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Moderne Technik bringt zusammen, was sonst durch die Geografie getrennt wäre: Die letzten Proben vorm Moerser Auftritt der Gruppe Liquid Soul leitete Mars Williams per Konferenzschaltung direkt vom Chicagoer Krankenbett aus, denn dort hatte der US-Bandleader soeben einen Autoufall erlitten. (Wir wissen, dass auch Miles Davis per Sprechanlage die Proben seines Quintetts zuweilen aus dem Verborgenen kontrollierte.)
Und es waren zu Pfingsten am Niederrhein genug Musiker versammelt, um für den ausgefallenen Bandleader einzuspringen. Spontan stiegen der Kölner Saxophonist Frank Gratkowski und der US-Trompeter Hugh Ragin mit ein – die heiße Nacht konnte losgehen, nicht nur mit sprühendem Funkjazz dieser gleichsam populären wie ambitionierten Formation im amerikanischen Jazz unserer Tage. Später kam der zum Glück nur leicht verletzte Mars Williams doch noch nach Moers. Der Verband am Arm tat seinem feurigen Sax-Spiel kaum Abbruch. Dass hier zumeist das Beste gegeben wird, honorieren die Besucherzahlen, die mit 26.000 Tickets in diesem Jahr ein neues Rekordniveau erreichten. Nicht zuletzt der konzeptionellen Selbstbestimmtheit der erfahrenen künstlerischen Festival-Leitung war es zu verdanken, dass alles geschmeidig in der intensiven Stimmung zwischen Musikern und Publikum aufleben konnte, denn das macht die inspirierende Moerser Atmosphäre aus - mit viel großartiger Musik als verlässlichem Transmissionsriemen. Neugierig gewesen war vor allem das sehr junge Publikum auf den musikalischen Komödianten Helge Schneider, der jedoch nicht so viel Neues bot, als er in bekannter, kleinkünstlerischer Manier so manche musikalischen Geste durch den Kakao zog. Die David Murray Bigband taugte mit ihrer gepflegten Mischung aus kubanischen Bläsersätzen und abgeklärten Duke Ellington-Anklängen vorzugsweise fürs gehobene Ambiente zum Zeltaufbauen, Freunde begrüßen, ein erstes kühles Bier trinken und ähnliches. Doch dann wurde es spannend und blieb es auch. Thema Frankreich: Die Großformation Le Sacre de Tympan evozierte regelrechte Hör-Filme und das nicht ohne latenten Unterwelt-Appeal! Die junge Band Collectiv Slang repräsentierte mit ihren harschen, extrem virtuosen Improvisationen die französische Schule unserer Tage und nutzen dabei so manchen Louis-Sclavis-Einfluss allenfalls als Sprungbrett für Vorstöße in neue, sehr futuristische Gefilde. Puristischer und kammermusikalischer präsentierte sich Nils Wograms aktuelle, international besetzte Band – lustvoll arbeitete man sich zu viert an Eigenkompositionen mit prickelnder rhythmischer Finesse und starker melodischer Ausstrahlung ab. Zeitlose Tugenden des modernen Jazz katapultierte Hugh Ragins eigenes „Revelations-Trio“ machtvoll ins Hier und Jetzt. Ähnlich wie einst bei Tony Williams knisterte die auf ständigem Höchst-Level, wie Ragins Schlagzeuger Hamid Drake seine Rhythmusimpulse um die melodischen Linien der Trompete platzierte und den Groove des Bassisten durch ein vibrierendes, schier unerschöpfliches Ideenfeuerwerk verdichtete – das überragte locker mal eben alles, was sonst in Moers noch an Drums und Percussions zu hören war, was hier einiges heißt, denn an exzellenter Rhythmusarbeit waren viele Konzerte wirklich nicht arm. Fred Frith war nach Moers zurück gekehrt und mit ihm kam die gehörlose Perkussionistin Evelyn Glennie, die alles was sie spielt, kaum hört, aber um so mehr fühlt – zusammen kreiierten beide eine großartige Dramaturgie aus rhythmischen Gesten und berührenden Klanglandschaften. Thema Skandinavien, respektive starke Frauen (-stimmen), die von dort kommen und eine von ihnen ist Kristin Asbjörnsen. Das stimmliche Vermögen und die Ausstrahlung der 33jährigen Norwegerin nahmen nun schon zum zweiten Mal in Moers regelrecht gefangen – wenn auch sich ihre ganze charismatische Energie nur punktuell entfalten konnte in Ketil Björnstadts etwas langatmiger, über weite Strecken von pseudo-besinnlichen Lyrismen durchzogene Komposition – richtig gut war es hier nur, wenn der Gestus expressiv und heftig wurde, Kristins Stimme liebt es nämlich gerne rauh und rockig. Und dann präsentiert das Festival abermals den exzentrischen Sänger David Thomas. Er zelebrierte mit seiner bohrenden Stimme und einem musikalischen Gestus, der sich in Moers meist in düsteren Ostinati vorwärtswälzte, einen Endzeit-Blues, vor dem es wirklich kein Entrinnen gab. Stefan Pieper |
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