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Es klingt irgendwie saukomisch. Da sind zwei Männer, die ihren musikalischen Weg so radikal gehen, wie wenige andere ihrer Zeitgenossen. Der ältere von beiden ist seit fast vierzig Jahren von Beruf Bürgerschreck – will sagen: Freejazz-Pianist –, der andere kratzt mit Diamanten Töne aus Kunststoffscheiben und tritt damit gelegentlich in Fußballstadien auf. Ausgerechnet diese beiden Männer treffen einmal wöchentlich beim Kursus der Volkshochschule Berlin-Tiergarten im Blechbläserkreis aufeinander. Sie spielen auf ihren Trompeten Beatles-Lieder und alte Märsche, einfach unfassbar! Die Beziehung zwischen den beiden geht über Musik hinaus, denn sie sind Vater und Sohn. Alexander von Schlippenbach und Vincent von Schlippenbach alias DJ Illvibe sind Role Models ihrer jeweiligen Generation und darüber hinaus herzlich miteinander verbunden.
Anlässlich des JazzFest Berlin spottete die Berliner Zeitung über Väter, die ihre Kinder mit freiem Jazz quälen. DJ Illvibe kennt solche Urteile, findet sie arrogant, bisweilen armselig. „Meine Kindheit war nicht schrecklich“, kommentiert der Twen, „ich fand es gut, dass die so reinhauen“. Seit über dreißig Jahren ist sein Vater im Trio mit Evan Parker und Paul Lovens einer der gefragtesten deutschen Jazzprotagonisten. Alexander von Schlippenbach hat gemeinsam mit anderen Quergeistern wie Peter Brötzmann und Peter Kowald in der BRD der 60er Jahre mächtig Staub aufgewirbelt. Er ist stolz darauf, an der Entwicklung einer jahrzehntelang bestimmenden Stilform des Jazz wesentlich beteiligt gewesen zu sein. Ulkigerweise hat ausgerechnet Schlippenbach – im Gegensatz zu den meisten anderen Teilnehmern der Revolte – seine Anzüge und die gebügelten Hemden nie abgelegt.
Ganz anders DJ Illvibe: Er muss weder gegen Bekleidungsvorschriften noch gegen Stilbeschränkungen ankämpfen, weil es so etwas im Berlin von heute nicht gibt. Lässig durchstreift er die Clubszene, klatscht seine Freunde ab und schleppt prall gefüllte Plattentaschen hinter die Turntables. Illvibe ist trendy, aber nicht Mainstream. Seine Solos zelebriert er mit Vogelgeräuschen und MG-Salven, die ursprünglich zur Hinterlegung von Super-8-Filmen als „Geräusche in Stereo“ auf Vinyl gepresst wurden. Den Plattenspieler, ein raffiniert weiterentwickeltes Modell der Firma Vestax, benutzt Illvibe als Rhythmusgerät wie auch als Melodieinstrument. Während das geschickte Vor- und Zurückdrehen der Platten für Rhythmuseffekte unter DJs eine weitverbreitete (wenn auch unterschiedlich gut entwickelte) Methode ist, hat das Scratchen von Melodien bis heute Exotenstatus. Traute haben also alle beide, Vater und Sohn. Bisweilen konzertieren sie sogar gemeinsam, Illvibe wechselt dann zwischen Schlagzeug und Plattenspielern hin und her. Viele Jahre nutzten sie gemeinsam den Proberaum und jammten zusammen. Alexander von Schlippenbach hat seinen Sohn mit drei Jahren an das Klavier herangeführt, nur ein Jahr später an die Trommeln. „Seit er die Plattenspieler entdeckt hat, ist leider alles zu spät“, schmunzelt der Vater. Denn genau wie Senior Schlippenbach gründete Illvibe in der Adoleszenz eine verschworene Männereinheit namens Lychee Lassi, die heute fast wöchentlich in Berlin der eingeschworen Fangemeinde mit den härtest denkbaren HipHop-Improvisationen einheizt. Weil das Märchen von der modernen Musikerfamilie wahr ist, soll nicht verschwiegen werden, dass Alexander von Schlippenbach und seine Lebensgefährtin, die renommierte Pianistin Aki Takase, auf Festivals der ganzen Welt reüssieren und beständig interessante Platten aufnehmen, so zum Beispiel mit der Berliner Avantgarde um Rudi Mahall. Ebenfalls soll erwähnt sein, dass die Erfolge von Illvibe mit der deutschen Reggae-Formation Seeed nun schon im zweiten Jahr die mauen Bilanzen der Musikindustrie aufbessern. Wie das alles noch enden wird, steht in den Sternen. Eines jedoch ist sicher: Alexander von Schlippenbach hat bereits fünf Enkelkinder. Wäre er ein Fußballstar, stünden diese bestimmt schon unter Beobachtung der Spielervermittler. Al Weckert |
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