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Der Kongress-Saal des Deutschen Museums in München, er fasst etwa 2.000 Personen, hat sich gefüllt. Die Band hat auf der Bühne Platz genommen, der Begrüßungsapplaus ist verrauscht, die Saalbeleuchtung verlöscht langsam. Erwartungsvolles Raunen füllt den Saal, plötzlich Bewegung links auf der Bühne. Ein Spot fängt den Bandleader ein: Applaus! Count Basie schreitet zum Flügel. Vor der Tastatur stehend blickt er nochmals lächelnd ins Publikum und wendet sich dann der Band zu. Während er sich setzt, kippt sein angewinkelter rechter Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Tastatur. Bei seinem Aufschlag setzt sich das Orchester wie ein Mann in Bewegung.
So erlebte ich Anfang der 60er-Jahre meine erste Live-Begegnung mit „Count Basie & His Orchestra”. Neugierig hatten mich die Platten „(The Atomic Mr.) Basie”, „Basie Plays Hefti” und „Sing Along With Basie” – letztere zusammen mit dem Lambert, Hendricks und Ross Trio - gemacht, die in den Jahren 1957/58 erschienen waren. Sie zeigten eine Basie-Band mit geradezu unglaublich perfekter Balance in allen musikalischen Parametern. Besonders der Saxophonsatz erreichte einen ästhetischen Reifegrad, der uns beinahe einen Verlust an ‚dirty’ Spielweise beklagen ließ. Live mit der auf der Bühne agierenden Band konfrontiert, erschienen solche „theoretischen“ Bedenken nur noch lächerlich. Mit brennendem Engagement schlug das Orchester sein Publikum in den Bann, souverän und unauffällig geleitet von seinem Bandleader, der alle zusammen in eine andere Welt katapultierte. Ursprünglich wollte William Basie einmal Schlagzeuger werden, doch dann lockte das Klavier. Seine Bühnenlaufbahn begann er als Klavierspieler bei „Katie Crippen And Her Kiddies“, vermittelt durch Fats Waller, von dem er auch persönlich Tipps zum Spiel der Kirchenorgel bekommen hatte, er begleitete Bluessängerinnen und übernahm den Klavierstuhl bei „Gonzella White & Her Big Jazz Jamboree“. Die Tourneen über Land mit Crippen und White führten ihn auch nach Kansas City. Im dortigen „Eblon Theatre“ verdingte er sich als Stummfilmbegleiter. 1928 ergaben sich erste Kontakte zu den angesehenen „Walter Page’s Blue Devils“, eine Einladung, als reguläres Bandmitglied mitzuwirken, nahm er nicht an, wurde stattdessen zweiter Pianist in „Bennie Moten’s Kansas City Orchestra“, mit dem er 1929 seine ersten Aufnahmen machte. Der hier fast im Stenogramm notierte Werdegang war von vielen Eventualitäten abhängig, könnte im Nachhinein aber fast ein überlegt ausgearbeiteter Lehrplan für die praxisnahe Ausbildung eines Orchestermusikers sein.
Kansas City und Count Basie sind untrennbar miteinander verbunden. Die Stadt war Schmelztiegel für die verschiedensten musikalischen Entwicklungen. Am bedeutendsten in diesem Kontext ist wahrscheinlich die Rolle des Blues im Übergang des stilistischen Wandels zwischen alt (New Orleans) und neu (Swing). „Wenn früher ein New Orleans Jazz Musiker den Blues gespielt hat, hat er mit aller Kraft versucht, dem stilistischen Anspruch und den Gefühlsbewegungen der Blues-Vokalisten auf seinem Instrument zu entsprechen. Er schuf die Worte der Sänger in seinen musikalischen Phrasen neu, versuchte die depressiven Gefühle auszudrücken, sein Solo bekam dadurch einen Zug von Melancholie. Mit dem neuen Stil der Kansas-City-Musiker wird all dies weggefegt“ (Raymond Horricks in „Count Basie and His Orchestra“). Die Struktur des Blues, das heißt Taktzahl und Harmonik, wird als Hilfsmittel, als Organisationsmittel unabhängig von den zu transportierenden Gefühlsaussagen genutzt. Basie sollte der erfolgreichste Botschafter dieser neuen Stilistik werden. Aus diesem Wandel resultierte auch der vermehrte Einsatz der Riff-Technik, bei der kleine Phrasen im Wiederholungsverfahren zur Themengestaltung, Untermalung oder auch Spannungssteigerung eingesetzt werden. Praktische Auswirkung war unter anderem eine Vereinfachung des für Improvisationen angebotenen Materials, was wiederum die Durchführung der legendären Jam Sessions begünstigte, bei denen es ja um die gemeinsame Improvisationsgestaltung ohne vorherige Proben ging. Gerade in den 30er-Jahren waren in Kansas City viele Musiker zu Hause, deren Namen uns auch heute noch vertraut sind – die Stadt und ihre lebendige Szene zog aber auch viele Künstler von außen an. Zu den bekannten Namen dieser Zeit zählen unter vielen anderen Jay McShann, Charlie Parker, Lester Young und natürlich Count Basie, der bei der Besetzung seiner Bands aus dem Vollen schöpfen konnte. Der spielte 1935 in Bennie Motens Band. Als der Bandleader im April starb, übernahm sein Bruder Buster die Band, war aber nicht in der Lage, die Musiker auf Dauer zu halten. Basie gründete seine erste eigene Band – in die er einen Teil der Musiker integrierte. Er war damals schon zweifelsohne ein exzellenter, vorwiegend dem Blues- und Boogieklavier verhafteter Pianist. Seine Vorbilder James P. Johnson (Ragtime) und Fats Waller (stride piano) blieben als Wurzeln seines Spiels zeitlebens deutlich hörbar, sei es in den zahlreichen Solobeiträgen in Orchesterstücken oder auch in kleinen Besetzungen. Bei den in den 70er-Jahren für Pablo (Norman Granz) entstanden Platten kam es zu einem Zusammentreffen von Count Basie mit Oscar Peterson - ein ganz besonderer Genuss. Da Basie bei seiner Arbeit als Big-Band-Leader das Klavier sehr sparsam eingesetzt hat, war das Spiel in kleinen Besetzungen, zumal mit einem solchen Partner, eine echte Herausforderung – der er sich aber meisterhaft stellte.
