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Zwölf Jahre liegen zwischen zwei Scheiben, mit denen das Vokalensemble Singer Pur (SP) den Anspruch, musikalisch über Genre- und stilistische Grenzen hinweg aktiv zu sein, auf die Jazzszene ausgedehnt hat. Dazwischen finden sich zahlreiche Aufnahmen mit Volks- und Barockliedern, Alter Musik, klassischer und zeitgenössischer Vokalmusik, geistlichen und weltlichen Liedern – gelegentlich auch Songs wie „Misty“, Neil Heftis „Lil’ Darlin’“ oder die schöne Ballade „Round Midnight“. Einige ausgezeichnet: Zuletzt erhielt die Gesamteinspielung der weltlichen Werke von Jacobus Gallus (1550–1591) den „Choc 2002“ des Fachmagazin „Le monde de la musique“ als bemerkenswerteste Produktion auf dem Sektor der Alten Musik im Jahre 2002. Genau genommen ist sogar die allererste Maxi-CD, noch in Urbesetzung mit fünf ehemaligen Regensburger Domspatzen ohne Sängerin, ein Jazzalbum. Arrangiert hat die drei Standards der Regensburger Pianist, Komponist und Bandleader Hans Huber, der bis heute mehrere Dutzend Arrangements für das Vokalsextett geschrieben hat. „Ahi Vita“ des Ulmer Musikers Michael Riessler, im Frühjahr 2003 für ACT eingespielt, ist die erste reine Jazzproduktion nach dem fetzigen Bigbandmitschnitt „Live im Baltikum“ 1992 mit dem Bundes-Jugendjazzorchester unter Leitung Peter Herbolzheimers. An der ungewohnten Reibung mittelalterlicher Madrigale und davon inspirierter zeitgenössischer Kompositionen und freier Improvisation hat der französische Cellist Vincent Courtois mitgewirkt. „Unglaublich, ein Genie in der Improvisation“, schwärmen Klaus Wenk und Marcus Schmidl einmütig über den virtuosen Musiker, wenn sie von den Aufnahmen in der österreichischen Propstei St. Gerold erzählen. Im Innenteil des CD-Hardcovers weist ein einziges Wort, „Lamenti…“ auf die Stimmung hin, von der sich Riessler bei der Auswahl von Madrigale von Monteverdi, Gesualdo, Striggio und Phinot hat leiten lassen und als emotional-spirituelle Grundlage für eigene Stücke nutzt. Die Chancen SPs auf einen weiteren Preis stehen nicht schlecht, sind doch Produktionen der Münchner ACT-Schmiede beinahe schon abonniert auf einen der begehrten Schallplattenpreise der Deutschen Phonoakademie. So groß die Bewunderung für Courtois und Riessler, sehen Schmidl und Wenk die Bedeutung von SP im Jazz durchaus selbstkritisch. „Improvisation kommt bei uns leider zu kurz“, räumt Schmidl mit sonorer Stimme ein. „Es wäre ein anderer Ansatz des Musizierens. Das haben wir nicht gelernt und ich kenne auch niemand, der das richtig macht. Bei dem was wir singen, ist fast alles notiert, vor allem bei zeitgenössischen Kompositionen.“ „(John) Cage und (Sylvano) Bussotti“, ergänzt Wenk, „gehen am deutlichsten in die Richtung“ von Improvisation. Neben seiner Funktion als Sänger nimmt Wenk in dem Ensemble die Rolle des Musikhistorikers und -wissenschaftlers ein, gräbt Vergessenes aus, schreibt Einführungen und dokumentiert. Für Schmidl, zusammen mit Tenor Markus Zapp bildet er den Rest der Gründungsbesetzung von 1991, ist die Zusammenarbeit mit Michael Riessler auch ein persönlicher Höhepunkt. „Das ist wie ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist“. Vor mehr als zehn Jahren hatte er den vorzüglichen Musiker, er spielt Klarinetten und Saxofon, und schöpferischen Freigeist bei einem Konzert erstmals erlebt und war fasziniert von der Komplexität und Tiefgründigkeit von Riesslers Musik. Die Bewunderung für den Komponisten, der sich zwischen zeitgenössischer E-Musik, Jazz und alter Musik als Bezugspunkte für eigenes kreatives Schaffen bewegt, hält bis heute an. Sie schwingt wie ein Echo in seiner Stimme mit, wenn der gebürtige Regensburger davon erzählt. Zu den herausragenden Episoden eines insgesamt ereignisreichen Jahres 2003 gehören eine weitere CD-Produktion mit dem Münchner E-Gitarren-Quintett „Go Guitar“, eine Nahost-Tournee unmittelbar nach Kriegsende im Irak, der Wechsel zweier Mitglieder und ein neuer Plattenvertrag. Nach einer längeren Zusammenarbeit machte sich im Ensemble Unzufriedenheit über das Freiburger Label Ars Musici breit. Künftig trägt die neu gegründete Plattenfirma OehmsClassics Sorge, dass alle musikalischen Facetten SPs auf Tonträger erhältlich sind. In diesem Jahr sind es zwei neue Produktionen, die auf den Markt kommen. Bei deren Aufnahmen haben die beiden Neuen Manuel Warwitz und Reiner Schneider-Waterberg teilweise bereits mitgewirkt. Sie haben Bariton Guido Heidloff und den quirligen Andreas Hirtreiter ersetzt. Der Preis für die Vielseitigkeit, das Überschreiten von Stil- und Genregrenzen ist manchmal hoch, verrät Wenk. „Manche Veranstalter schauen uns komisch an. Man sieht förmlich bei ihnen ablaufen ,Die singen ja auch Jazz‘”. „In der Alten-Musik-Szene”, ergänzt Schmidl, „ist es extrem schwierig reinzukommen”. Manchmal ist zu spüren, dass Veranstalter denken, „es könnte gar nicht so authentisch klingen wie bei einem Ensemble, das sich ausschließlich mit alter Musik beschäftigt”. Wenk erkennt aber auch Vorteile im breiten Repertoire. „Der Zuhörer bekommt Alte Musik serviert und wenn er nicht geht, muss er sich auch andere Dinge anhören – zeitgenössische Sachen, Jazz und Romantik.” Schon manchen Zuhörer habe man damit überrascht. „In den Leuten wird etwas aufgebrochen”, freut sich Wenk über solche Erfolge. Die Gruppe ist demokratisch organisiert und kommt ohne Leiter aus. Alles wird gemeinsam entschieden: Die Beschäftigung mit einem Komponisten, Planung einer CD, eine Tournee. Diskussionsprozesse laufen oft über längere Zeit. Denn nicht alle sind sofort überzeugt, die weltlichen Werke des österreichisch-slowenischen Kapellmeisters Jacobus Gallus zu erarbeiten. Oder sich mit „Electric Seraphim” mit den „Go Guitars” aufs Glatteis musikalischer Avantgarde zu wagen. Letztlich aber, ist Schmidl überzeugt, „wird es immer funktionieren, wenn wir Herzblut in die jeweilige Musik investieren. Dann schwingt beim Singen etwas mit, was die Leute begeistern kann!” Michael Scheiner
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