizit geht es dabei nicht nur um die vermeintlich besten Aufnahmen, sondern um die ganze Bandbreite an Interpretationen. So finden gerade auch unbekannte, bizarre und zum Teil trashige Aufnahmen – etwa aus dem Bereich des „Easy Listening“ – ihren Weg auf diese Song-Sampler, die wie ein gut gemischtes und gut durchhörbares Set für ein breiteres Publikum und nicht wie eine chronologisch angeordnete Experten-Zusammenstellung klingen möchten. Nach dem großen Erfolg von „Sunny“ Part 1 und Part 2 liegen in dieser Reihe mittlerweile vier weitere CDs vor. Bei keiner werden Grenzen und Möglichkeiten der „One-Song-Compilations“ so deutlich wie bei dem „Summertime“-Sampler. Das liegt zum einen an der unüberblickbaren Zahl an Versionen, die es von dem George Gershwin/Du Bose Heyward-Klassiker gibt: Wie sollen die 17 Versionen dieser CD den schätzungsweise 2.600 Aufnahmen, die es von George Gershwins berühmtesten Song gibt, auch nur annähernd gerecht werden? Weil Rüdiger Ladwig dies trotzdem versucht hat – und sich dabei zum Teil wacker geschlagen hat – sind Standard-Interpretationen von „Summertime“ aus dem Jazz eher unterrepräsentiert. Umgekehrt ist die erstaunliche Erfolgsgeschichte dieses Songs im Rock, Pop und Soul eher überdokumentiert. So kommt es, dass mit Versionen von Billie Holiday, Sidney Bechet, Miles Davis/Gil Evans und Herbie Hancock/Joni Mitchell zwar die wichtigsten Versionen – jene, die „Summertime“ aus dem Korsett eines steifen und artifiziell-leblosen Broadway-Gesangs befreiten und zum Leben erweckten – vertreten sind, sich aber sonst gewaltige Lücken auftun, die nur eine weitere Compilation schließen könnte. Es ist zwar nett, dass an Coco Schumanns stimmungsvolle Version von 1952 gedacht wurde, wo aber bitte bleibt die bis heute fantastische Duo-Aufnahme von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong? Dies wiegt um so schwerer, wenn gleichzeitig Easy-Listening-Trash wie das John Schroeder Orchestra vertreten ist. Gewiss: Der erfolgreiche Versuch, „Summertime“ in eine akustische Hintergrundtapete zu verwandeln, gehört zur Interpretationsgeschichte eines Songs, den viele wegen seiner Allgegenwart schon gar nicht mehr hören können. Aber wer dafür oder für relativ unbedarfte „Summertime“-Versionen von Jackie Ross, Rosinha de Valencia oder „One G Plus Three“ auf Ella und Louis verzichtet, setzt falsche Prioritäten. Ansonsten geht die Auswahl in Ordnung: Billy Stewarts von Wortwiederholungen und einem schluckaufartigen Gesangsstil geprägte Soul-Version von 1966 markiert den Punkt, ab dem sich auch Rock und Pop für das Wiegen- und Trauerlied aus „Porgy and Bess“ interessierten. Janis Joplins Urschreiversion und Al Greens Southern-Soul-Fassung dürften den wenigsten Hörern neu sein, gehören aber zum vollständigen „Summertime“-Bild. Richtig überraschen dürfte den, der’s noch nicht kennt, die jazzige Doo-Wop-Version von Jimmy Ricks and the Ravens: Ihr „Summertime“ aus dem Jahr 1949 kann sich dank Ricks‘ mächtigem Bass mit jeder anderen Version messen. Für Pop-Interpretationen legten die „Walker Brothers“ die Messlatte auf: Deren croon-affiner Lead-Sänger Scott Walker klang auch über „Summertime“ wie ein in der Hölle schmachtender Engel. Ein ähnliches Bild bietet die „Fever“-Compilation. Auch hier fehlt die definitive Interpretation, die jeder kennt oder kennen sollte: Peggy Lees Hit-Version aus dem Jahr 1958, wobei der Ausdruck „Version“ eigentlich falsch ist. Die Sängerin hatte die ursprünglichen Lyrics so stark verändert und den Song auf Fingerschnippen, Bass, Bongos und Gesang reduziert, dass eigentlich von einer Bearbeitung die Rede sein müsste. Mit der ursprünglichen und nicht weniger fesselnden Version von „Fever“ hatte zwei Jahre zuvor ein erst 17-jähriger Sänger Erfolg, der als einer der Geburtshelfer des Soul