Was aber machte William „Count“ Basie zu einem so erfolgreichen Orchesterchef? Betrachtet man die damalige Entwicklung, könnte man fast glauben, die in Kansas City tätigen Musiker hätten alle dafür gearbeitet, ihre Entwicklungen in die Hände dieses einen Klavierspielers zu legen. Dessen Kapital war ein ungeheurer Sinn für swingenden Rhythmus, für rhythmische Intensität, die er mit unnachahmlicher Kraft umsetzte. Von einem unbeugsamen Willen beseelt, schaffte er sich mit seinem Orchester die für seine Musik nötigen Strukturen, und überstand so über den unfassbar langen Zeitraum von fast 50 Jahren die Ochsentour des amerikanischen Musikbetriebs. 1981, drei Jahre vor seinem Tod, gastierte „Count Basie & His Orchestra“ in der New Yorker Carnegie Hall. Das Konzert wurde aufgezeichnet und ist heute in ausgezeichneter Qualität auf DVD verfügbar. Dem Konzert vorangestellt ist ein liebevoll gestalteter „Tribute to Count Basie“. Jon Hendricks, selbst Vollblutmusiker, führt Gespräche über Count Basie mit dessen lebenslangem Mentor John Hammond sowie den Gaststars Tony Bennett, Sarah Vaughan, George Benson und Basies langjährigem Bandsänger Joe Williams. Ergänzt wird diese Einführung durch einige alte Filmausschnitte. Unmerklich vergehen so fast fünfundzwanzig Minuten - plötzlich im Bild: Count Basie am Klavier, Bass und Schlagzeug kommen dazu, dann setzen die Bläser mit dem Thema „Sweet Georgia Brown“ ein. Ja, der „Count“ ist älter geworden, gesundheitlich hat er Schwierigkeiten - in der Musik ist davon nichts zu spüren. Berühmt für seinen Umgang mit der Zeit, sein „Timing“, faszinierend mit seiner Sensibilität für piano und forte, bestrickend mit seinem Humor verkündenden Lächeln steuert er sein Schiff durch die Fluten. Das Zwiegespräch mit seinem Bassisten Eaton Cleveland in „Booty’s Blues“ ist ein Kabinettstück an filigraner Zauberei. Die Musiker, jeder für sich ein Spitzensolist, fühlen sich offensichtlich wohl und sind in traumhaftem Einverständnis mit ihm. Die Entwicklungen des musikalischen Geschehens zeichnen sich in häufig kaum sichtbaren, winzigen Gesten ab. Es ist ganz klar, wo die Fäden zusammenlaufen, wer der Boss ist, aber auch wo die Seele dieses Orchesters sitzt. Beglückend die menschliche Wärme, die das ganze Geschehen trägt und im Zusammentreffen mit Gästen und Publikum 20 Jahre nach dem Konzert in München Erinnerungen an die euphorische Stimmung dort weckt. In unserer Arbeit im Bayerischen Jazzinstitut begegnet Count Basie uns in Wort, Bild und Klang immer wieder. Er hat ein Lebenswerk von enormer Dimension hinterlassen – trotzdem wird er von der Fachliteratur fast stiefmütterlich behandelt. Daher haben wir uns entschlossen, ein fortlaufendes Basie-Projekt zu etablieren, in dem wir Online Bücher-, Film- und Plattenhinweise geben. Erste Ergebnisse sind ab Anfang August unter www.bayernjazz.de abrufbar. Richard Wiedamann |
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