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Die Schrift und der Klang. Die Musik Evan Parkers lässt sich letztlich nur dem beschreiben, der sie schon einmal gehört hat. Die Aufzeichnung – die klangliche ebenso wie die verbale oder graphische – vermag das Phänomen zu verdeutlichen, einholen kann sie es nicht. Evan Parker bekennt sich zur musikalischen Improvisation. Was er spielt, entsteht im Prozess des Musizierens, folgt keiner zuvor fixierten Vorstellung und lässt sich auch nachträglich nicht so notieren, dass es für ihn oder andere reproduzierbar wäre.
Evan Parker, geboren am 5. April 1944 in Bristol, studierte zunächst Botanik in Birmingham. Fasziniert von den damals neuen Ausdrucksmöglichkeiten des Jazz, brach er das Studium ab und schloss sich 1967 in London dem Spontaneous Music Ensemble um den Schlagzeuger John Stevens an. Gemeinsam mit Musikern wie John Stevens, Kenny Wheeler, Paul Rutherford, Trevor Watts und Derek Bailey zählt er zur „ersten Generation des britischen Free Jazz“. Evan Parker hat sein Spiel in einer Vielzahl unterschiedlicher Duo-, Trio- und Gruppenkonstellationen entwickelt. Er zählt zum „Stamm“ großer Kollektive improvisierender Musiker wie dem „Globe Unity Orchestra“ um den Pianisten Alexander von Schlippenbach und dem „London Jazz Compsers Orchestra“ um den Bassisten Barry Guy. Zu den Konstanten im Schaffen des Saxophonisten zählen das Trio mit Barry Guy und dem Schlagzeuger Paul Lytton sowie das mit Alexander von Schlippenbach und dem Perkussionisten Paul Lovens. Zwei über viele Jahre zusammen geschweißte Improvisationskollektive, die sich nicht trotz sondern aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit in immer neue Spielverläufe stürzen. So, wie der Unterschied zwischen den beiden Trios lässt sich auch der Zugewinn von Innovation und Qualität nur annähernd mit Worten beschreiben. Wer die Musik kennt oder kennen lernt, kann ihn hören. Und die Aufregung, das Aufregende besteht in den klanglich-rhythmischen Nuancierungen, im Impetus und im Detail. Komplementär zu den gruppendynamischen Spielsituationen arbeitet Evan Parker im Alleingang, als Solist. Muezzin und Klangforscher, völlig konzentriert auf das Sopransaxophon, diesem nicht nur Töne einer Zwitschermaschine, sondern auch Sounds fast schon „jenseits des Hörbaren“ entlockend, gleichermaßen entrückt und konzentriert, mit Hingabe und Intellekt. Wer sich wie Evan Parker für die Transzendenz der Klänge interessiert (ohne deshalb einer Transzendentalphilosophie oder spirituellen Lehre anzuhängen) gerät - bereits auf rein akustischer Ebene – relativ bald auch in die Nähe der elektronisch produzierten beziehungsweise modifizierten Klänge. Bereits Ende der 60er-Jahre arbeitete er in der Gruppe „Music Improvisation Company“ mit dem Elektronikspezialisten Hugh Davies zusammen, gab es Berührungspunkte zum britischen Ensemble AMM, später entwickelten sich Kontakte zu Frederic Rzewski, Alvin Curran und dem musikalische Forschungen mit Computern anstellenden Posaunisten George Lewis. Mit seinem Album „Process And Reality“ von 1991 dokumentierte Evan Parker erstmals selbst einen kreativen Umgang mit der Studiotechnik. Zwei Musiker, mit denen er häufig spielte – der Geiger Phil Wachsmann und der Perkussionist Paul Lytton – nutzten seit langem, ergänzend zum akustischen Spiel auch die Möglichkeiten von Live-Electronics. Als Evan Parker sein Quartett mit Phil Wachsmann, Paul Lytton und Barry Guy durch die Elektroniker Walter Prati und Marco Vecchi (später auch durch Lawrence Casserley und weitere) ergänzte, entstand das „Electro-Acoustic Ensemble“. In der Überlagerung, Verdichtung, Ergänzung und Entgegensetzung von akustisch gespielter Musik, Live-Electronics, Computertechnologie und Sound Processing kommt es zu seltsam faszinierenden Klangbildern, angesiedelt im Bereich einer „neuen“ Neuen Musik und einer aus dem Jazz herausgewachsenen musikalischen Improvisation. Diese Randexistenz im etablierten Musikbetrieb schwingt als Assoziation mit, liest man den Titel des erstem 1996 mit dem Evan Parker Electro-Acoustic Ensemble eingespielten Albums: „Towards The Margin“. Evan Parker liebt die Mehrdeutigkeit und die produktiven Verunsicherung. Bereits der Name des Ensembles deutet auf ein Vexierbild, ein elektro-akustisches. Die schon in frühen Jahren intendierte Integration des Elektronischen wird durch die technologischen Weiterentwicklungen und die diese nutzenden neuen Musikerpersönlichkeiten vorangetrieben. Weiter beschäftigt sich Evan Parker mit Phänomenen der Ambivalenz. So sprach er einmal von seinem Bemühen, „die verschiedenen Konzepte von Geschwindigkeit in einer hochintegrierten Struktur miteinander so in Beziehung zu bringen, dass schnell und langsam simultan auftreten können, so dass man meine Musik sowohl als schnell als auch als langsam empfinden kann.“ Neben den elektro-akustischen Abenteuern laufen die mit improvisatorischer Leidenschaft betriebenen Langzeitprojekte wie Evan Parkers Trio mit Alexander von Schlippenbach und Paul Lovens. Auch Trio-Begegnungen mit „Spontan-Komponisten“ wie Paul Bley und Barre Phillips, in wundersam interaktivem und dabei geradezu meditativ anmutendem Spiel dokumentiert mit einem Album, das im Kloster Sankt Gerold entstanden ist. Evan Parker schreitet fort in der Erforschung des Klanges – mit einer geradezu naturwissenschaftlich anmutenden Besessenheit und mit einer Ahnung davon, dass sich aus jeder Erforschten des zuvor Unbekannten neue Fragestellungen ergeben. Als ich ihn mit der Befürchtung konfrontiere, Free Jazz könne zum Stil degenerieren, widerspricht er aus eigener Praxis. „Free Jazz ist keine historische Phase, sondern eine lebendige Methode. Solange diese Methode benutzt wird, ist sie lebendig.“ Bert Noglik
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