gilt und Vorbild von Sängern wie Sam Cooke, Jackie Wilson und Al Green war: Little Milton (1939–68). Während Peggy Lee „Fever“ zum Torch-Song im Negligée uminterpretierte und mit einer Mischung aus Nähe und Distanz, Kälte und Hitze neue Maßstäbe für Pop-Erotik setzte, kam „Fever“ in der zu Unrecht vergessenen Version von Little Milton als purer Soul daher. Bei Peggy Lee war „Fever“ das musikalische Pendant zu Vanilleeies auf Himbeeren. Bei Little Milton und seiner heißen R&B-Mischung wäre das Eis sofort weggeschmolzen. Beide Versionen legten im wesentlichen fest, dass man „Fever“ in Zukunft entweder im raffinierten Swing-Gewand (Buddy Greco oder Sarah Vaughan) bekam oder sich als Soul-Nummer („Manhattans“, Veda Brown, Patti Drew etc.) holte. Auch Übersetzungen blieben nicht aus. Die französische Fassung stammt von keinem Geringeren als Boris Vian, gesungen wurde „Fièvre“ von Caterina Valente. „Niemand weiß, wie ich dich liebe/Ich habe Fieber“ hieß es 1959 mit Cindy Ellis. Jeder kennt „Fever„, kaum jemand jedoch den schwarzen Amerikaner, von dem der Song stammt. Für Otis Blackwell (1931–2002), der „Fever“ unter dem Pseudonym John Davenport schrieb, war Little Miltons Version der Start in eine erfolgreiche Karriere als Songwriter, ohne den der Rock ’n‘ Roll der 50er- und 60er ganz anders geklungen hätte. Der Mann, der vor allem Elvis Presley mit Hits versorgte und der mit seinen Demoversionen angeblich auch den Gesangsstil des King of Rock ’n‘ Roll prägte, schrieb Zeit seines Lebens rund 1.000 Songs. Zusammen genommen sollen sich alle Otis Blackwell-Hits rund 185 Millionen Mal verkauft haben. An der geringen Bekanntheit von Blackwell änderte dies nichts. Er schrieb zwar die Songs, aber berühmt und reich wurden damit Leute wie Elvis Presley oder Dee Clark. Daran änderte sich auch nichts, als Blackwell 1976 ein Album mit „seinen“ Songs aufnahm. Seine – leider nicht sehr berauschende - Fassung ist als Akt historischer Gerechtigkeit vertreten, die von Elvis Presley nicht. Sollte es irgendwann mal eine Fortsetzung der „Fever„-Compilation geben, würde man gerne auch Shirley Horn (und die Disco-Fassung des Vibraphonisten und Sängers Roy Ayers hören. Bei „Light My Fire“, dem „Doors“-Hit von 1967, überrascht, wie viele Big-Band- und gute Soul-Fassungen es von dem Song gibt, den alle mit Jim Morrison oder José Feliciano verbinden, der tatsächlich jedoch vom „Doors“-Gitarristen Robbie Krieger stammt. Auch hier schlug persiflierend und selbst-persiflierend das Easy-Listening zu. Eine deutsche Fassung nahm Horst Jankowski 1970 für MPS auf. Dass keine Interpretation an die Originalversion heranreicht oder diese bemerkenswert uminterpretiert hätte, gilt noch stärker für „Take Five“. Der dazugehörige Sampler belegt Hans-Jürgen Schaals Feststellung, dass Paul Desmonds „Take Five“ (entstanden in kreativer Zusammenarbeit mit Schlagzeuger Joe Morello und Dave Brubeck) eigentlich gar kein richtiger Jazzstandard sei. Gewiss: Das Instrumental-Stück im 5/4-Takt war mit 1 Million verkaufter Exemplare der erste Welthit des Jazz. Aber keine einzige Version kommt auch nur annähernd an die Originalaufnahme durch das Dave Brubeck-Quartett von 1959 heran oder deutet sie so um, dass sie nach wesentlich mehr als bloßem Nachäffen klingt. Letztlich war es vor allem Paul Desmonds unnachahmlich relaxtes, cooles und flüssiges Saxophonspiel, das „Take Five“ zum Erlebnis werden ließ. Von den elf anderen Fassungen klingen die der Sängerin Carmen McRae, George Bensons und Helge Schneiders (!) noch am besten. Paul Desmond (1924-77) muss geahnt haben, dass sich „Take Five“ ohne ihn möglicherweise zum nervigen Gassenhauer entwickelt: Seit seinem Tod gehen die „Take Five“-Tantiemen direkt an das Rote Kreuz. Claus Lochbihler
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