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Ein Festival wie die Leipziger „Musik-Zeit“mit einem experimentellen Programm stellt seine Zuhörer oft vor ästhetische Herausforderungen besonderer Art. Da ist die Konzertkritik auch als Musikvermittlerin gefragt. Ganz eigene Wege beschreitet Oliver Schwerdt, der mit seiner Mischung aus modernem Dada und Surrealismus einen ungewöhnlichen Zugang zum zeitgenössischen Jazz ermöglicht. Die Jazzzeitung stellt seinen experimentellen Text zur Diskussion. Viel Vergnügen. ak
Mit der „Musik-Zeit“ verwirklicht der Jazzclub Leipzig alljährlich eine dichte, äußerst spannende Konzeption. Diesmal sollte eine Schar der profiliertesten, sich in Berlin konzentrierenden Jazz-Avantgardisten aufspielen und ihre zu enormer Freiheit gefundene Musikalität an der Tradition reiben. In einer Folge von drei Abenden wurden außergewöhnlichste Konzerterlebnisse erfahrbar. Zuerst ein sensationelles Klavier-Duo. Denn: es spielt ein Paar von großem historischen Gewand. Sie geben eine Kammermusik wie ein Strom oder eine Landschaft, auf jeden Fall keinen Tisch. Dösen, dumpfe Pöch, metallenes Gewisch: ihr Schach für präpariertes Klavier. Schlagfertige Einsen, Einzelnes lichtentrob. Welch Körperfreiheit man als Pianist genießen kann! Und sie sind sehr sanft zueinander: Aki Takase und Alexander von Schlippenbach vertrauen sich, sie sind verheiratet. Mit harlekinesischem Volksmund unterfüttert, treten nun fast rupfende Hühner auf den Plan. Takase zackig, harrt Stechschritt – federt – jetzt ist sie ein kleines Mädchen, das sich über Europa beugt, ein japanisches Mädchen, reißt liderlich in „anderes Loch … ein … ooh … ooh! … steht auf dem Kopf … und lacht mich aus.“ Reiterei, von Kinderplanschbecken durchzogen, fangende Kräuter, blilane Gummizeuge. Dabei spielen beide auf Hochsitzen und kreisen wie auf Türmchen um die Welt, über Kirchenfelder. Es bleibt eine sehr körperliche Exegese, Duo collagiertes Wes (-moll). Mechaniken, die tröndeln unsere Hirne. Wir sitzen in einem Raum, zur gleichen Zeit! Dabei packen die da vorn die Welt am Schopf. Wir dürfen ihnen dabei zusehen. In der Klavierpräparation verschwinden die stabilen Klänge,
wie sie später die Elektronik verwischt. Es ist die ehrliche Variante
der Manipulation gegenüber der Popmusik. Ein Huf stampft. Von Schlippenbach
redet: „Schrauben schreiben Spiralen … Teile für Teile
… mit zugebundenen Augen hergestellt … kleine metallene Persönlichkeiten
… Wo bleiben sie? Wie sehen sie aus? Müssen sie verkäuflich
sein?“ – „Nein Nein“, sie weiß es. Ihre
Musik hat weit ausgreifende poetische Qualität, niemand darf daran
vorbeischauen. Dieses Konzert inspiriert. Echte Kunst verändert die
Wahrnehmung: Das Klavier ist ein Topf. Von kleinster Etüde. Kopfsprung
im Gänsemarsch. Die „Morlocks“ (eine Erfindung von von
Schlippenbach) bedeuten so zahngeräderten Humus. Noise – eine
aktuelle Musikströmung – zeigt sich hier fünfstücklig
süchtig. Ebenso enzyklopädisch wie verrückt erscheint die Aufgabe, das Gesamtwerk von Thelonious Monk sich anzueignen und an einem Abend aufzuführen. Genau dies macht Schlippenbach mit der „Enttäuschung“. Vom Feinsten. Tanzmusik auch. Am besten sperrig, so dass rhythmische Berserkerung ficht. Mahall ist dabei echt hitzig und gut gelaunt. Während des zweiten Sets dämmert einem, zu welch sportlichem Unterfangen die da auf der Bühne zusammengekommen sind. Die Arrangements sind jux und komplex. Jan Roder (b) und Uli Jenneßen (dr), ungebändigt, bundreines Bündnis dieser Band, können meisterhaft langsamer und schneller werden. So sehr diese Truppe Monks Musik in ihre eigene verwandelt, so stark differiert ihr Klang intern: Mahall federt eben zum Solo hervor, heizt schlagadernd und endet als Ganzkörperfigur, während Axel Dörner eine strenge, klassisch-gediegene Trompete bläst. Dabei werden sie alle noch nach Stunden immer besser und strotzen. Indes muss sich Dörner nicht übermütig ans Klavier setzen – oder Schlippenbach vor die Trompete stellen –, aber man merkt daran, dass sie Musik machen. Darüber hinaus wird das Konzert zur Performance: Wer 70 Monks spielt, darf eben auch seinem solierenden Bassisten ein Becken unter den wippenden Fuß werfen, wie es Jenneßen macht – zugleich dämpft er seine Toms mit den Füßen ab. Nach über drei Stunden Spielzeit (eine Dauer wie beim späten Feldman) entziehen die Musiker dem Veranstaltungsort das Licht, setzen sich ins Publikum, legen sich vor die Bassdrum oder benutzen einen roten Gummiball als Schlagzeug. Bekanntlich präpariert Mahall seine Klarinette mit Wasser. Monk selbst soll ja Ähnliches gern gemacht haben und wurde auch schon mit einem Salatblatt im Knopfloch erwischt. Letztlich nahm uns die Musik dieser Konzertreihe mit an die Grenzen der Erkenntnis, ihr Niveau reichte damit an die Welt. Oliver Schwerdt |
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